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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Ihr habt gestärkt einen alten Mann,
Denn Elend machte früh zum Greise mich.
Mit einem Pilger brandet ihr das Brod, ,
Denn Liebe schickte auf die Reise mich.
Seh' ich von edlen Menschen mich geehrt,
So schätz' ich selbst zu hoh'rem Preise mich.

Gewiß wird Niemand aus diesen Versen einen Wahnsinnigen er¬
kennen, außer daß der hohe Styl, in dem er für ein kleines Mit¬
tagsmahl dankt, etwas bizarr erscheint. Eben so konnte man sich
mit ihm stundenlang über die wichtigsten und bedeutendsten Gegen¬
stände über Poesie, Wissenschaft, Erziehung n. tgi. unterhalten,
ohne daß man es merkte, man habe es mit Einem zu thun,
der "aus dem Geleise kam," wenn einen nicht ein plötzliches, un¬
heimliches Lachen mitten im ernstesten Gespräch, oder irgend ein
dem Gegenstande ganz und gar fremder und ferner Gedanke, den
er mit einem Male dareinwarf, daran erinnerte. Der "alte
Mann", von dem er in den Versen spricht, ist nicht so wörtlich zu
nehmen. Der tolle Dichter hatte gewiß noch nicht fünf und drei¬
ßig Jahre. Sein wunderschönes schwarzes Auge glühte im ju¬
gendlichsten Feuer; sein blasses Gesicht war zwar sehr durchfurcht,
aber man sah ihm an, daß er früh gealtert war, und man konnte
es nicht ohne Wehmuth betrachten, denn in seinem Ausdrucke lag
etwas, was sagte: Ein edler Geist ging hier verloren! Seine
Haltung hatte etwas Jmponirendes und war ganz die eines jun¬
gen kräftigen Mannes, und hätte er es uns auch nicht gesagt, man
hätte daraus errathen können, daß er einst Militär und zwar Of¬
fizier war. Alles, was man aus seinen rhapsodischen Reden ent¬
nehmen konnte, war, daß er einstens gedient, daß er mit sehr be¬
deutenden, mächtigen Personen zusammengekommen, daß er viel
gelitten, und daß er noch vor Kurzem in einem düsteren Kerker ge¬
sessen. Ob es wirklich ein Gefängniß gewesen, von dem er oft
und bald mit Abscheu, bald mit Lachen gesprochen, oder ob nur
die Zelle eines Irrenhauses, das konnte man nie erfahren. Jeden¬
falls hatte er ein ereignißreiches Und trauriges Leben hinter sich.
Nur ein einziges Mal erzählte er zusammenhängend, wie er einst
vor sehr hohen Personen auf einem Dilettantentheater gespielt und
Wie er sich eben durch die Gegenwart dieser hohen Personen hin-


Ihr habt gestärkt einen alten Mann,
Denn Elend machte früh zum Greise mich.
Mit einem Pilger brandet ihr das Brod, ,
Denn Liebe schickte auf die Reise mich.
Seh' ich von edlen Menschen mich geehrt,
So schätz' ich selbst zu hoh'rem Preise mich.

Gewiß wird Niemand aus diesen Versen einen Wahnsinnigen er¬
kennen, außer daß der hohe Styl, in dem er für ein kleines Mit¬
tagsmahl dankt, etwas bizarr erscheint. Eben so konnte man sich
mit ihm stundenlang über die wichtigsten und bedeutendsten Gegen¬
stände über Poesie, Wissenschaft, Erziehung n. tgi. unterhalten,
ohne daß man es merkte, man habe es mit Einem zu thun,
der „aus dem Geleise kam," wenn einen nicht ein plötzliches, un¬
heimliches Lachen mitten im ernstesten Gespräch, oder irgend ein
dem Gegenstande ganz und gar fremder und ferner Gedanke, den
er mit einem Male dareinwarf, daran erinnerte. Der „alte
Mann", von dem er in den Versen spricht, ist nicht so wörtlich zu
nehmen. Der tolle Dichter hatte gewiß noch nicht fünf und drei¬
ßig Jahre. Sein wunderschönes schwarzes Auge glühte im ju¬
gendlichsten Feuer; sein blasses Gesicht war zwar sehr durchfurcht,
aber man sah ihm an, daß er früh gealtert war, und man konnte
es nicht ohne Wehmuth betrachten, denn in seinem Ausdrucke lag
etwas, was sagte: Ein edler Geist ging hier verloren! Seine
Haltung hatte etwas Jmponirendes und war ganz die eines jun¬
gen kräftigen Mannes, und hätte er es uns auch nicht gesagt, man
hätte daraus errathen können, daß er einst Militär und zwar Of¬
fizier war. Alles, was man aus seinen rhapsodischen Reden ent¬
nehmen konnte, war, daß er einstens gedient, daß er mit sehr be¬
deutenden, mächtigen Personen zusammengekommen, daß er viel
gelitten, und daß er noch vor Kurzem in einem düsteren Kerker ge¬
sessen. Ob es wirklich ein Gefängniß gewesen, von dem er oft
und bald mit Abscheu, bald mit Lachen gesprochen, oder ob nur
die Zelle eines Irrenhauses, das konnte man nie erfahren. Jeden¬
falls hatte er ein ereignißreiches Und trauriges Leben hinter sich.
Nur ein einziges Mal erzählte er zusammenhängend, wie er einst
vor sehr hohen Personen auf einem Dilettantentheater gespielt und
Wie er sich eben durch die Gegenwart dieser hohen Personen hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/72>, abgerufen am 24.11.2024.