Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Das alte Gewächs perlte in das schöne Kelchglas und von da in
meinen noch schönern Mund. Erst nach geraumer Zeit fiel es mir
ein, daß mein Herr Commilitone recht lange auf sich warten
lasse, ich tröstete mich aber sehr gut darüber, indem ich ihn dadurch
strafte, daß ich den alten Tokayer nach und nach auf fremden Boden
verpflanzte. Als aber der letzte Tropfen aus der Flasche geschwun¬
den, ward ich über das Außenbleiben des Doctors etwas ärgerlich,
indessen konnte ihm irgend ein Unglück an seinem Costüme begegnet
sein, ich wartete also ruhig. Die Ballmusik rauschte vernehmlich in
mein Cabinet herein, ich vertrieb mir die Langeweile durch Aufführung
eines Solocontretanzes. Da mir ein Beifall zollendes Publicum
fehlte, belachte ich selber meine tollen Sprünge und kühnen Pas. Doch
als auch dieser Scherz endlich seinen Reiz verloren, beschloß ich, nicht
länger zu warten, ich setzte gravitätisch mein Barret auf die Stirne,
legte die Maske an und schritt der Thüre zu, ich konnte sie nicht öffnen-
Anfangs glaubte ich, der Herr Commilitone wollte sich ein Späßchen
machen, und halte von außen zu, ich rief daher beständig: "Herr l)r.
juri8, wenn Sie mich nicht herauslassen, trinke ich Ihren Tokayer
aus!" Aber kein or. juiis antwortete, die Thüre öffnete sich nicht,
trotzdem, daß ich mit Händen und Fäusten daran schlug.

"Eingeschlossen also?" rief ich wüthend, "und von wem? Bon
diesem Doctor aus der Residenz! Himmeldonnerwetter! Wenn das
in unserm Vereine bekannt würde, ich glaube sie lachten mich aus."

Mittlerweile hatte ich meine Besinnung in soweit wieder erlangt,
daß ich mir klar bewußt wurde, ich sei mit vier leeren Weinflaschen
in einem Cabinet eingesperrt worden, und daß ich auf alle mögliche
Weise aus meinem Gefängniß zu entwischen suchen müsse. Das ein¬
zige Fenster des Gemaches war ein sogenanntes blindes und seine
hellen Spiegelscheiben zeigten mir nur das Bild einer schwarzen Ge¬
stalt, die taumelnd im Zimmer umher schwankte.

Während ich nun an den düstern Schatten im Spiegel einige
philosophische Betrachtungen knüpfte, sehe ich neben mir eine ähnliche
Gestalt dürr und lang, init finsterm, dräuenden Blick. Es war näm¬
lich ein großes Gemälde an der Wand, welches in Lebensgröße irgend
einen berühmten Mann des ,17. Jahrhunderts darstellte. Das Bild
schien mir keinen künstlerischen Werth zu haben, an manchen Stellen
war sogar die Farbe bereits abgerieben und die nackte Leinwand sicht¬
bar. Was soll das Bild hier, fragte ich mich selbst, hier in der dun¬
keln Kammer, wo kein Tageslicht hereinbringt? Sollte vielleicht hinter


Das alte Gewächs perlte in das schöne Kelchglas und von da in
meinen noch schönern Mund. Erst nach geraumer Zeit fiel es mir
ein, daß mein Herr Commilitone recht lange auf sich warten
lasse, ich tröstete mich aber sehr gut darüber, indem ich ihn dadurch
strafte, daß ich den alten Tokayer nach und nach auf fremden Boden
verpflanzte. Als aber der letzte Tropfen aus der Flasche geschwun¬
den, ward ich über das Außenbleiben des Doctors etwas ärgerlich,
indessen konnte ihm irgend ein Unglück an seinem Costüme begegnet
sein, ich wartete also ruhig. Die Ballmusik rauschte vernehmlich in
mein Cabinet herein, ich vertrieb mir die Langeweile durch Aufführung
eines Solocontretanzes. Da mir ein Beifall zollendes Publicum
fehlte, belachte ich selber meine tollen Sprünge und kühnen Pas. Doch
als auch dieser Scherz endlich seinen Reiz verloren, beschloß ich, nicht
länger zu warten, ich setzte gravitätisch mein Barret auf die Stirne,
legte die Maske an und schritt der Thüre zu, ich konnte sie nicht öffnen-
Anfangs glaubte ich, der Herr Commilitone wollte sich ein Späßchen
machen, und halte von außen zu, ich rief daher beständig: „Herr l)r.
juri8, wenn Sie mich nicht herauslassen, trinke ich Ihren Tokayer
aus!" Aber kein or. juiis antwortete, die Thüre öffnete sich nicht,
trotzdem, daß ich mit Händen und Fäusten daran schlug.

„Eingeschlossen also?" rief ich wüthend, „und von wem? Bon
diesem Doctor aus der Residenz! Himmeldonnerwetter! Wenn das
in unserm Vereine bekannt würde, ich glaube sie lachten mich aus."

Mittlerweile hatte ich meine Besinnung in soweit wieder erlangt,
daß ich mir klar bewußt wurde, ich sei mit vier leeren Weinflaschen
in einem Cabinet eingesperrt worden, und daß ich auf alle mögliche
Weise aus meinem Gefängniß zu entwischen suchen müsse. Das ein¬
zige Fenster des Gemaches war ein sogenanntes blindes und seine
hellen Spiegelscheiben zeigten mir nur das Bild einer schwarzen Ge¬
stalt, die taumelnd im Zimmer umher schwankte.

Während ich nun an den düstern Schatten im Spiegel einige
philosophische Betrachtungen knüpfte, sehe ich neben mir eine ähnliche
Gestalt dürr und lang, init finsterm, dräuenden Blick. Es war näm¬
lich ein großes Gemälde an der Wand, welches in Lebensgröße irgend
einen berühmten Mann des ,17. Jahrhunderts darstellte. Das Bild
schien mir keinen künstlerischen Werth zu haben, an manchen Stellen
war sogar die Farbe bereits abgerieben und die nackte Leinwand sicht¬
bar. Was soll das Bild hier, fragte ich mich selbst, hier in der dun¬
keln Kammer, wo kein Tageslicht hereinbringt? Sollte vielleicht hinter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0562" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182985"/>
          <p xml:id="ID_1727"> Das alte Gewächs perlte in das schöne Kelchglas und von da in<lb/>
meinen noch schönern Mund. Erst nach geraumer Zeit fiel es mir<lb/>
ein, daß mein Herr Commilitone recht lange auf sich warten<lb/>
lasse, ich tröstete mich aber sehr gut darüber, indem ich ihn dadurch<lb/>
strafte, daß ich den alten Tokayer nach und nach auf fremden Boden<lb/>
verpflanzte. Als aber der letzte Tropfen aus der Flasche geschwun¬<lb/>
den, ward ich über das Außenbleiben des Doctors etwas ärgerlich,<lb/>
indessen konnte ihm irgend ein Unglück an seinem Costüme begegnet<lb/>
sein, ich wartete also ruhig. Die Ballmusik rauschte vernehmlich in<lb/>
mein Cabinet herein, ich vertrieb mir die Langeweile durch Aufführung<lb/>
eines Solocontretanzes. Da mir ein Beifall zollendes Publicum<lb/>
fehlte, belachte ich selber meine tollen Sprünge und kühnen Pas. Doch<lb/>
als auch dieser Scherz endlich seinen Reiz verloren, beschloß ich, nicht<lb/>
länger zu warten, ich setzte gravitätisch mein Barret auf die Stirne,<lb/>
legte die Maske an und schritt der Thüre zu, ich konnte sie nicht öffnen-<lb/>
Anfangs glaubte ich, der Herr Commilitone wollte sich ein Späßchen<lb/>
machen, und halte von außen zu, ich rief daher beständig: &#x201E;Herr l)r.<lb/>
juri8, wenn Sie mich nicht herauslassen, trinke ich Ihren Tokayer<lb/>
aus!" Aber kein or. juiis antwortete, die Thüre öffnete sich nicht,<lb/>
trotzdem, daß ich mit Händen und Fäusten daran schlug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1728"> &#x201E;Eingeschlossen also?" rief ich wüthend, &#x201E;und von wem? Bon<lb/>
diesem Doctor aus der Residenz! Himmeldonnerwetter! Wenn das<lb/>
in unserm Vereine bekannt würde, ich glaube sie lachten mich aus."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1729"> Mittlerweile hatte ich meine Besinnung in soweit wieder erlangt,<lb/>
daß ich mir klar bewußt wurde, ich sei mit vier leeren Weinflaschen<lb/>
in einem Cabinet eingesperrt worden, und daß ich auf alle mögliche<lb/>
Weise aus meinem Gefängniß zu entwischen suchen müsse. Das ein¬<lb/>
zige Fenster des Gemaches war ein sogenanntes blindes und seine<lb/>
hellen Spiegelscheiben zeigten mir nur das Bild einer schwarzen Ge¬<lb/>
stalt, die taumelnd im Zimmer umher schwankte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1730" next="#ID_1731"> Während ich nun an den düstern Schatten im Spiegel einige<lb/>
philosophische Betrachtungen knüpfte, sehe ich neben mir eine ähnliche<lb/>
Gestalt dürr und lang, init finsterm, dräuenden Blick. Es war näm¬<lb/>
lich ein großes Gemälde an der Wand, welches in Lebensgröße irgend<lb/>
einen berühmten Mann des ,17. Jahrhunderts darstellte. Das Bild<lb/>
schien mir keinen künstlerischen Werth zu haben, an manchen Stellen<lb/>
war sogar die Farbe bereits abgerieben und die nackte Leinwand sicht¬<lb/>
bar. Was soll das Bild hier, fragte ich mich selbst, hier in der dun¬<lb/>
keln Kammer, wo kein Tageslicht hereinbringt? Sollte vielleicht hinter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0562] Das alte Gewächs perlte in das schöne Kelchglas und von da in meinen noch schönern Mund. Erst nach geraumer Zeit fiel es mir ein, daß mein Herr Commilitone recht lange auf sich warten lasse, ich tröstete mich aber sehr gut darüber, indem ich ihn dadurch strafte, daß ich den alten Tokayer nach und nach auf fremden Boden verpflanzte. Als aber der letzte Tropfen aus der Flasche geschwun¬ den, ward ich über das Außenbleiben des Doctors etwas ärgerlich, indessen konnte ihm irgend ein Unglück an seinem Costüme begegnet sein, ich wartete also ruhig. Die Ballmusik rauschte vernehmlich in mein Cabinet herein, ich vertrieb mir die Langeweile durch Aufführung eines Solocontretanzes. Da mir ein Beifall zollendes Publicum fehlte, belachte ich selber meine tollen Sprünge und kühnen Pas. Doch als auch dieser Scherz endlich seinen Reiz verloren, beschloß ich, nicht länger zu warten, ich setzte gravitätisch mein Barret auf die Stirne, legte die Maske an und schritt der Thüre zu, ich konnte sie nicht öffnen- Anfangs glaubte ich, der Herr Commilitone wollte sich ein Späßchen machen, und halte von außen zu, ich rief daher beständig: „Herr l)r. juri8, wenn Sie mich nicht herauslassen, trinke ich Ihren Tokayer aus!" Aber kein or. juiis antwortete, die Thüre öffnete sich nicht, trotzdem, daß ich mit Händen und Fäusten daran schlug. „Eingeschlossen also?" rief ich wüthend, „und von wem? Bon diesem Doctor aus der Residenz! Himmeldonnerwetter! Wenn das in unserm Vereine bekannt würde, ich glaube sie lachten mich aus." Mittlerweile hatte ich meine Besinnung in soweit wieder erlangt, daß ich mir klar bewußt wurde, ich sei mit vier leeren Weinflaschen in einem Cabinet eingesperrt worden, und daß ich auf alle mögliche Weise aus meinem Gefängniß zu entwischen suchen müsse. Das ein¬ zige Fenster des Gemaches war ein sogenanntes blindes und seine hellen Spiegelscheiben zeigten mir nur das Bild einer schwarzen Ge¬ stalt, die taumelnd im Zimmer umher schwankte. Während ich nun an den düstern Schatten im Spiegel einige philosophische Betrachtungen knüpfte, sehe ich neben mir eine ähnliche Gestalt dürr und lang, init finsterm, dräuenden Blick. Es war näm¬ lich ein großes Gemälde an der Wand, welches in Lebensgröße irgend einen berühmten Mann des ,17. Jahrhunderts darstellte. Das Bild schien mir keinen künstlerischen Werth zu haben, an manchen Stellen war sogar die Farbe bereits abgerieben und die nackte Leinwand sicht¬ bar. Was soll das Bild hier, fragte ich mich selbst, hier in der dun¬ keln Kammer, wo kein Tageslicht hereinbringt? Sollte vielleicht hinter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/562
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/562>, abgerufen am 25.08.2024.