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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Mein neuer Bekannter belächelte die gute Zuversicht desProvin-
zialen, mußte aber zuletzt meiner überzeugenden Beredtsamkeit nachge¬
ben, und wir kamen zuletzt noch ein Mal auf das alte Thema, den
verunglückten Versuch, mir die Gunst Sr. Excellenz zu erringen. Der
Dr. M-is bat sich den Brief aus, den mir der Minister hatte schrei¬
ben lassen und den ich zufällig in meiner Brieftasche trug. Er las
ihn und warf das Papier dann mit Indignation auf den Tisch, in¬
dem er mich tröstete:

"Glauben Sie mir, Herr Commilitone," sagte er, sich meinem
Ohre nähernd und fast unverständlich flüsternd, "glauben Sie mir, der
Prinz haßt den Minister, Se. Excellenz hält sich nicht vier Wochen
mehr, und dann muß Alles anders werden!"

In demselben Augenblicke drang aus dem Innern des Hauses
der ferne Schall von Tanzmusik an unser Ohr, mein Freund sprang
aus und sagte mir, er wolle nur seinen Domino anlegen, der in der
Garderobe in Bereitschaft sei, dann werde er wiederkommen und mich
abholen. Als er zur Thüre hinaus war, kam es mir vor, wenigstens
erinnerte ich mich später daran, als ob ein Riegel von außen vorge¬
schoben würde, ich achtete aber nicht im Mindesten darauf, wie mir
überhaupt vieles Beachrenswerthe an jenem Abende entging, und hörte
ruhig zu, wie die Schritte des abgehenden öl. juiis in der Gallerie
verhallten, eine Thür aufgemacht und wieder zugeworfen wurde.

Jetzt, mir selbst überlassen, betrachtete ich mit Wißbegierde die
Etiquetten an den Weinflaschen:

"Donnerwetter!" rief ich aus. "Schloß Johcmnisberger Ü8iter!
So etwas kommt allerdings selten einem Provinzialen vor den Mund;
el! wenn ich das in unserm Verein erzählen werde, da sollen die Her¬
ren gar wohl die Mäuler spitzen und das Wasser soll Ihnen in dem
Munde zusammenlaufen, wie bei der großen Eisfahrt im vergangenen
Frühjahr." Plötzlich unterbrach ich mich aber und rief mit Faust-

Die Sache war nämlich einfach diese, ich entdeckte hinter den
leeren, schmächtigen Gestalten der Johannisberger noch eine volle, und
zwar, wie mir die Etiquette verrieth, eine Flasche echten alten Tokayers.
"

"Der Wein ist, oder wird bezahlt, dachte ich, "er war Dir be¬
stimmt, also frisch daran."


Wrenzbvtcn, II. ,X4et. 7t

Mein neuer Bekannter belächelte die gute Zuversicht desProvin-
zialen, mußte aber zuletzt meiner überzeugenden Beredtsamkeit nachge¬
ben, und wir kamen zuletzt noch ein Mal auf das alte Thema, den
verunglückten Versuch, mir die Gunst Sr. Excellenz zu erringen. Der
Dr. M-is bat sich den Brief aus, den mir der Minister hatte schrei¬
ben lassen und den ich zufällig in meiner Brieftasche trug. Er las
ihn und warf das Papier dann mit Indignation auf den Tisch, in¬
dem er mich tröstete:

„Glauben Sie mir, Herr Commilitone," sagte er, sich meinem
Ohre nähernd und fast unverständlich flüsternd, „glauben Sie mir, der
Prinz haßt den Minister, Se. Excellenz hält sich nicht vier Wochen
mehr, und dann muß Alles anders werden!"

In demselben Augenblicke drang aus dem Innern des Hauses
der ferne Schall von Tanzmusik an unser Ohr, mein Freund sprang
aus und sagte mir, er wolle nur seinen Domino anlegen, der in der
Garderobe in Bereitschaft sei, dann werde er wiederkommen und mich
abholen. Als er zur Thüre hinaus war, kam es mir vor, wenigstens
erinnerte ich mich später daran, als ob ein Riegel von außen vorge¬
schoben würde, ich achtete aber nicht im Mindesten darauf, wie mir
überhaupt vieles Beachrenswerthe an jenem Abende entging, und hörte
ruhig zu, wie die Schritte des abgehenden öl. juiis in der Gallerie
verhallten, eine Thür aufgemacht und wieder zugeworfen wurde.

Jetzt, mir selbst überlassen, betrachtete ich mit Wißbegierde die
Etiquetten an den Weinflaschen:

„Donnerwetter!" rief ich aus. „Schloß Johcmnisberger Ü8iter!
So etwas kommt allerdings selten einem Provinzialen vor den Mund;
el! wenn ich das in unserm Verein erzählen werde, da sollen die Her¬
ren gar wohl die Mäuler spitzen und das Wasser soll Ihnen in dem
Munde zusammenlaufen, wie bei der großen Eisfahrt im vergangenen
Frühjahr." Plötzlich unterbrach ich mich aber und rief mit Faust-

Die Sache war nämlich einfach diese, ich entdeckte hinter den
leeren, schmächtigen Gestalten der Johannisberger noch eine volle, und
zwar, wie mir die Etiquette verrieth, eine Flasche echten alten Tokayers.
"

„Der Wein ist, oder wird bezahlt, dachte ich, „er war Dir be¬
stimmt, also frisch daran."


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[0561] Mein neuer Bekannter belächelte die gute Zuversicht desProvin- zialen, mußte aber zuletzt meiner überzeugenden Beredtsamkeit nachge¬ ben, und wir kamen zuletzt noch ein Mal auf das alte Thema, den verunglückten Versuch, mir die Gunst Sr. Excellenz zu erringen. Der Dr. M-is bat sich den Brief aus, den mir der Minister hatte schrei¬ ben lassen und den ich zufällig in meiner Brieftasche trug. Er las ihn und warf das Papier dann mit Indignation auf den Tisch, in¬ dem er mich tröstete: „Glauben Sie mir, Herr Commilitone," sagte er, sich meinem Ohre nähernd und fast unverständlich flüsternd, „glauben Sie mir, der Prinz haßt den Minister, Se. Excellenz hält sich nicht vier Wochen mehr, und dann muß Alles anders werden!" In demselben Augenblicke drang aus dem Innern des Hauses der ferne Schall von Tanzmusik an unser Ohr, mein Freund sprang aus und sagte mir, er wolle nur seinen Domino anlegen, der in der Garderobe in Bereitschaft sei, dann werde er wiederkommen und mich abholen. Als er zur Thüre hinaus war, kam es mir vor, wenigstens erinnerte ich mich später daran, als ob ein Riegel von außen vorge¬ schoben würde, ich achtete aber nicht im Mindesten darauf, wie mir überhaupt vieles Beachrenswerthe an jenem Abende entging, und hörte ruhig zu, wie die Schritte des abgehenden öl. juiis in der Gallerie verhallten, eine Thür aufgemacht und wieder zugeworfen wurde. Jetzt, mir selbst überlassen, betrachtete ich mit Wißbegierde die Etiquetten an den Weinflaschen: „Donnerwetter!" rief ich aus. „Schloß Johcmnisberger Ü8iter! So etwas kommt allerdings selten einem Provinzialen vor den Mund; el! wenn ich das in unserm Verein erzählen werde, da sollen die Her¬ ren gar wohl die Mäuler spitzen und das Wasser soll Ihnen in dem Munde zusammenlaufen, wie bei der großen Eisfahrt im vergangenen Frühjahr." Plötzlich unterbrach ich mich aber und rief mit Faust- Die Sache war nämlich einfach diese, ich entdeckte hinter den leeren, schmächtigen Gestalten der Johannisberger noch eine volle, und zwar, wie mir die Etiquette verrieth, eine Flasche echten alten Tokayers. " „Der Wein ist, oder wird bezahlt, dachte ich, „er war Dir be¬ stimmt, also frisch daran." Wrenzbvtcn, II. ,X4et. 7t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/561>, abgerufen am 23.07.2024.