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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Bild reihen können zu einem Ganzen. Dieses "Auösichteröffnen," um
mich so auszudrücken, ist eS, was die vorliegende Biographie Huttens,
hinsichtlich seines politischen Charakters vermissen läßt. Der Verfas¬
ser hätte uns in der historischen Wirklichkeit, die wir mit ihm durch¬
wandern, zu Punkten führen sollen, von denen uns ein Blick in die
Zukunft, unsre Gegenwart, sich eröffnen mußte. Und wäre es nur
ein kurzer Gedanke, eine umgedrehte Reminiscenz, ein Wort, eine Jahr¬
zahl gewesen -- diese Streiflichter würden die effectreichsten Licht-und
Schattenwirkungen über sein Gemälde gezaubert haben. Im Interesse
des Verfassers ist es nur zu bedauern, daß er diese Vortheile für sein
Werk nicht hat aufgreifen wollen; es erscheint von dieser Seite wie
ein Oelbild, dem der Firniß fehlt.

Von welchen Beweggründen der Verfasser sich hierbei hat leiten
und bestimmen lassen, ist an diesem Orte nicht weiter zu erörtern, da
wir es nur mit dem Buche zu thun haben, wie es fertig vor uns
liegt.

In dieser objectiven Gestalt ist es aber in jeder Beziehung eine
sehr verdienstvolle Monographie zu nennen. Das Bild des Ritters,
welches sich theils aus der schlichten Erzählung seiner Lebensbegeb-
nifse, theils aber und hauptsächlich aus den vielfachen Bruchstücken
seiner Schriften dem Leser componirt, tritt in einer klaren und leicht-
saßlichen Totalität aus dem Nahmen des Buches. Ueber seine Rast¬
losigkeit im Handeln, Bewegen und Schaffen reflectirt der Versasser
sehr treffend.

"Es gibt gewisse Geister, die in ruhigen und geordneten Ver¬
hältnissen nicht aushalten können; sie finden auf die Dauer keine
Nahrung und Befriedigung darin und würden in ihrer Wirksamkeit
gelähmt werden, sie müssen immer neue Zustände und Mensche" vor¬
buchen und durch ihr Erscheinen und manche neue anregende Mitthei¬
lung Leben und Bewegung unter dieselben bringen; so wächst ihr
Einfluß, ihre Bedeutung. Sie sind frische, fortstrvmende Quellen, die
sich nicht in stehende Teiche verlaufen, sondern als Bäche und Flüsse
in eigner, fortdrängender Gewalt in die Ferne eilen, den Gegenden,
die sie durchlaufen, Leben und Erfrischung bringen und viel gemeine
und viel kostbare Lasten tragend, ohne sich selbst zu schaden, Schmuz
und Unrath in ihrer wachsenden Gewalt mit sich fortführen."

Für den zeitgeschichtlichen Hintergrund ist namentlich Ranke's
Geschichte der Reformation, für die rein biographischen Partien aber
theils die Lebensbeschreibung Hutten's von Meiners, theils Hagen's


Bild reihen können zu einem Ganzen. Dieses „Auösichteröffnen," um
mich so auszudrücken, ist eS, was die vorliegende Biographie Huttens,
hinsichtlich seines politischen Charakters vermissen läßt. Der Verfas¬
ser hätte uns in der historischen Wirklichkeit, die wir mit ihm durch¬
wandern, zu Punkten führen sollen, von denen uns ein Blick in die
Zukunft, unsre Gegenwart, sich eröffnen mußte. Und wäre es nur
ein kurzer Gedanke, eine umgedrehte Reminiscenz, ein Wort, eine Jahr¬
zahl gewesen — diese Streiflichter würden die effectreichsten Licht-und
Schattenwirkungen über sein Gemälde gezaubert haben. Im Interesse
des Verfassers ist es nur zu bedauern, daß er diese Vortheile für sein
Werk nicht hat aufgreifen wollen; es erscheint von dieser Seite wie
ein Oelbild, dem der Firniß fehlt.

Von welchen Beweggründen der Verfasser sich hierbei hat leiten
und bestimmen lassen, ist an diesem Orte nicht weiter zu erörtern, da
wir es nur mit dem Buche zu thun haben, wie es fertig vor uns
liegt.

In dieser objectiven Gestalt ist es aber in jeder Beziehung eine
sehr verdienstvolle Monographie zu nennen. Das Bild des Ritters,
welches sich theils aus der schlichten Erzählung seiner Lebensbegeb-
nifse, theils aber und hauptsächlich aus den vielfachen Bruchstücken
seiner Schriften dem Leser componirt, tritt in einer klaren und leicht-
saßlichen Totalität aus dem Nahmen des Buches. Ueber seine Rast¬
losigkeit im Handeln, Bewegen und Schaffen reflectirt der Versasser
sehr treffend.

„Es gibt gewisse Geister, die in ruhigen und geordneten Ver¬
hältnissen nicht aushalten können; sie finden auf die Dauer keine
Nahrung und Befriedigung darin und würden in ihrer Wirksamkeit
gelähmt werden, sie müssen immer neue Zustände und Mensche» vor¬
buchen und durch ihr Erscheinen und manche neue anregende Mitthei¬
lung Leben und Bewegung unter dieselben bringen; so wächst ihr
Einfluß, ihre Bedeutung. Sie sind frische, fortstrvmende Quellen, die
sich nicht in stehende Teiche verlaufen, sondern als Bäche und Flüsse
in eigner, fortdrängender Gewalt in die Ferne eilen, den Gegenden,
die sie durchlaufen, Leben und Erfrischung bringen und viel gemeine
und viel kostbare Lasten tragend, ohne sich selbst zu schaden, Schmuz
und Unrath in ihrer wachsenden Gewalt mit sich fortführen."

Für den zeitgeschichtlichen Hintergrund ist namentlich Ranke's
Geschichte der Reformation, für die rein biographischen Partien aber
theils die Lebensbeschreibung Hutten's von Meiners, theils Hagen's


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[0573] Bild reihen können zu einem Ganzen. Dieses „Auösichteröffnen," um mich so auszudrücken, ist eS, was die vorliegende Biographie Huttens, hinsichtlich seines politischen Charakters vermissen läßt. Der Verfas¬ ser hätte uns in der historischen Wirklichkeit, die wir mit ihm durch¬ wandern, zu Punkten führen sollen, von denen uns ein Blick in die Zukunft, unsre Gegenwart, sich eröffnen mußte. Und wäre es nur ein kurzer Gedanke, eine umgedrehte Reminiscenz, ein Wort, eine Jahr¬ zahl gewesen — diese Streiflichter würden die effectreichsten Licht-und Schattenwirkungen über sein Gemälde gezaubert haben. Im Interesse des Verfassers ist es nur zu bedauern, daß er diese Vortheile für sein Werk nicht hat aufgreifen wollen; es erscheint von dieser Seite wie ein Oelbild, dem der Firniß fehlt. Von welchen Beweggründen der Verfasser sich hierbei hat leiten und bestimmen lassen, ist an diesem Orte nicht weiter zu erörtern, da wir es nur mit dem Buche zu thun haben, wie es fertig vor uns liegt. In dieser objectiven Gestalt ist es aber in jeder Beziehung eine sehr verdienstvolle Monographie zu nennen. Das Bild des Ritters, welches sich theils aus der schlichten Erzählung seiner Lebensbegeb- nifse, theils aber und hauptsächlich aus den vielfachen Bruchstücken seiner Schriften dem Leser componirt, tritt in einer klaren und leicht- saßlichen Totalität aus dem Nahmen des Buches. Ueber seine Rast¬ losigkeit im Handeln, Bewegen und Schaffen reflectirt der Versasser sehr treffend. „Es gibt gewisse Geister, die in ruhigen und geordneten Ver¬ hältnissen nicht aushalten können; sie finden auf die Dauer keine Nahrung und Befriedigung darin und würden in ihrer Wirksamkeit gelähmt werden, sie müssen immer neue Zustände und Mensche» vor¬ buchen und durch ihr Erscheinen und manche neue anregende Mitthei¬ lung Leben und Bewegung unter dieselben bringen; so wächst ihr Einfluß, ihre Bedeutung. Sie sind frische, fortstrvmende Quellen, die sich nicht in stehende Teiche verlaufen, sondern als Bäche und Flüsse in eigner, fortdrängender Gewalt in die Ferne eilen, den Gegenden, die sie durchlaufen, Leben und Erfrischung bringen und viel gemeine und viel kostbare Lasten tragend, ohne sich selbst zu schaden, Schmuz und Unrath in ihrer wachsenden Gewalt mit sich fortführen." Für den zeitgeschichtlichen Hintergrund ist namentlich Ranke's Geschichte der Reformation, für die rein biographischen Partien aber theils die Lebensbeschreibung Hutten's von Meiners, theils Hagen's

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/573>, abgerufen am 24.11.2024.