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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ganzen Mannesnatur verflacht. Nichts ist von jener prätentiösen Be¬
rufung auf die "organische Emancipation" der Frauen zu spüren.
Louise von G. erzählt als Frau und will nur Geltung als frauen¬
hafte Erzählerin. Darum liegen auch ihren Novellen die auf eine
weitere Menschenwelt, als jene der Personen ihrer Gesellschaft, aus-
schreitenden Interessen ziemlich fern, und in diesem glücklichen Ver¬
ständniß ihrer dichterischen Aufgabe erreichte Louise von G. von vorn¬
herein den Anschein einer organischen Geschlossenheit ihrer Novellen,
welche sonst häufig nur ein Ergebniß sehr ernster technischer Studien
ist. Damit soll nun allerdings nicht gesagt sein, daß sie vollkommen
Meisterin in dieser schwersten Aufgabe des Erzählers ist. Der tech¬
nische Fehler der "Frauennovellen" beruht mehr darin, daß die künst¬
lerische Steigerung in den Ver- und Entwickelungen nicht genugsam
beobachtet ist; dadurch wird die Erzählerin von Zeit zu Zeit genöthigt,
inmitten der laufenden Begebenheiten neue, vorher unbeachtete auf¬
zunehmen, diese dem ganzen Organismus mehr einimpfend, als aus
ihm naturnothwendig hervorentwickelnd. Und darum wächst ihr bis¬
weilen eine'Nebenpartie, eine Nebenperson, eine Nebenhandlung zu einer
Wichtigkeit an, vorder sie sich selber oft kaum anders zu retten weiß,
als daß sie nun die eigentlichen Hauptpartien, Hauptpersonen, Haupt¬
bandlungen plötzlich wieder mit zu ausschließender Aufmerksamkeit be¬
handelt, dadurch aber erst den Fehler in der Oekonomie selbst dem
minder aufmerksamen Leser bemerklich macht. -- Jener Vorzug, nach
welchem die außcngelegene Welt den Menschen der Frauennovcllcn
wirklich außcngelegen bleibt, bringt auch noch einen fernern Vortheil,
welcher sowohl Jda von Düringöfeld als der Gräfin Hahn-Hahn
häusig entgeht. Wir sehen nämlich bei Louise von G. das Leben und
Treiben einer wirklich abgeschlossenen Gesellschaft, welche nicht der
gesammten Zofen- und Bedientenwelt der Proletarier von nah und
fern zu ihrer innern Existenz bedarf, um trotzdem fortwährend zu
erklaren, sie sei die eigentliche Gesellschaft, die vornehme Welt, jeden¬
falls erclusiv und die Welt außer ihr kümmere sie nicht in ihrer selbst¬
geschaffenen Souveränetät. Die Gesellschaft Louise von G.'s ist aristo¬
kratischer Natur, aber im besten Sinne und darum human, wahrend
jene der Gräfin adelig stolz und darum abstoßend hart nach allen un¬
ter ihr liegenden Schichren. Es mag allerdings die Frage entstehen,
welche von beiden Auffassungen der Gesellschaft die thatsächlich wah¬
rere; welche aber die poetisch schönere, kann nicht zweifelhaft bleiben.
-- Betrachten wir indessen die Frauennovellen im Detail. "Der
Egoist", Novelle in zwei Büchern, beginnt den ersten Band und steht
mit Recht an dessen Spitze. Technisch am glücklichsten angelegt, ist
sie auch in der Einzelausführung am weitesten gediehen. Der Per¬
sonen sind wenige, keine, welche für die Organisation des Ganzen voll¬
kommen entbehrt werden könnte; jede einzelne vertritt einen Gegensatz


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ganzen Mannesnatur verflacht. Nichts ist von jener prätentiösen Be¬
rufung auf die „organische Emancipation" der Frauen zu spüren.
Louise von G. erzählt als Frau und will nur Geltung als frauen¬
hafte Erzählerin. Darum liegen auch ihren Novellen die auf eine
weitere Menschenwelt, als jene der Personen ihrer Gesellschaft, aus-
schreitenden Interessen ziemlich fern, und in diesem glücklichen Ver¬
ständniß ihrer dichterischen Aufgabe erreichte Louise von G. von vorn¬
herein den Anschein einer organischen Geschlossenheit ihrer Novellen,
welche sonst häufig nur ein Ergebniß sehr ernster technischer Studien
ist. Damit soll nun allerdings nicht gesagt sein, daß sie vollkommen
Meisterin in dieser schwersten Aufgabe des Erzählers ist. Der tech¬
nische Fehler der „Frauennovellen" beruht mehr darin, daß die künst¬
lerische Steigerung in den Ver- und Entwickelungen nicht genugsam
beobachtet ist; dadurch wird die Erzählerin von Zeit zu Zeit genöthigt,
inmitten der laufenden Begebenheiten neue, vorher unbeachtete auf¬
zunehmen, diese dem ganzen Organismus mehr einimpfend, als aus
ihm naturnothwendig hervorentwickelnd. Und darum wächst ihr bis¬
weilen eine'Nebenpartie, eine Nebenperson, eine Nebenhandlung zu einer
Wichtigkeit an, vorder sie sich selber oft kaum anders zu retten weiß,
als daß sie nun die eigentlichen Hauptpartien, Hauptpersonen, Haupt¬
bandlungen plötzlich wieder mit zu ausschließender Aufmerksamkeit be¬
handelt, dadurch aber erst den Fehler in der Oekonomie selbst dem
minder aufmerksamen Leser bemerklich macht. — Jener Vorzug, nach
welchem die außcngelegene Welt den Menschen der Frauennovcllcn
wirklich außcngelegen bleibt, bringt auch noch einen fernern Vortheil,
welcher sowohl Jda von Düringöfeld als der Gräfin Hahn-Hahn
häusig entgeht. Wir sehen nämlich bei Louise von G. das Leben und
Treiben einer wirklich abgeschlossenen Gesellschaft, welche nicht der
gesammten Zofen- und Bedientenwelt der Proletarier von nah und
fern zu ihrer innern Existenz bedarf, um trotzdem fortwährend zu
erklaren, sie sei die eigentliche Gesellschaft, die vornehme Welt, jeden¬
falls erclusiv und die Welt außer ihr kümmere sie nicht in ihrer selbst¬
geschaffenen Souveränetät. Die Gesellschaft Louise von G.'s ist aristo¬
kratischer Natur, aber im besten Sinne und darum human, wahrend
jene der Gräfin adelig stolz und darum abstoßend hart nach allen un¬
ter ihr liegenden Schichren. Es mag allerdings die Frage entstehen,
welche von beiden Auffassungen der Gesellschaft die thatsächlich wah¬
rere; welche aber die poetisch schönere, kann nicht zweifelhaft bleiben.
— Betrachten wir indessen die Frauennovellen im Detail. „Der
Egoist", Novelle in zwei Büchern, beginnt den ersten Band und steht
mit Recht an dessen Spitze. Technisch am glücklichsten angelegt, ist
sie auch in der Einzelausführung am weitesten gediehen. Der Per¬
sonen sind wenige, keine, welche für die Organisation des Ganzen voll¬
kommen entbehrt werden könnte; jede einzelne vertritt einen Gegensatz


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[0079] ganzen Mannesnatur verflacht. Nichts ist von jener prätentiösen Be¬ rufung auf die „organische Emancipation" der Frauen zu spüren. Louise von G. erzählt als Frau und will nur Geltung als frauen¬ hafte Erzählerin. Darum liegen auch ihren Novellen die auf eine weitere Menschenwelt, als jene der Personen ihrer Gesellschaft, aus- schreitenden Interessen ziemlich fern, und in diesem glücklichen Ver¬ ständniß ihrer dichterischen Aufgabe erreichte Louise von G. von vorn¬ herein den Anschein einer organischen Geschlossenheit ihrer Novellen, welche sonst häufig nur ein Ergebniß sehr ernster technischer Studien ist. Damit soll nun allerdings nicht gesagt sein, daß sie vollkommen Meisterin in dieser schwersten Aufgabe des Erzählers ist. Der tech¬ nische Fehler der „Frauennovellen" beruht mehr darin, daß die künst¬ lerische Steigerung in den Ver- und Entwickelungen nicht genugsam beobachtet ist; dadurch wird die Erzählerin von Zeit zu Zeit genöthigt, inmitten der laufenden Begebenheiten neue, vorher unbeachtete auf¬ zunehmen, diese dem ganzen Organismus mehr einimpfend, als aus ihm naturnothwendig hervorentwickelnd. Und darum wächst ihr bis¬ weilen eine'Nebenpartie, eine Nebenperson, eine Nebenhandlung zu einer Wichtigkeit an, vorder sie sich selber oft kaum anders zu retten weiß, als daß sie nun die eigentlichen Hauptpartien, Hauptpersonen, Haupt¬ bandlungen plötzlich wieder mit zu ausschließender Aufmerksamkeit be¬ handelt, dadurch aber erst den Fehler in der Oekonomie selbst dem minder aufmerksamen Leser bemerklich macht. — Jener Vorzug, nach welchem die außcngelegene Welt den Menschen der Frauennovcllcn wirklich außcngelegen bleibt, bringt auch noch einen fernern Vortheil, welcher sowohl Jda von Düringöfeld als der Gräfin Hahn-Hahn häusig entgeht. Wir sehen nämlich bei Louise von G. das Leben und Treiben einer wirklich abgeschlossenen Gesellschaft, welche nicht der gesammten Zofen- und Bedientenwelt der Proletarier von nah und fern zu ihrer innern Existenz bedarf, um trotzdem fortwährend zu erklaren, sie sei die eigentliche Gesellschaft, die vornehme Welt, jeden¬ falls erclusiv und die Welt außer ihr kümmere sie nicht in ihrer selbst¬ geschaffenen Souveränetät. Die Gesellschaft Louise von G.'s ist aristo¬ kratischer Natur, aber im besten Sinne und darum human, wahrend jene der Gräfin adelig stolz und darum abstoßend hart nach allen un¬ ter ihr liegenden Schichren. Es mag allerdings die Frage entstehen, welche von beiden Auffassungen der Gesellschaft die thatsächlich wah¬ rere; welche aber die poetisch schönere, kann nicht zweifelhaft bleiben. — Betrachten wir indessen die Frauennovellen im Detail. „Der Egoist", Novelle in zwei Büchern, beginnt den ersten Band und steht mit Recht an dessen Spitze. Technisch am glücklichsten angelegt, ist sie auch in der Einzelausführung am weitesten gediehen. Der Per¬ sonen sind wenige, keine, welche für die Organisation des Ganzen voll¬ kommen entbehrt werden könnte; jede einzelne vertritt einen Gegensatz 9-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/79>, abgerufen am 24.11.2024.