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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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das französische Rekrutirungssystcm, wo der Reiche sich sicher los¬
kauft, und der Aermere gleichsam mit dem Satan um seine arme
Seele Halme zieht?! Die reichen Leute schaffen das nicht ab. Gilt
ja doch auch nach demselben französischen Rechte Armuth und Hei-
mathlosigkeit für ein Vergehen (Mit)! -- Ferner: der Unterricht
der Hochschulen ist in ganz Frankreich unentgeltlich, während der
Volksunterricht schweres Geld kostet und dazu schlecht ist; freilich
ist jener für die vermögenden, dieser für die Dürftigen. Freilich
kosten die Universitätsprüfungen desto mehr, aber wem? Nur dem¬
jenigen, der einen Stand, ein Gewerbe ergreifen muß, nicht dem
eleganten jungen Mann, <>>ü l>ut so" "kron, um mehr Chancen zur
Deputirtenwahl oder Pairs-Ernennung in sich zu vereinigen. --
Und welche Rohheiten, welche Barbareien beherbergt noch heute
das französische Strafrecht? -- Noch gar oft sieht man den Pran¬
ger besetzt, der doch gewiß zu den unsinnigsten Strafarten gehört,
da er jedem vernünftigen Zweck der Strafe direct entgegenwirkt;
denn diese heillose Oeffentlichkeit der Strafe straft den Ehrlosen
am wenigsten und erstickt in den Besserungsfähigenden letzten Keim
der Ehre. -- Freilich ist eine solche Ausstellung am Pillori ein
sehr wohlfeiles Volksvergnügen, und das gilt hier viel! -- Eine
große Pöbelmasse, die wie jede schreiend: "I'-mem ot Oircouses"
verlangt, wird leichter durch Circenseö hinzuhalten sein, als sie
durch Panem befriedigt werden kann. Zu den hauptsächlichsten
Zerstreuungsmitteln des Pöbels gehört denn auch der Krieg in Afrika.
Er führt nicht blos die ruinirten Lions und andere unreine Säfte
der Gesellschaft ab, er beschäftigt auch die Phantasie mit nationaler
Größe und hat gewiß schon manche Emeute vermieden. Denn poli¬
tische Bewegungen gehen eben so sehr aus Thatendrang hervor,
als aus Freiheitstrieb. Wie wird aber auch Algier ausgebeutet!
Am 1. Mai, dem Namenstag des Königs, sieht das Volk die
Schlacht von Jsly auf den elyseischen Feldern unentgeltlich; es hört
sie jeden Abend in gewissen Volkstheatern preisen; Kneipen und
Hotels heißen darnach.

Man begegnet der Schlacht am Jsly oder der Beschießung von
Tanger fast so oft, als dem überall hingestellten Bildniß des Kö¬
nigs. Die nationale Ruhmsucht stirbt freilich so rasch nicht aus;
im Cirque bewunderte und beklatschte das Volk noch den ganzen


das französische Rekrutirungssystcm, wo der Reiche sich sicher los¬
kauft, und der Aermere gleichsam mit dem Satan um seine arme
Seele Halme zieht?! Die reichen Leute schaffen das nicht ab. Gilt
ja doch auch nach demselben französischen Rechte Armuth und Hei-
mathlosigkeit für ein Vergehen (Mit)! — Ferner: der Unterricht
der Hochschulen ist in ganz Frankreich unentgeltlich, während der
Volksunterricht schweres Geld kostet und dazu schlecht ist; freilich
ist jener für die vermögenden, dieser für die Dürftigen. Freilich
kosten die Universitätsprüfungen desto mehr, aber wem? Nur dem¬
jenigen, der einen Stand, ein Gewerbe ergreifen muß, nicht dem
eleganten jungen Mann, <>>ü l>ut so» «kron, um mehr Chancen zur
Deputirtenwahl oder Pairs-Ernennung in sich zu vereinigen. —
Und welche Rohheiten, welche Barbareien beherbergt noch heute
das französische Strafrecht? — Noch gar oft sieht man den Pran¬
ger besetzt, der doch gewiß zu den unsinnigsten Strafarten gehört,
da er jedem vernünftigen Zweck der Strafe direct entgegenwirkt;
denn diese heillose Oeffentlichkeit der Strafe straft den Ehrlosen
am wenigsten und erstickt in den Besserungsfähigenden letzten Keim
der Ehre. — Freilich ist eine solche Ausstellung am Pillori ein
sehr wohlfeiles Volksvergnügen, und das gilt hier viel! — Eine
große Pöbelmasse, die wie jede schreiend: „I'-mem ot Oircouses"
verlangt, wird leichter durch Circenseö hinzuhalten sein, als sie
durch Panem befriedigt werden kann. Zu den hauptsächlichsten
Zerstreuungsmitteln des Pöbels gehört denn auch der Krieg in Afrika.
Er führt nicht blos die ruinirten Lions und andere unreine Säfte
der Gesellschaft ab, er beschäftigt auch die Phantasie mit nationaler
Größe und hat gewiß schon manche Emeute vermieden. Denn poli¬
tische Bewegungen gehen eben so sehr aus Thatendrang hervor,
als aus Freiheitstrieb. Wie wird aber auch Algier ausgebeutet!
Am 1. Mai, dem Namenstag des Königs, sieht das Volk die
Schlacht von Jsly auf den elyseischen Feldern unentgeltlich; es hört
sie jeden Abend in gewissen Volkstheatern preisen; Kneipen und
Hotels heißen darnach.

Man begegnet der Schlacht am Jsly oder der Beschießung von
Tanger fast so oft, als dem überall hingestellten Bildniß des Kö¬
nigs. Die nationale Ruhmsucht stirbt freilich so rasch nicht aus;
im Cirque bewunderte und beklatschte das Volk noch den ganzen


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[0066] das französische Rekrutirungssystcm, wo der Reiche sich sicher los¬ kauft, und der Aermere gleichsam mit dem Satan um seine arme Seele Halme zieht?! Die reichen Leute schaffen das nicht ab. Gilt ja doch auch nach demselben französischen Rechte Armuth und Hei- mathlosigkeit für ein Vergehen (Mit)! — Ferner: der Unterricht der Hochschulen ist in ganz Frankreich unentgeltlich, während der Volksunterricht schweres Geld kostet und dazu schlecht ist; freilich ist jener für die vermögenden, dieser für die Dürftigen. Freilich kosten die Universitätsprüfungen desto mehr, aber wem? Nur dem¬ jenigen, der einen Stand, ein Gewerbe ergreifen muß, nicht dem eleganten jungen Mann, <>>ü l>ut so» «kron, um mehr Chancen zur Deputirtenwahl oder Pairs-Ernennung in sich zu vereinigen. — Und welche Rohheiten, welche Barbareien beherbergt noch heute das französische Strafrecht? — Noch gar oft sieht man den Pran¬ ger besetzt, der doch gewiß zu den unsinnigsten Strafarten gehört, da er jedem vernünftigen Zweck der Strafe direct entgegenwirkt; denn diese heillose Oeffentlichkeit der Strafe straft den Ehrlosen am wenigsten und erstickt in den Besserungsfähigenden letzten Keim der Ehre. — Freilich ist eine solche Ausstellung am Pillori ein sehr wohlfeiles Volksvergnügen, und das gilt hier viel! — Eine große Pöbelmasse, die wie jede schreiend: „I'-mem ot Oircouses" verlangt, wird leichter durch Circenseö hinzuhalten sein, als sie durch Panem befriedigt werden kann. Zu den hauptsächlichsten Zerstreuungsmitteln des Pöbels gehört denn auch der Krieg in Afrika. Er führt nicht blos die ruinirten Lions und andere unreine Säfte der Gesellschaft ab, er beschäftigt auch die Phantasie mit nationaler Größe und hat gewiß schon manche Emeute vermieden. Denn poli¬ tische Bewegungen gehen eben so sehr aus Thatendrang hervor, als aus Freiheitstrieb. Wie wird aber auch Algier ausgebeutet! Am 1. Mai, dem Namenstag des Königs, sieht das Volk die Schlacht von Jsly auf den elyseischen Feldern unentgeltlich; es hört sie jeden Abend in gewissen Volkstheatern preisen; Kneipen und Hotels heißen darnach. Man begegnet der Schlacht am Jsly oder der Beschießung von Tanger fast so oft, als dem überall hingestellten Bildniß des Kö¬ nigs. Die nationale Ruhmsucht stirbt freilich so rasch nicht aus; im Cirque bewunderte und beklatschte das Volk noch den ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/66>, abgerufen am 26.06.2024.