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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Lustspielrom antik auf den Straßen herumläuft? Da treibt in "erschien
denen Rheinstädten ein Betrüger sein Wesen, der, mit falschen Pässen
versehen, sich bald für den Novcllendichter Baron von Sternberg, bald
für einen Herrn von Alvensleben ausgibt und Literaren und Lite-
ratenfreunde durch kunstfertige Geldanleihen in Contribution setzt! Ist
dies nicht ein gefundenes Essen für unsere dramatischen Dichter, die im¬
mer über Mangel an Lustspielstoffen klagen? Ein hochnäsiger Vater,
der durchaus einen Adeligen zum Schwiegersohn, eine pathetische Toch¬
ter, die durchaus einen Dichter zum Mann haben will, die prosaische
Polizei, die auf einen Betrüger Jagd macht, der pfiffige Betrüger, der
sich als Märtyrer seiner politischen Dichtungen ausgibt undvcn der zärt¬
lichen Tochter versteckt, vom entsetzten Bater mit Geld versehen zur Flucht
ausgerüstet wird; dazu ein unglücklicher, verschmähter und verkannter
Liebhaber, der heimlicher Weise ein Poet ohn reinsten Wasser ist> als
komische Nebenfigur ein Gensdarm mit rother Nase, ein geprellter Buch¬
händler, der den Verfasser eines ihm verkauften Manuskripts sucht, das
längst unter Goethe's gesammelten Schriften zu finden ist, endlich die
Entwickelung in finsterer Nacht von fackelnden Gensdarmen und blitzen¬
den Helmen erleuchtet, das Laster erbricht sich, die Tugend setzt sich zu
Tisch, nicht zu vergessen einiger Düten politischer Anspielungen, die durch
den Dialog geschüttet werden, dies Alles in drei, vier Acten abgegossen,
dem Publicum servirt ^- und die Tantieme ist fertig! Von dieser Tau-
.tlo'nie könnten dann die Dichter, welche diesen Stoss benutzen, ein Theil
an die Geprellten abgeben, welche ihnen zu ihrem Stoff verhelfen ha-
b.en, und so würde sich Alles auf's Schönste ausgleichen. Was die Li¬
teratur aus der einen Seite verloren hat, könnte sie auf der andern Seite
wieder erhalten. Einstweilen aber, bevor diese Tantieme vertheilt wird,
sollte man trachten, diesen interessanten, räthselhaften Unbekannten beim
Kragen zu erwischen, damit bis zur Fertigung des Lustspiels die Zahl
der Geprellten nicht so hoch angewachsen ist, daß die Tantieme zur Ent¬
schädigung nicht ausreicht. Wie? Mehrere Monate dauert dieser Spuk,
und man hat das Gespenst noch nicht erwischt? Dies kann nur so un¬
praktischen Menschen, wie die Schriftsteller sind, begegnen. Als vor ei¬
nigen Jahren jene bekannte feine Gaunerassociation die ersten Bankhau¬
ser Europa's durch falsche Wechsel ausbeutete, war die Intrigue viel de¬
likater und doch hatte sie die Times bald durch einen ihrer Correspon-
denten entdeckt. Es ist sehr schmeichelhaft für uns Schriftsteller, daß
die Gauner, statt auf große Bankhäuser, jetzt auf uns speculiren. Aber
wir müssen uns auch würdig dieses Vertrauens zeigen. Sollen wir erst
warten, bis die Times uns unsere lieben Gauner entdeckt? Dieses wäre
eine Blamage für die deutsche Presse, und man könnte glauben, wir sind
über andere deutsche Angelegenheiten, über die geheime Politik unserer
Regierungen, über die geheimen Beschlüsse des frankfurter Bundestags
gleichfalls nicht genau unterrichtet. Nicht blos der Vortheil, sondern die
Ehre deutscher Presse fordert es, daß wir diese Mustere sobald als mög¬
lich an's Tageslicht bringen. Es braucht nur Jedermann zu signalist-


Lustspielrom antik auf den Straßen herumläuft? Da treibt in »erschien
denen Rheinstädten ein Betrüger sein Wesen, der, mit falschen Pässen
versehen, sich bald für den Novcllendichter Baron von Sternberg, bald
für einen Herrn von Alvensleben ausgibt und Literaren und Lite-
ratenfreunde durch kunstfertige Geldanleihen in Contribution setzt! Ist
dies nicht ein gefundenes Essen für unsere dramatischen Dichter, die im¬
mer über Mangel an Lustspielstoffen klagen? Ein hochnäsiger Vater,
der durchaus einen Adeligen zum Schwiegersohn, eine pathetische Toch¬
ter, die durchaus einen Dichter zum Mann haben will, die prosaische
Polizei, die auf einen Betrüger Jagd macht, der pfiffige Betrüger, der
sich als Märtyrer seiner politischen Dichtungen ausgibt undvcn der zärt¬
lichen Tochter versteckt, vom entsetzten Bater mit Geld versehen zur Flucht
ausgerüstet wird; dazu ein unglücklicher, verschmähter und verkannter
Liebhaber, der heimlicher Weise ein Poet ohn reinsten Wasser ist> als
komische Nebenfigur ein Gensdarm mit rother Nase, ein geprellter Buch¬
händler, der den Verfasser eines ihm verkauften Manuskripts sucht, das
längst unter Goethe's gesammelten Schriften zu finden ist, endlich die
Entwickelung in finsterer Nacht von fackelnden Gensdarmen und blitzen¬
den Helmen erleuchtet, das Laster erbricht sich, die Tugend setzt sich zu
Tisch, nicht zu vergessen einiger Düten politischer Anspielungen, die durch
den Dialog geschüttet werden, dies Alles in drei, vier Acten abgegossen,
dem Publicum servirt ^- und die Tantieme ist fertig! Von dieser Tau-
.tlo'nie könnten dann die Dichter, welche diesen Stoss benutzen, ein Theil
an die Geprellten abgeben, welche ihnen zu ihrem Stoff verhelfen ha-
b.en, und so würde sich Alles auf's Schönste ausgleichen. Was die Li¬
teratur aus der einen Seite verloren hat, könnte sie auf der andern Seite
wieder erhalten. Einstweilen aber, bevor diese Tantieme vertheilt wird,
sollte man trachten, diesen interessanten, räthselhaften Unbekannten beim
Kragen zu erwischen, damit bis zur Fertigung des Lustspiels die Zahl
der Geprellten nicht so hoch angewachsen ist, daß die Tantieme zur Ent¬
schädigung nicht ausreicht. Wie? Mehrere Monate dauert dieser Spuk,
und man hat das Gespenst noch nicht erwischt? Dies kann nur so un¬
praktischen Menschen, wie die Schriftsteller sind, begegnen. Als vor ei¬
nigen Jahren jene bekannte feine Gaunerassociation die ersten Bankhau¬
ser Europa's durch falsche Wechsel ausbeutete, war die Intrigue viel de¬
likater und doch hatte sie die Times bald durch einen ihrer Correspon-
denten entdeckt. Es ist sehr schmeichelhaft für uns Schriftsteller, daß
die Gauner, statt auf große Bankhäuser, jetzt auf uns speculiren. Aber
wir müssen uns auch würdig dieses Vertrauens zeigen. Sollen wir erst
warten, bis die Times uns unsere lieben Gauner entdeckt? Dieses wäre
eine Blamage für die deutsche Presse, und man könnte glauben, wir sind
über andere deutsche Angelegenheiten, über die geheime Politik unserer
Regierungen, über die geheimen Beschlüsse des frankfurter Bundestags
gleichfalls nicht genau unterrichtet. Nicht blos der Vortheil, sondern die
Ehre deutscher Presse fordert es, daß wir diese Mustere sobald als mög¬
lich an's Tageslicht bringen. Es braucht nur Jedermann zu signalist-


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[0548] Lustspielrom antik auf den Straßen herumläuft? Da treibt in »erschien denen Rheinstädten ein Betrüger sein Wesen, der, mit falschen Pässen versehen, sich bald für den Novcllendichter Baron von Sternberg, bald für einen Herrn von Alvensleben ausgibt und Literaren und Lite- ratenfreunde durch kunstfertige Geldanleihen in Contribution setzt! Ist dies nicht ein gefundenes Essen für unsere dramatischen Dichter, die im¬ mer über Mangel an Lustspielstoffen klagen? Ein hochnäsiger Vater, der durchaus einen Adeligen zum Schwiegersohn, eine pathetische Toch¬ ter, die durchaus einen Dichter zum Mann haben will, die prosaische Polizei, die auf einen Betrüger Jagd macht, der pfiffige Betrüger, der sich als Märtyrer seiner politischen Dichtungen ausgibt undvcn der zärt¬ lichen Tochter versteckt, vom entsetzten Bater mit Geld versehen zur Flucht ausgerüstet wird; dazu ein unglücklicher, verschmähter und verkannter Liebhaber, der heimlicher Weise ein Poet ohn reinsten Wasser ist> als komische Nebenfigur ein Gensdarm mit rother Nase, ein geprellter Buch¬ händler, der den Verfasser eines ihm verkauften Manuskripts sucht, das längst unter Goethe's gesammelten Schriften zu finden ist, endlich die Entwickelung in finsterer Nacht von fackelnden Gensdarmen und blitzen¬ den Helmen erleuchtet, das Laster erbricht sich, die Tugend setzt sich zu Tisch, nicht zu vergessen einiger Düten politischer Anspielungen, die durch den Dialog geschüttet werden, dies Alles in drei, vier Acten abgegossen, dem Publicum servirt ^- und die Tantieme ist fertig! Von dieser Tau- .tlo'nie könnten dann die Dichter, welche diesen Stoss benutzen, ein Theil an die Geprellten abgeben, welche ihnen zu ihrem Stoff verhelfen ha- b.en, und so würde sich Alles auf's Schönste ausgleichen. Was die Li¬ teratur aus der einen Seite verloren hat, könnte sie auf der andern Seite wieder erhalten. Einstweilen aber, bevor diese Tantieme vertheilt wird, sollte man trachten, diesen interessanten, räthselhaften Unbekannten beim Kragen zu erwischen, damit bis zur Fertigung des Lustspiels die Zahl der Geprellten nicht so hoch angewachsen ist, daß die Tantieme zur Ent¬ schädigung nicht ausreicht. Wie? Mehrere Monate dauert dieser Spuk, und man hat das Gespenst noch nicht erwischt? Dies kann nur so un¬ praktischen Menschen, wie die Schriftsteller sind, begegnen. Als vor ei¬ nigen Jahren jene bekannte feine Gaunerassociation die ersten Bankhau¬ ser Europa's durch falsche Wechsel ausbeutete, war die Intrigue viel de¬ likater und doch hatte sie die Times bald durch einen ihrer Correspon- denten entdeckt. Es ist sehr schmeichelhaft für uns Schriftsteller, daß die Gauner, statt auf große Bankhäuser, jetzt auf uns speculiren. Aber wir müssen uns auch würdig dieses Vertrauens zeigen. Sollen wir erst warten, bis die Times uns unsere lieben Gauner entdeckt? Dieses wäre eine Blamage für die deutsche Presse, und man könnte glauben, wir sind über andere deutsche Angelegenheiten, über die geheime Politik unserer Regierungen, über die geheimen Beschlüsse des frankfurter Bundestags gleichfalls nicht genau unterrichtet. Nicht blos der Vortheil, sondern die Ehre deutscher Presse fordert es, daß wir diese Mustere sobald als mög¬ lich an's Tageslicht bringen. Es braucht nur Jedermann zu signalist-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/548>, abgerufen am 23.07.2024.