Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.bewegliche Pflanze und trägt sehr verschiedene Blüthen, je nachdem Auf die Nothwendigkeit einer Küchenreform für die französi¬ t"
bewegliche Pflanze und trägt sehr verschiedene Blüthen, je nachdem Auf die Nothwendigkeit einer Küchenreform für die französi¬ t»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0007" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182430"/> <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> bewegliche Pflanze und trägt sehr verschiedene Blüthen, je nachdem<lb/> er inwendig mit Wasser oder Wein begossen wird. Der Mensch<lb/> erneuert und ergänzt täglich seine Schöpfung aus dem Leib der<lb/> Mutter Erde und ist ein ganz anderes Thier, je nachdem was<lb/> er aus den drei Naturreichen in sich aufnimmt. Man kann die<lb/> Völker eben so gut nach ihren Küchen, wie nach ihren Kirchen,<lb/> Staatsverfassungen, Literaturen und Trachten charakterisiren und<lb/> wer weiß, welche Rolle die Speisezettel in der Weltgeschichte ge¬<lb/> spielt haben. Homer führt genaue Rechnung über das Rindfleisch,<lb/> welches seine Helden verzehrten. Der pflanzenessende Hindu und<lb/> der Araber, den eine Handvoll Datteln befriedigt, sind Phantasie-<lb/> menschen, schwungvoll und träumerisch wie ihre Palmen. Scheint<lb/> der süddeutsche Mehlspeis- oder der bairische Bicrcsser nicht von<lb/> einem ganz andern Adam zu stammen? Die HochtoneS aller<lb/> Länder behaupten, daß in ihren Adern anderes Blut fließe, wie in<lb/> denen der gemeinen bürgerlichen Menschheit. Man hat sich ge¬<lb/> wöhnt, darüber zu lachen. Allein vom physiologischen Standpunkt<lb/> nimmt sich die Sache ernsthafter aus. Man bedenke nur, wie viel<lb/> Schwarz- und Rothwild die Ahnen aller adeligen Familien von<lb/> jeher verzehrt haben: daß die Faustritter am liebsten erjagte Wild¬<lb/> schweine und Hirsche aßen, während die adeligen Damen zarte<lb/> Rehe oder wilde Enten in sich aufnahmen, und man wird es nicht<lb/> unwahrscheinlich finden, daß zwischen dem Charakter des adeligen<lb/> und bürgerlichen Blutes ein Unterschied sein mag, wie zwischen dem<lb/> zahmen friedlichen Hausthier und den Bewohnern des Waldes.<lb/> Genug, die culturhistorische Bedeutung der Küche ist anerkannt und<lb/> wir dürfen es daher als eine folgenreiche, hochwichtige Neuerung<lb/> ansehen, wenn Tausende und aber Tausende Kinder Frankreichs<lb/> anfangen, Roastbeef zu essen uno Grog oder Bier zu trinken.</p><lb/> <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> Auf die Nothwendigkeit einer Küchenreform für die französi¬<lb/> schen Arbeiter wurde man zuerst im Jahre 1841 beim Bau der<lb/> Rouener Eisenbahn aufmerksam gemacht. Mit den englischen In¬<lb/> genieuren, welche die Eisenbahncompagnie bestellt hatte, waren auch<lb/> viele englische Arbeiter nach Frankreich gekommen, und man be¬<lb/> merkte, daß dieselben rascher und besser arbeiten als die französi¬<lb/> schen. Anfangs mußte man die Ursache in der größern Uebung<lb/> und in den vollkommenem Werkzeugen der Engländer suchen. —</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> t»</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
bewegliche Pflanze und trägt sehr verschiedene Blüthen, je nachdem
er inwendig mit Wasser oder Wein begossen wird. Der Mensch
erneuert und ergänzt täglich seine Schöpfung aus dem Leib der
Mutter Erde und ist ein ganz anderes Thier, je nachdem was
er aus den drei Naturreichen in sich aufnimmt. Man kann die
Völker eben so gut nach ihren Küchen, wie nach ihren Kirchen,
Staatsverfassungen, Literaturen und Trachten charakterisiren und
wer weiß, welche Rolle die Speisezettel in der Weltgeschichte ge¬
spielt haben. Homer führt genaue Rechnung über das Rindfleisch,
welches seine Helden verzehrten. Der pflanzenessende Hindu und
der Araber, den eine Handvoll Datteln befriedigt, sind Phantasie-
menschen, schwungvoll und träumerisch wie ihre Palmen. Scheint
der süddeutsche Mehlspeis- oder der bairische Bicrcsser nicht von
einem ganz andern Adam zu stammen? Die HochtoneS aller
Länder behaupten, daß in ihren Adern anderes Blut fließe, wie in
denen der gemeinen bürgerlichen Menschheit. Man hat sich ge¬
wöhnt, darüber zu lachen. Allein vom physiologischen Standpunkt
nimmt sich die Sache ernsthafter aus. Man bedenke nur, wie viel
Schwarz- und Rothwild die Ahnen aller adeligen Familien von
jeher verzehrt haben: daß die Faustritter am liebsten erjagte Wild¬
schweine und Hirsche aßen, während die adeligen Damen zarte
Rehe oder wilde Enten in sich aufnahmen, und man wird es nicht
unwahrscheinlich finden, daß zwischen dem Charakter des adeligen
und bürgerlichen Blutes ein Unterschied sein mag, wie zwischen dem
zahmen friedlichen Hausthier und den Bewohnern des Waldes.
Genug, die culturhistorische Bedeutung der Küche ist anerkannt und
wir dürfen es daher als eine folgenreiche, hochwichtige Neuerung
ansehen, wenn Tausende und aber Tausende Kinder Frankreichs
anfangen, Roastbeef zu essen uno Grog oder Bier zu trinken.
Auf die Nothwendigkeit einer Küchenreform für die französi¬
schen Arbeiter wurde man zuerst im Jahre 1841 beim Bau der
Rouener Eisenbahn aufmerksam gemacht. Mit den englischen In¬
genieuren, welche die Eisenbahncompagnie bestellt hatte, waren auch
viele englische Arbeiter nach Frankreich gekommen, und man be¬
merkte, daß dieselben rascher und besser arbeiten als die französi¬
schen. Anfangs mußte man die Ursache in der größern Uebung
und in den vollkommenem Werkzeugen der Engländer suchen. —
t»
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |