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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ren, wo ihm die große Seeschlange begegnet ist, und man wird ihre
Spur bald entdecken.

Was mich betrifft, so sah ich die Seeschlange vorigen August in
Leipzig. Ich hatte grade einige Freunde zum Frühstück eingeladen und
da es kurz nach den bekannten traurigen Ereignissen vor dem Hotel de
Prusse war, so hatte die politische Discussion uns etwas erhitzt und
langer beisammen gehalten. Als die Freunde sich entfernt halten, mel¬
dete mir ein dienstbarer Geist, daß auf der Hausflur ein fremder Herr
bereits seit dreiviertel Stunden warte, ohne eintreten zu wollen, da er
mich durchaus allein sprechen müßte. Ich öffnete rasch die Thüre und
es trat ein elegant gekleideter Mann herein, der sich mir als Herrn von
Alvensleben, lieb.tctviir vn eilet des "loui-lui >j" I-i it-t^v aus Holland
vorstellte. Es war ein delicat gebauter, blonder Mann, von mittlerer
Statur, mit dünnen Lippen, die von einem leisen Schnurrbärtchen kaum
beschattet wurden. Sein Gesicht, das, wie bei vielen unbärtiger Per¬
sonen, sein eigentliches Alter nicht genau verrieth, hatte einen Ausdruck
von Schüchternheit und sein ganzes Wesen zeigte eine fast an's Furcht¬
same grenzende Höflichkeit. Was mir bei näherer Musterung auffiel,
war die etwas prahlerische, goldne Uhrkette, die im vollen Widerspruch
mit dem nicht sehr reinlichen und halb zerrissenen Hemde stand, das un¬
ter der Weste hcrvorschielte. Auch straften seine dickschmuzigen Handschuhe
und formlose Fußbekleidung die bekannte Regel Lügen: "u divinae Kien
<:",!lU88v, euer söllen";, "i'ost IM domino commv it l'-uit! Indessen die
Reise motivirt und entschuldigt mancherlei. Ich bat ihn um Verzeihung,
daß ich ohne mein Wissen ihn so lange warten ließ und entkorkte rasch
eine der noch auf dem Tische stehenden Weinflaschen, indem ich ihm ein
Glas anbot. Er trank es mit einer schweigsamen Verbeugung rasch
aus, und indem er es niederstellte, sagte er mit fast lispelnder Stimme:
"Ich halte immer viel darauf, daß ich interessante Personen unter vier
Augen kennen lerne, da hat man seinen Mann ganz und kann sich ge¬
genseitig aussprechen. zumal wenn man nur auf der Reise ist und viel¬
leicht nur ein Mal sich sieht, da will man wenigstens sehen so viel man
kann!" -- Ich dankte für seine Verbindlichkeit und äußerte meine Ver¬
wunderung, daß er so geläufig deutsch spreche. -- "Ich bin ja ein Deut¬
scher, ich war Lieutenant in preußischen Diensten. -- Und Sie redigiren
jetzt das französisch geschriebene Journal de la Have, das officielle Re¬
gierungsblatt? sagte ich verwundert. -- "Ich schreibesehr geläufig fran¬
zösisch." -- Und wer besorgt in Ihrer Abwesenheit die Redaction? --
"Ein Secretär aus dem Ministerium," antwortete er und verschluckte die
letzten Worte in einem Glase Wein. -- "Sie haben da einen vortreff¬
lichen Rothwein, ich habe auf der ganzen Reise hierher Rheinwein trin¬
ken müssen, den ich nicht mehr gewohnt bin, da man bei uns meist
französische Weine genießt." -- Wie ist denn das Zollverhältniß in Hol¬
land? Sind die deutschen Weine im holländischen Tarif höher besteuert,
als die französischen? -- "Ach, reden wir nicht von Zöllen," sagte er
ausweichend -- "man muß das ganze Jahr so viel darüber schreiben."
-- Dieses Ausweichen war ziemlich ungeschickt. Auch kam es mir fon-


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ren, wo ihm die große Seeschlange begegnet ist, und man wird ihre
Spur bald entdecken.

Was mich betrifft, so sah ich die Seeschlange vorigen August in
Leipzig. Ich hatte grade einige Freunde zum Frühstück eingeladen und
da es kurz nach den bekannten traurigen Ereignissen vor dem Hotel de
Prusse war, so hatte die politische Discussion uns etwas erhitzt und
langer beisammen gehalten. Als die Freunde sich entfernt halten, mel¬
dete mir ein dienstbarer Geist, daß auf der Hausflur ein fremder Herr
bereits seit dreiviertel Stunden warte, ohne eintreten zu wollen, da er
mich durchaus allein sprechen müßte. Ich öffnete rasch die Thüre und
es trat ein elegant gekleideter Mann herein, der sich mir als Herrn von
Alvensleben, lieb.tctviir vn eilet des „loui-lui >j« I-i it-t^v aus Holland
vorstellte. Es war ein delicat gebauter, blonder Mann, von mittlerer
Statur, mit dünnen Lippen, die von einem leisen Schnurrbärtchen kaum
beschattet wurden. Sein Gesicht, das, wie bei vielen unbärtiger Per¬
sonen, sein eigentliches Alter nicht genau verrieth, hatte einen Ausdruck
von Schüchternheit und sein ganzes Wesen zeigte eine fast an's Furcht¬
same grenzende Höflichkeit. Was mir bei näherer Musterung auffiel,
war die etwas prahlerische, goldne Uhrkette, die im vollen Widerspruch
mit dem nicht sehr reinlichen und halb zerrissenen Hemde stand, das un¬
ter der Weste hcrvorschielte. Auch straften seine dickschmuzigen Handschuhe
und formlose Fußbekleidung die bekannte Regel Lügen: »u divinae Kien
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Reise motivirt und entschuldigt mancherlei. Ich bat ihn um Verzeihung,
daß ich ohne mein Wissen ihn so lange warten ließ und entkorkte rasch
eine der noch auf dem Tische stehenden Weinflaschen, indem ich ihm ein
Glas anbot. Er trank es mit einer schweigsamen Verbeugung rasch
aus, und indem er es niederstellte, sagte er mit fast lispelnder Stimme:
„Ich halte immer viel darauf, daß ich interessante Personen unter vier
Augen kennen lerne, da hat man seinen Mann ganz und kann sich ge¬
genseitig aussprechen. zumal wenn man nur auf der Reise ist und viel¬
leicht nur ein Mal sich sieht, da will man wenigstens sehen so viel man
kann!" — Ich dankte für seine Verbindlichkeit und äußerte meine Ver¬
wunderung, daß er so geläufig deutsch spreche. — „Ich bin ja ein Deut¬
scher, ich war Lieutenant in preußischen Diensten. — Und Sie redigiren
jetzt das französisch geschriebene Journal de la Have, das officielle Re¬
gierungsblatt? sagte ich verwundert. — „Ich schreibesehr geläufig fran¬
zösisch." — Und wer besorgt in Ihrer Abwesenheit die Redaction? —
„Ein Secretär aus dem Ministerium," antwortete er und verschluckte die
letzten Worte in einem Glase Wein. — „Sie haben da einen vortreff¬
lichen Rothwein, ich habe auf der ganzen Reise hierher Rheinwein trin¬
ken müssen, den ich nicht mehr gewohnt bin, da man bei uns meist
französische Weine genießt." — Wie ist denn das Zollverhältniß in Hol¬
land? Sind die deutschen Weine im holländischen Tarif höher besteuert,
als die französischen? — „Ach, reden wir nicht von Zöllen," sagte er
ausweichend — „man muß das ganze Jahr so viel darüber schreiben."
— Dieses Ausweichen war ziemlich ungeschickt. Auch kam es mir fon-


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[0549] ren, wo ihm die große Seeschlange begegnet ist, und man wird ihre Spur bald entdecken. Was mich betrifft, so sah ich die Seeschlange vorigen August in Leipzig. Ich hatte grade einige Freunde zum Frühstück eingeladen und da es kurz nach den bekannten traurigen Ereignissen vor dem Hotel de Prusse war, so hatte die politische Discussion uns etwas erhitzt und langer beisammen gehalten. Als die Freunde sich entfernt halten, mel¬ dete mir ein dienstbarer Geist, daß auf der Hausflur ein fremder Herr bereits seit dreiviertel Stunden warte, ohne eintreten zu wollen, da er mich durchaus allein sprechen müßte. Ich öffnete rasch die Thüre und es trat ein elegant gekleideter Mann herein, der sich mir als Herrn von Alvensleben, lieb.tctviir vn eilet des „loui-lui >j« I-i it-t^v aus Holland vorstellte. Es war ein delicat gebauter, blonder Mann, von mittlerer Statur, mit dünnen Lippen, die von einem leisen Schnurrbärtchen kaum beschattet wurden. Sein Gesicht, das, wie bei vielen unbärtiger Per¬ sonen, sein eigentliches Alter nicht genau verrieth, hatte einen Ausdruck von Schüchternheit und sein ganzes Wesen zeigte eine fast an's Furcht¬ same grenzende Höflichkeit. Was mir bei näherer Musterung auffiel, war die etwas prahlerische, goldne Uhrkette, die im vollen Widerspruch mit dem nicht sehr reinlichen und halb zerrissenen Hemde stand, das un¬ ter der Weste hcrvorschielte. Auch straften seine dickschmuzigen Handschuhe und formlose Fußbekleidung die bekannte Regel Lügen: »u divinae Kien <:»,!lU88v, euer söllen«;, «i'ost IM domino commv it l'-uit! Indessen die Reise motivirt und entschuldigt mancherlei. Ich bat ihn um Verzeihung, daß ich ohne mein Wissen ihn so lange warten ließ und entkorkte rasch eine der noch auf dem Tische stehenden Weinflaschen, indem ich ihm ein Glas anbot. Er trank es mit einer schweigsamen Verbeugung rasch aus, und indem er es niederstellte, sagte er mit fast lispelnder Stimme: „Ich halte immer viel darauf, daß ich interessante Personen unter vier Augen kennen lerne, da hat man seinen Mann ganz und kann sich ge¬ genseitig aussprechen. zumal wenn man nur auf der Reise ist und viel¬ leicht nur ein Mal sich sieht, da will man wenigstens sehen so viel man kann!" — Ich dankte für seine Verbindlichkeit und äußerte meine Ver¬ wunderung, daß er so geläufig deutsch spreche. — „Ich bin ja ein Deut¬ scher, ich war Lieutenant in preußischen Diensten. — Und Sie redigiren jetzt das französisch geschriebene Journal de la Have, das officielle Re¬ gierungsblatt? sagte ich verwundert. — „Ich schreibesehr geläufig fran¬ zösisch." — Und wer besorgt in Ihrer Abwesenheit die Redaction? — „Ein Secretär aus dem Ministerium," antwortete er und verschluckte die letzten Worte in einem Glase Wein. — „Sie haben da einen vortreff¬ lichen Rothwein, ich habe auf der ganzen Reise hierher Rheinwein trin¬ ken müssen, den ich nicht mehr gewohnt bin, da man bei uns meist französische Weine genießt." — Wie ist denn das Zollverhältniß in Hol¬ land? Sind die deutschen Weine im holländischen Tarif höher besteuert, als die französischen? — „Ach, reden wir nicht von Zöllen," sagte er ausweichend — „man muß das ganze Jahr so viel darüber schreiben." — Dieses Ausweichen war ziemlich ungeschickt. Auch kam es mir fon- Grc»j<>o,«n. II. I«<0. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/549>, abgerufen am 27.11.2024.