Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.waren ganz nackt, aber zwischen den Zehen eingeklemmt hielt er Ihr habt gestärkt mit Trank und Speise mich, Dankbar zeig' ich auf meine Weise mich. Mein hoher Vers, mein edles Bettellted Erhalt' als Freund in eurem Kreise mich. Ich bin verirrt, wie ein gejagter Hirsch, Der Menschen Huld bringt in's Geleise mich. 8-i-
waren ganz nackt, aber zwischen den Zehen eingeklemmt hielt er Ihr habt gestärkt mit Trank und Speise mich, Dankbar zeig' ich auf meine Weise mich. Mein hoher Vers, mein edles Bettellted Erhalt' als Freund in eurem Kreise mich. Ich bin verirrt, wie ein gejagter Hirsch, Der Menschen Huld bringt in's Geleise mich. 8-i-
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182494"/> <p xml:id="ID_176" prev="#ID_175" next="#ID_177"> waren ganz nackt, aber zwischen den Zehen eingeklemmt hielt er<lb/> eine Masse kleiner Steine ; unter beiden Armen trug er stets eine<lb/> Anzahl von zehn bis fünfzehn frischgeschnittencr Stäbe. In diesem<lb/> phantastischen Auszüge ging er stolz einher, behandelte Jeden, der<lb/> sich ihm mit Protectionsmiene nahte, mit Verachtung, aber jeden<lb/> Wohlwollenden mit Freundlichkeit und dem edelsten Anstand«. Man<lb/> war natürlich bald einig darüber, daß man es mit einem Wahn¬<lb/> sinnigen, aber mit einem Wahnsinnigen edlerer Art zu thun hätte,<lb/> und aus manchem Worte, das er fallen ließ, konnte man erkennen,<lb/> daß ihn ungewöhnliche, traurige Schicksale dahin brachten, wo er<lb/> war. Doch konnte man nie eine ausführliche, zusammenhängende<lb/> Geschichte seines frühern Lebens erfahren. Er nannte sich Richter<lb/> und auf die Frage nach seinem Stande antwortete er mit Stolz:<lb/> Ich bin Richter, der Dichter! -- Wirklich sah man ihn auch sehr<lb/> oft im Schatten eines Baumes oder Hauses, oder auch in alltäg¬<lb/> licher Sonnenhitze mitten auf freier Wiese liegen und stundenlang<lb/> mit Bleistift Verse schreiben. Sehr oft citirte er mitten im Ge¬<lb/> spräche seine eigenen Verse, in denen die klarsten, schönsten Gedan¬<lb/> ken mit den confusesten auf Schwindel erregende Weise wechselten.<lb/> Hatte er einmal seine Verse niedergeschrieben, so war er auch sehr<lb/> freigebig damit und theilte sie auf kleinen Blättchen an Jeden ans,<lb/> der ihn freundlich darum anging. Noch lange, nachdem er wieder<lb/> aus unserem Dorfe verschwunden war, circulirten sie in Abschrif¬<lb/> ten, von denen ich einige bewahrt und hier bei Gelegenheit mit¬<lb/> theilen will. An einem Sonntage, da wir eben bei Tische saßen,<lb/> sahen wir durch's offene Fenster den „tollen Richter," der unfern<lb/> von unserem Hause im Grase lag und schrieb. Die Mutter häufte<lb/> auf einem Teller Fleisch und Gemüse auf und schickte es ihm mit<lb/> einem Glase Wein hinaus. Nach einer kleinen halben Stunde kam<lb/> der Teller völlig leer zurück; nur ein Blatt Papier lag darauf<lb/> mit folgenden Ghaselen beschrieben:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem" next="#POEMID_8"> <l> Ihr habt gestärkt mit Trank und Speise mich,<lb/> Dankbar zeig' ich auf meine Weise mich.<lb/> Mein hoher Vers, mein edles Bettellted<lb/> Erhalt' als Freund in eurem Kreise mich.<lb/> Ich bin verirrt, wie ein gejagter Hirsch,<lb/> Der Menschen Huld bringt in's Geleise mich.</l> </lg><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 8-i-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
waren ganz nackt, aber zwischen den Zehen eingeklemmt hielt er
eine Masse kleiner Steine ; unter beiden Armen trug er stets eine
Anzahl von zehn bis fünfzehn frischgeschnittencr Stäbe. In diesem
phantastischen Auszüge ging er stolz einher, behandelte Jeden, der
sich ihm mit Protectionsmiene nahte, mit Verachtung, aber jeden
Wohlwollenden mit Freundlichkeit und dem edelsten Anstand«. Man
war natürlich bald einig darüber, daß man es mit einem Wahn¬
sinnigen, aber mit einem Wahnsinnigen edlerer Art zu thun hätte,
und aus manchem Worte, das er fallen ließ, konnte man erkennen,
daß ihn ungewöhnliche, traurige Schicksale dahin brachten, wo er
war. Doch konnte man nie eine ausführliche, zusammenhängende
Geschichte seines frühern Lebens erfahren. Er nannte sich Richter
und auf die Frage nach seinem Stande antwortete er mit Stolz:
Ich bin Richter, der Dichter! -- Wirklich sah man ihn auch sehr
oft im Schatten eines Baumes oder Hauses, oder auch in alltäg¬
licher Sonnenhitze mitten auf freier Wiese liegen und stundenlang
mit Bleistift Verse schreiben. Sehr oft citirte er mitten im Ge¬
spräche seine eigenen Verse, in denen die klarsten, schönsten Gedan¬
ken mit den confusesten auf Schwindel erregende Weise wechselten.
Hatte er einmal seine Verse niedergeschrieben, so war er auch sehr
freigebig damit und theilte sie auf kleinen Blättchen an Jeden ans,
der ihn freundlich darum anging. Noch lange, nachdem er wieder
aus unserem Dorfe verschwunden war, circulirten sie in Abschrif¬
ten, von denen ich einige bewahrt und hier bei Gelegenheit mit¬
theilen will. An einem Sonntage, da wir eben bei Tische saßen,
sahen wir durch's offene Fenster den „tollen Richter," der unfern
von unserem Hause im Grase lag und schrieb. Die Mutter häufte
auf einem Teller Fleisch und Gemüse auf und schickte es ihm mit
einem Glase Wein hinaus. Nach einer kleinen halben Stunde kam
der Teller völlig leer zurück; nur ein Blatt Papier lag darauf
mit folgenden Ghaselen beschrieben:
Ihr habt gestärkt mit Trank und Speise mich,
Dankbar zeig' ich auf meine Weise mich.
Mein hoher Vers, mein edles Bettellted
Erhalt' als Freund in eurem Kreise mich.
Ich bin verirrt, wie ein gejagter Hirsch,
Der Menschen Huld bringt in's Geleise mich.
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