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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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letzten Winter hindurch (in mehreren 100 Aufführungen), mit der
ernstesten Rührung "I'Li",.ir-l!", das heißt: Napoleon's Heldentha¬
ten, wie er mit circa sieben Statisten zu Pferde die ganze preußische
Armee auseinander sprengt, und verschiedene, höchst ergreifende
Erempel eines wahrhaft bürgerlichen Edelsinns ablegt. Einen Ar¬
beiter in schmuzigen Kittel sah ich vor Freude weinen. -- Freilich
ist dabei nicht zu vergessen, daß nur derjenige Theil der niedrigsten
Volksklassen die Theater besucht, welcher sich satt zu essen pflegt
Es heißt nicht blos: "?""t mimmos virtus!" sondern auch: "Pn5t
venti-om zmti-la!" -- Oder überhaupt: Erst muß der Körper befrie¬
digt sein, ehe der Geist und die Begeisterung ihre Rechte geltend
machen können. Im Allgemeinen sucht Louis Philipp die Ruhm¬
sucht durch die Prachtliebe zu verdrängen. Keine Negierung hat
mehr gebaut, mehr malen und bildhauen lassen. Aber der Geist
der Schönheit gehorcht ihm nur, wo die Pracht dem Ruhme dient,
wie bei den Triumphbogen der Barriere de l'Etoile, der wahrhaft
gelungen ist. Und dieser Triumphbogen verherrlicht doch wahrlich
Napoleon mehr als Louis Philipp i. -- Aber diese kleinen Mit¬
telchen der Herrschaft laufen hinaus auf das Budget, die Civilliste,
die Dotationen, die geheimen Fonds; es ist wahr, daß der kleine
Bürger dieses Regime hält, aber die Banquiers herrschen darin.
Der Epicier ist selten reich genug zum Wähler, oder gar zum Wähl¬
baren. Auch die "vloii-o mttioimlv" sitzt nicht in den Kammern
und wird darin weder gesucht noch vertreten; dennoch, ehe das
Budget des Kriegsministeriums debattirt wird, muß gewöhnlich erst
eine kleine Niederlage aus Algier gemeldet werden, damit die Gesetz¬
geber zu jedem Opfer bereit seien. So gerne vielleicht dieses kost¬
spielige Gouvernement seinen kostspieligen Ruhm in Algier wieder
aufgäbe, wenn es dürfte, da bei diesem Kriege, weder räumlich noch
zeitlich, Ziel oder Grenze abzusehen ist, so weiß man doch recht gut,
daß unter Afrika's glühender Sonne die Löwen großgezogen wer¬
den, denen dereinst der Krieg am Rhein ein bloßes Kinderspiel sein
wird. Zwar fand ein preußischer Lieutenant meiner Bekanntschaft,
der in Paris Austern, Straßen und Truppen studirte, die zurück¬
gekehrten Chasseurs d'Afrique höchst schlecht einexercirt. Diese ein-
getenfelten Soldaten, die klettern wie die Katzen, hungern und dur¬
sten können, wie Kameele, und Tagemarsche machen, wie Drone-


letzten Winter hindurch (in mehreren 100 Aufführungen), mit der
ernstesten Rührung „I'Li»,.ir-l!«, das heißt: Napoleon's Heldentha¬
ten, wie er mit circa sieben Statisten zu Pferde die ganze preußische
Armee auseinander sprengt, und verschiedene, höchst ergreifende
Erempel eines wahrhaft bürgerlichen Edelsinns ablegt. Einen Ar¬
beiter in schmuzigen Kittel sah ich vor Freude weinen. — Freilich
ist dabei nicht zu vergessen, daß nur derjenige Theil der niedrigsten
Volksklassen die Theater besucht, welcher sich satt zu essen pflegt
Es heißt nicht blos: „?»»t mimmos virtus!" sondern auch: „Pn5t
venti-om zmti-la!" — Oder überhaupt: Erst muß der Körper befrie¬
digt sein, ehe der Geist und die Begeisterung ihre Rechte geltend
machen können. Im Allgemeinen sucht Louis Philipp die Ruhm¬
sucht durch die Prachtliebe zu verdrängen. Keine Negierung hat
mehr gebaut, mehr malen und bildhauen lassen. Aber der Geist
der Schönheit gehorcht ihm nur, wo die Pracht dem Ruhme dient,
wie bei den Triumphbogen der Barriere de l'Etoile, der wahrhaft
gelungen ist. Und dieser Triumphbogen verherrlicht doch wahrlich
Napoleon mehr als Louis Philipp i. — Aber diese kleinen Mit¬
telchen der Herrschaft laufen hinaus auf das Budget, die Civilliste,
die Dotationen, die geheimen Fonds; es ist wahr, daß der kleine
Bürger dieses Regime hält, aber die Banquiers herrschen darin.
Der Epicier ist selten reich genug zum Wähler, oder gar zum Wähl¬
baren. Auch die „vloii-o mttioimlv" sitzt nicht in den Kammern
und wird darin weder gesucht noch vertreten; dennoch, ehe das
Budget des Kriegsministeriums debattirt wird, muß gewöhnlich erst
eine kleine Niederlage aus Algier gemeldet werden, damit die Gesetz¬
geber zu jedem Opfer bereit seien. So gerne vielleicht dieses kost¬
spielige Gouvernement seinen kostspieligen Ruhm in Algier wieder
aufgäbe, wenn es dürfte, da bei diesem Kriege, weder räumlich noch
zeitlich, Ziel oder Grenze abzusehen ist, so weiß man doch recht gut,
daß unter Afrika's glühender Sonne die Löwen großgezogen wer¬
den, denen dereinst der Krieg am Rhein ein bloßes Kinderspiel sein
wird. Zwar fand ein preußischer Lieutenant meiner Bekanntschaft,
der in Paris Austern, Straßen und Truppen studirte, die zurück¬
gekehrten Chasseurs d'Afrique höchst schlecht einexercirt. Diese ein-
getenfelten Soldaten, die klettern wie die Katzen, hungern und dur¬
sten können, wie Kameele, und Tagemarsche machen, wie Drone-


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[0067] letzten Winter hindurch (in mehreren 100 Aufführungen), mit der ernstesten Rührung „I'Li»,.ir-l!«, das heißt: Napoleon's Heldentha¬ ten, wie er mit circa sieben Statisten zu Pferde die ganze preußische Armee auseinander sprengt, und verschiedene, höchst ergreifende Erempel eines wahrhaft bürgerlichen Edelsinns ablegt. Einen Ar¬ beiter in schmuzigen Kittel sah ich vor Freude weinen. — Freilich ist dabei nicht zu vergessen, daß nur derjenige Theil der niedrigsten Volksklassen die Theater besucht, welcher sich satt zu essen pflegt Es heißt nicht blos: „?»»t mimmos virtus!" sondern auch: „Pn5t venti-om zmti-la!" — Oder überhaupt: Erst muß der Körper befrie¬ digt sein, ehe der Geist und die Begeisterung ihre Rechte geltend machen können. Im Allgemeinen sucht Louis Philipp die Ruhm¬ sucht durch die Prachtliebe zu verdrängen. Keine Negierung hat mehr gebaut, mehr malen und bildhauen lassen. Aber der Geist der Schönheit gehorcht ihm nur, wo die Pracht dem Ruhme dient, wie bei den Triumphbogen der Barriere de l'Etoile, der wahrhaft gelungen ist. Und dieser Triumphbogen verherrlicht doch wahrlich Napoleon mehr als Louis Philipp i. — Aber diese kleinen Mit¬ telchen der Herrschaft laufen hinaus auf das Budget, die Civilliste, die Dotationen, die geheimen Fonds; es ist wahr, daß der kleine Bürger dieses Regime hält, aber die Banquiers herrschen darin. Der Epicier ist selten reich genug zum Wähler, oder gar zum Wähl¬ baren. Auch die „vloii-o mttioimlv" sitzt nicht in den Kammern und wird darin weder gesucht noch vertreten; dennoch, ehe das Budget des Kriegsministeriums debattirt wird, muß gewöhnlich erst eine kleine Niederlage aus Algier gemeldet werden, damit die Gesetz¬ geber zu jedem Opfer bereit seien. So gerne vielleicht dieses kost¬ spielige Gouvernement seinen kostspieligen Ruhm in Algier wieder aufgäbe, wenn es dürfte, da bei diesem Kriege, weder räumlich noch zeitlich, Ziel oder Grenze abzusehen ist, so weiß man doch recht gut, daß unter Afrika's glühender Sonne die Löwen großgezogen wer¬ den, denen dereinst der Krieg am Rhein ein bloßes Kinderspiel sein wird. Zwar fand ein preußischer Lieutenant meiner Bekanntschaft, der in Paris Austern, Straßen und Truppen studirte, die zurück¬ gekehrten Chasseurs d'Afrique höchst schlecht einexercirt. Diese ein- getenfelten Soldaten, die klettern wie die Katzen, hungern und dur¬ sten können, wie Kameele, und Tagemarsche machen, wie Drone-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/67>, abgerufen am 29.06.2024.