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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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reißen ließ, anstatt einen Monolog zu sprechen, eine politische Satyre
zu improvisiren. Die Folge davon war, feste er lachend hinzu,
daß er auf mehrere Monate eingesperrt wurde. Doch scheint diese
Gefangenschaft nicht jene gewesen zu sein, von der er stets wü¬
thend oder mit wahnsinniger Lustigkeit erzählte. Von der Gefan¬
genschaft wegen der politischen Satyre sprach er stets mit Heiter¬
keit. Doch konnte man nie den Namen des Ortes, oder die ge¬
naue Bestimmung eines Zeitpunktes von ihm erfahren; Zeit und
Raum waren in seinem Geiste wie durcheinander geworfen. --
Von jener satyrischen Improvisation pflegte er Bruchstücke zu ciel"
ren, die den gebildeten, aber friedlichen Bewohnern unseres Dorfes
ein Gräuel waren. Leider habe ich mir nur wenig davon gemerkt,
nur so viel erinnere ich mich, daß sie Napoleon pries und gegen die
heilige Allianz und ihre Agenten gerichtet war. Besonders Nu߬
land kam sehr schlecht weg dabei.

Unser Hauslehrer, ein ziemlich gebildeter, herzensguter, aber
in seinen humanistischen Bestrebungen oft komischer und bizarrer
Mann, machte es sich zum Zwecke und gab sich alle erdenkliche
Mühe, den tollen Dichter zu heilen, worauf er ihm eine vacante
Lehrerstelle in der Gegend verschaffen wollte. Komischer Gedanke!
denn wenn Richter seine tollen Ideen hätte fahren lassen, er hätte
wohl zu etwas Besserem getaugt, als zu einem Schulmeister. Aber
sehr interessant bliebeir trotzdem die Disputationen, welche unser
Lehrer mit Herrn Richter oft stundenlang unterhielt,. um ihn von
der Absurdität so mancher seiner Gedanken zu überzeugen. Ver¬
gebliche Mühe! Richter vertheidigte alle seine Tollheiten mit sol¬
chem Scharfsinn, mit so schneidender Dialektik und einem solchen
Aufwand von Wissen -- daß sich der gute Humanist oft nach
stundenlanger Anstrengung für besiegt erklären mußte. Wie hätte
Richter seine firen Ideen fahren lassen sollen, die doch mit seiner
Seele schon auf's Innigste verwachsen waren, da man ihn nicht
einmal bewegen konnte, die Steine ans den Zehen, die vielen
Stäbe, die er immer mit sich trug, und das Gras aus seinen Klei¬
dern wegzuwerfen. Er behauptete, durch diese Mittel in einem
ewigen Zusammenhange mit der Natur zu bleiben und durch sie
die Einwirkungen der tellurischen Kräfte lebhafter zu fühlen.

Wie freuten wir uns, als wir ihn einst aus der nahen Stadt


reißen ließ, anstatt einen Monolog zu sprechen, eine politische Satyre
zu improvisiren. Die Folge davon war, feste er lachend hinzu,
daß er auf mehrere Monate eingesperrt wurde. Doch scheint diese
Gefangenschaft nicht jene gewesen zu sein, von der er stets wü¬
thend oder mit wahnsinniger Lustigkeit erzählte. Von der Gefan¬
genschaft wegen der politischen Satyre sprach er stets mit Heiter¬
keit. Doch konnte man nie den Namen des Ortes, oder die ge¬
naue Bestimmung eines Zeitpunktes von ihm erfahren; Zeit und
Raum waren in seinem Geiste wie durcheinander geworfen. —
Von jener satyrischen Improvisation pflegte er Bruchstücke zu ciel»
ren, die den gebildeten, aber friedlichen Bewohnern unseres Dorfes
ein Gräuel waren. Leider habe ich mir nur wenig davon gemerkt,
nur so viel erinnere ich mich, daß sie Napoleon pries und gegen die
heilige Allianz und ihre Agenten gerichtet war. Besonders Nu߬
land kam sehr schlecht weg dabei.

Unser Hauslehrer, ein ziemlich gebildeter, herzensguter, aber
in seinen humanistischen Bestrebungen oft komischer und bizarrer
Mann, machte es sich zum Zwecke und gab sich alle erdenkliche
Mühe, den tollen Dichter zu heilen, worauf er ihm eine vacante
Lehrerstelle in der Gegend verschaffen wollte. Komischer Gedanke!
denn wenn Richter seine tollen Ideen hätte fahren lassen, er hätte
wohl zu etwas Besserem getaugt, als zu einem Schulmeister. Aber
sehr interessant bliebeir trotzdem die Disputationen, welche unser
Lehrer mit Herrn Richter oft stundenlang unterhielt,. um ihn von
der Absurdität so mancher seiner Gedanken zu überzeugen. Ver¬
gebliche Mühe! Richter vertheidigte alle seine Tollheiten mit sol¬
chem Scharfsinn, mit so schneidender Dialektik und einem solchen
Aufwand von Wissen — daß sich der gute Humanist oft nach
stundenlanger Anstrengung für besiegt erklären mußte. Wie hätte
Richter seine firen Ideen fahren lassen sollen, die doch mit seiner
Seele schon auf's Innigste verwachsen waren, da man ihn nicht
einmal bewegen konnte, die Steine ans den Zehen, die vielen
Stäbe, die er immer mit sich trug, und das Gras aus seinen Klei¬
dern wegzuwerfen. Er behauptete, durch diese Mittel in einem
ewigen Zusammenhange mit der Natur zu bleiben und durch sie
die Einwirkungen der tellurischen Kräfte lebhafter zu fühlen.

Wie freuten wir uns, als wir ihn einst aus der nahen Stadt


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[0073] reißen ließ, anstatt einen Monolog zu sprechen, eine politische Satyre zu improvisiren. Die Folge davon war, feste er lachend hinzu, daß er auf mehrere Monate eingesperrt wurde. Doch scheint diese Gefangenschaft nicht jene gewesen zu sein, von der er stets wü¬ thend oder mit wahnsinniger Lustigkeit erzählte. Von der Gefan¬ genschaft wegen der politischen Satyre sprach er stets mit Heiter¬ keit. Doch konnte man nie den Namen des Ortes, oder die ge¬ naue Bestimmung eines Zeitpunktes von ihm erfahren; Zeit und Raum waren in seinem Geiste wie durcheinander geworfen. — Von jener satyrischen Improvisation pflegte er Bruchstücke zu ciel» ren, die den gebildeten, aber friedlichen Bewohnern unseres Dorfes ein Gräuel waren. Leider habe ich mir nur wenig davon gemerkt, nur so viel erinnere ich mich, daß sie Napoleon pries und gegen die heilige Allianz und ihre Agenten gerichtet war. Besonders Nu߬ land kam sehr schlecht weg dabei. Unser Hauslehrer, ein ziemlich gebildeter, herzensguter, aber in seinen humanistischen Bestrebungen oft komischer und bizarrer Mann, machte es sich zum Zwecke und gab sich alle erdenkliche Mühe, den tollen Dichter zu heilen, worauf er ihm eine vacante Lehrerstelle in der Gegend verschaffen wollte. Komischer Gedanke! denn wenn Richter seine tollen Ideen hätte fahren lassen, er hätte wohl zu etwas Besserem getaugt, als zu einem Schulmeister. Aber sehr interessant bliebeir trotzdem die Disputationen, welche unser Lehrer mit Herrn Richter oft stundenlang unterhielt,. um ihn von der Absurdität so mancher seiner Gedanken zu überzeugen. Ver¬ gebliche Mühe! Richter vertheidigte alle seine Tollheiten mit sol¬ chem Scharfsinn, mit so schneidender Dialektik und einem solchen Aufwand von Wissen — daß sich der gute Humanist oft nach stundenlanger Anstrengung für besiegt erklären mußte. Wie hätte Richter seine firen Ideen fahren lassen sollen, die doch mit seiner Seele schon auf's Innigste verwachsen waren, da man ihn nicht einmal bewegen konnte, die Steine ans den Zehen, die vielen Stäbe, die er immer mit sich trug, und das Gras aus seinen Klei¬ dern wegzuwerfen. Er behauptete, durch diese Mittel in einem ewigen Zusammenhange mit der Natur zu bleiben und durch sie die Einwirkungen der tellurischen Kräfte lebhafter zu fühlen. Wie freuten wir uns, als wir ihn einst aus der nahen Stadt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/73>, abgerufen am 24.11.2024.