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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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und Actienwnth, die ein Muttermaal des Zeitalters überhaupt ist,
zeigt von jener Metamorphose. Nicht auf den Boulevards sieht
man den "Marsch der Civilisation" und die Moden sind oft nur
eine unwillkürliche Carricatur, eine satyrische Maskerade des Volkö-
und Zeitgeistes. Der flüchtige Beobachter sieht die wilde Jagd
herkömmlicher Vorurtheile und Leidenschaften, die mit alten Fah¬
nen und Devisen sich über den Pariser Weltmarkt treibt, ohnmäch¬
tig und unfruchtbar sich im Kreise drehend. Man muß in das
Innere der Häuser und Werkstätten treten, man muß in die un¬
tern Volksschulen heruntersteigen, um zu erkennen, was sich vor¬
bereitet. Während die Chöre der Journalisten dies- und jenseits
des Canals sich gegenseitig die altnationalen Stich- und Schimpf¬
wörter zurufen, fangen die ernstern, die schaffenden und ordnenden
Geister beider Nationen an, sich zu verständigen und von einander
zu lernen. Daß Frankreich nicht ohne Einfluß auf seinen stolzen
Nebenbuhler geblieben ist, das offenbart sich unter Anderm ziemlich
offen in jenen kühnen Centralisationstendenzen, welche die eigentlich
moderne und wichtige Seite des Peel'schen Reformplanes bilden.
Die englischen Einflüsse auf Frankreich sind mannigfacher Art. Ich
will diesmal nur auf zwei interessante Erscheinungen hinweisen.

Eine Anglomanie sehr blinder Natur beginnt unter den ar¬
beitenden Classen des französischen Volkes zu grassiren. Industrie
und Fabrikation greifen immer mehr um sich, und der Arbeiter,
der mit dem englischen wetteifern soll, will auch essen, wie der
Engländer. Roastbeef ist zwar eine fremde Erfindung, aber Roast¬
beef schmeckt, Roastbeef ist ein gewaltiger Propagandist. Die pi¬
kante französische Küche ist gut für den Magen des feurigen Ga-
mins, des müßigen Flaneurs, des lustigen Vaudevillisten, der eine
leichte würzige Nahrung braucht, damit sein Blut stets in Wal¬
lung und sein Hirn stets in Spannung bleiben, aber sie reicht nicht
aus für den modernen Cyklopen und seine schwer anhaltende Rie¬
senarbeit. Die Aerzte sind darüber einig, daß man dem französi¬
schen Proletarier eine andere Diät, als die bisherige, vorschreiben
muß. Glauben Sie aber nicht, daß das eine Kleinigkeit ist und
nennen Sie es nicht einen burlesken Sprung, wenn ich dem Auf¬
tauchen französischer Centralisationsideell in England ein englisches
Küchen-Regime in Frankreich entgegensetze. Der Mensch ist eine


und Actienwnth, die ein Muttermaal des Zeitalters überhaupt ist,
zeigt von jener Metamorphose. Nicht auf den Boulevards sieht
man den „Marsch der Civilisation" und die Moden sind oft nur
eine unwillkürliche Carricatur, eine satyrische Maskerade des Volkö-
und Zeitgeistes. Der flüchtige Beobachter sieht die wilde Jagd
herkömmlicher Vorurtheile und Leidenschaften, die mit alten Fah¬
nen und Devisen sich über den Pariser Weltmarkt treibt, ohnmäch¬
tig und unfruchtbar sich im Kreise drehend. Man muß in das
Innere der Häuser und Werkstätten treten, man muß in die un¬
tern Volksschulen heruntersteigen, um zu erkennen, was sich vor¬
bereitet. Während die Chöre der Journalisten dies- und jenseits
des Canals sich gegenseitig die altnationalen Stich- und Schimpf¬
wörter zurufen, fangen die ernstern, die schaffenden und ordnenden
Geister beider Nationen an, sich zu verständigen und von einander
zu lernen. Daß Frankreich nicht ohne Einfluß auf seinen stolzen
Nebenbuhler geblieben ist, das offenbart sich unter Anderm ziemlich
offen in jenen kühnen Centralisationstendenzen, welche die eigentlich
moderne und wichtige Seite des Peel'schen Reformplanes bilden.
Die englischen Einflüsse auf Frankreich sind mannigfacher Art. Ich
will diesmal nur auf zwei interessante Erscheinungen hinweisen.

Eine Anglomanie sehr blinder Natur beginnt unter den ar¬
beitenden Classen des französischen Volkes zu grassiren. Industrie
und Fabrikation greifen immer mehr um sich, und der Arbeiter,
der mit dem englischen wetteifern soll, will auch essen, wie der
Engländer. Roastbeef ist zwar eine fremde Erfindung, aber Roast¬
beef schmeckt, Roastbeef ist ein gewaltiger Propagandist. Die pi¬
kante französische Küche ist gut für den Magen des feurigen Ga-
mins, des müßigen Flaneurs, des lustigen Vaudevillisten, der eine
leichte würzige Nahrung braucht, damit sein Blut stets in Wal¬
lung und sein Hirn stets in Spannung bleiben, aber sie reicht nicht
aus für den modernen Cyklopen und seine schwer anhaltende Rie¬
senarbeit. Die Aerzte sind darüber einig, daß man dem französi¬
schen Proletarier eine andere Diät, als die bisherige, vorschreiben
muß. Glauben Sie aber nicht, daß das eine Kleinigkeit ist und
nennen Sie es nicht einen burlesken Sprung, wenn ich dem Auf¬
tauchen französischer Centralisationsideell in England ein englisches
Küchen-Regime in Frankreich entgegensetze. Der Mensch ist eine


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[0006] und Actienwnth, die ein Muttermaal des Zeitalters überhaupt ist, zeigt von jener Metamorphose. Nicht auf den Boulevards sieht man den „Marsch der Civilisation" und die Moden sind oft nur eine unwillkürliche Carricatur, eine satyrische Maskerade des Volkö- und Zeitgeistes. Der flüchtige Beobachter sieht die wilde Jagd herkömmlicher Vorurtheile und Leidenschaften, die mit alten Fah¬ nen und Devisen sich über den Pariser Weltmarkt treibt, ohnmäch¬ tig und unfruchtbar sich im Kreise drehend. Man muß in das Innere der Häuser und Werkstätten treten, man muß in die un¬ tern Volksschulen heruntersteigen, um zu erkennen, was sich vor¬ bereitet. Während die Chöre der Journalisten dies- und jenseits des Canals sich gegenseitig die altnationalen Stich- und Schimpf¬ wörter zurufen, fangen die ernstern, die schaffenden und ordnenden Geister beider Nationen an, sich zu verständigen und von einander zu lernen. Daß Frankreich nicht ohne Einfluß auf seinen stolzen Nebenbuhler geblieben ist, das offenbart sich unter Anderm ziemlich offen in jenen kühnen Centralisationstendenzen, welche die eigentlich moderne und wichtige Seite des Peel'schen Reformplanes bilden. Die englischen Einflüsse auf Frankreich sind mannigfacher Art. Ich will diesmal nur auf zwei interessante Erscheinungen hinweisen. Eine Anglomanie sehr blinder Natur beginnt unter den ar¬ beitenden Classen des französischen Volkes zu grassiren. Industrie und Fabrikation greifen immer mehr um sich, und der Arbeiter, der mit dem englischen wetteifern soll, will auch essen, wie der Engländer. Roastbeef ist zwar eine fremde Erfindung, aber Roast¬ beef schmeckt, Roastbeef ist ein gewaltiger Propagandist. Die pi¬ kante französische Küche ist gut für den Magen des feurigen Ga- mins, des müßigen Flaneurs, des lustigen Vaudevillisten, der eine leichte würzige Nahrung braucht, damit sein Blut stets in Wal¬ lung und sein Hirn stets in Spannung bleiben, aber sie reicht nicht aus für den modernen Cyklopen und seine schwer anhaltende Rie¬ senarbeit. Die Aerzte sind darüber einig, daß man dem französi¬ schen Proletarier eine andere Diät, als die bisherige, vorschreiben muß. Glauben Sie aber nicht, daß das eine Kleinigkeit ist und nennen Sie es nicht einen burlesken Sprung, wenn ich dem Auf¬ tauchen französischer Centralisationsideell in England ein englisches Küchen-Regime in Frankreich entgegensetze. Der Mensch ist eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/6>, abgerufen am 24.11.2024.