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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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und Maulthiere nicht noch aus weiter Ferne dumpf zu mir herüber¬
gedrungen.

Zwei Tage darauf, es war an einem herrlichen, durch ein Nacht¬
gewitter erfrischtem Sommermorgen, näherten wir uns einem der im
Valtelinthale zerstreut liegenden einsamen Wirthshäuser, wo wir ein
letztes italienisches Frühstück einzunehmen gedachten; schon aus der
Ferne bemerkten wir eine große Menschenmenge, die sich um mehrere
Leiterwagen drängte. Mitten heraus ragten glänzende Bajonnette und
österreichische Soldatenmützen. -- Ich drückte mich neugierig durch
die Massen, und man denke sich meinen Schrecken, da ich gleich auf
dem ersten Wagen Gaetano erblickte, der an Händen und Füßen ge¬
bunden, mit dem Gesichte in's Stroh gedrückt, vor mir ausgestreckt
lag. Da konnte Zerina nicht ferne sein; wirklich erblickte ich sie bald,
aber weit von Tano in einem der letzten, von gefesselten Verbrechern
beladenen Wagen. Ich drängte mich zu ihr und sah mit Erstaunen,
wie sie ganz fröhlich, auf einem hohen Sitze thronend, mit den herum¬
stehenden Gaffern scherzte. Ich wollte mich ihr nähern, aber der wacht¬
habende Soldat hinderte mich daran. Erst der Protektion meines Be¬
gleiters, der sich als Kameraden zu erkennen gab, verdankte ich es,
daß ich Zerinen anreden durste. -- Schnell nahm sie ein ernsteres
Gesicht an: -- Gut, daß Du da bist, lispelte sie mir zu, "gib schnell
Geld her, viel Geld. Ich brauche Reisekosten bis Neapel und Beste¬
chung für mehrere Leute." --

-- Unglückseliges Mädchen, sagte ich, muß ich Dich so wieder¬
sehen? -- Mach' keine langen Worte, erwiederte sie ärgerlich, und
gib Geld her. Ich komme schon davon. Der Feldwebel, der uns be¬
gleitet, hat mir schon zu tief in die Augen gesehen und nur noch einige
Nachhilfe mit klingender Münze macht mich bald frei.

Ich gab ihr so viel, als ich an baarem Gelde bei mir hatte.
Sie sah es flüchtig an und sagte: -- Das reicht nicht hin; gib mehr.

Da ihr aber mit Papieren und Anweisungen nicht geholfen war,
so nahm sie meine Uhr. -- Die wird dem Feldwebel in die Augen stechen,
sagte sie, und ich habe keine Sorgen mehr. In Lecco wohnen gute
Freunde, die mich so lange verbergen werden, bis der Lärm vorüber
ist. Dann geht es aus diesem dummen Lände zurück in meine herr¬
lichen Berge.

-- Und Tano? fragte ich.

Eine wilde Nöthe des Zornes flog über ihr schönes Gesicht. -- Der
Dummkopf! rief sie, sich so fangen zu lassen) indessen werde ich, sobald


und Maulthiere nicht noch aus weiter Ferne dumpf zu mir herüber¬
gedrungen.

Zwei Tage darauf, es war an einem herrlichen, durch ein Nacht¬
gewitter erfrischtem Sommermorgen, näherten wir uns einem der im
Valtelinthale zerstreut liegenden einsamen Wirthshäuser, wo wir ein
letztes italienisches Frühstück einzunehmen gedachten; schon aus der
Ferne bemerkten wir eine große Menschenmenge, die sich um mehrere
Leiterwagen drängte. Mitten heraus ragten glänzende Bajonnette und
österreichische Soldatenmützen. — Ich drückte mich neugierig durch
die Massen, und man denke sich meinen Schrecken, da ich gleich auf
dem ersten Wagen Gaetano erblickte, der an Händen und Füßen ge¬
bunden, mit dem Gesichte in's Stroh gedrückt, vor mir ausgestreckt
lag. Da konnte Zerina nicht ferne sein; wirklich erblickte ich sie bald,
aber weit von Tano in einem der letzten, von gefesselten Verbrechern
beladenen Wagen. Ich drängte mich zu ihr und sah mit Erstaunen,
wie sie ganz fröhlich, auf einem hohen Sitze thronend, mit den herum¬
stehenden Gaffern scherzte. Ich wollte mich ihr nähern, aber der wacht¬
habende Soldat hinderte mich daran. Erst der Protektion meines Be¬
gleiters, der sich als Kameraden zu erkennen gab, verdankte ich es,
daß ich Zerinen anreden durste. — Schnell nahm sie ein ernsteres
Gesicht an: -- Gut, daß Du da bist, lispelte sie mir zu, „gib schnell
Geld her, viel Geld. Ich brauche Reisekosten bis Neapel und Beste¬
chung für mehrere Leute." —

— Unglückseliges Mädchen, sagte ich, muß ich Dich so wieder¬
sehen? — Mach' keine langen Worte, erwiederte sie ärgerlich, und
gib Geld her. Ich komme schon davon. Der Feldwebel, der uns be¬
gleitet, hat mir schon zu tief in die Augen gesehen und nur noch einige
Nachhilfe mit klingender Münze macht mich bald frei.

Ich gab ihr so viel, als ich an baarem Gelde bei mir hatte.
Sie sah es flüchtig an und sagte: — Das reicht nicht hin; gib mehr.

Da ihr aber mit Papieren und Anweisungen nicht geholfen war,
so nahm sie meine Uhr. — Die wird dem Feldwebel in die Augen stechen,
sagte sie, und ich habe keine Sorgen mehr. In Lecco wohnen gute
Freunde, die mich so lange verbergen werden, bis der Lärm vorüber
ist. Dann geht es aus diesem dummen Lände zurück in meine herr¬
lichen Berge.

— Und Tano? fragte ich.

Eine wilde Nöthe des Zornes flog über ihr schönes Gesicht. — Der
Dummkopf! rief sie, sich so fangen zu lassen) indessen werde ich, sobald


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[0450] und Maulthiere nicht noch aus weiter Ferne dumpf zu mir herüber¬ gedrungen. Zwei Tage darauf, es war an einem herrlichen, durch ein Nacht¬ gewitter erfrischtem Sommermorgen, näherten wir uns einem der im Valtelinthale zerstreut liegenden einsamen Wirthshäuser, wo wir ein letztes italienisches Frühstück einzunehmen gedachten; schon aus der Ferne bemerkten wir eine große Menschenmenge, die sich um mehrere Leiterwagen drängte. Mitten heraus ragten glänzende Bajonnette und österreichische Soldatenmützen. — Ich drückte mich neugierig durch die Massen, und man denke sich meinen Schrecken, da ich gleich auf dem ersten Wagen Gaetano erblickte, der an Händen und Füßen ge¬ bunden, mit dem Gesichte in's Stroh gedrückt, vor mir ausgestreckt lag. Da konnte Zerina nicht ferne sein; wirklich erblickte ich sie bald, aber weit von Tano in einem der letzten, von gefesselten Verbrechern beladenen Wagen. Ich drängte mich zu ihr und sah mit Erstaunen, wie sie ganz fröhlich, auf einem hohen Sitze thronend, mit den herum¬ stehenden Gaffern scherzte. Ich wollte mich ihr nähern, aber der wacht¬ habende Soldat hinderte mich daran. Erst der Protektion meines Be¬ gleiters, der sich als Kameraden zu erkennen gab, verdankte ich es, daß ich Zerinen anreden durste. — Schnell nahm sie ein ernsteres Gesicht an: -- Gut, daß Du da bist, lispelte sie mir zu, „gib schnell Geld her, viel Geld. Ich brauche Reisekosten bis Neapel und Beste¬ chung für mehrere Leute." — — Unglückseliges Mädchen, sagte ich, muß ich Dich so wieder¬ sehen? — Mach' keine langen Worte, erwiederte sie ärgerlich, und gib Geld her. Ich komme schon davon. Der Feldwebel, der uns be¬ gleitet, hat mir schon zu tief in die Augen gesehen und nur noch einige Nachhilfe mit klingender Münze macht mich bald frei. Ich gab ihr so viel, als ich an baarem Gelde bei mir hatte. Sie sah es flüchtig an und sagte: — Das reicht nicht hin; gib mehr. Da ihr aber mit Papieren und Anweisungen nicht geholfen war, so nahm sie meine Uhr. — Die wird dem Feldwebel in die Augen stechen, sagte sie, und ich habe keine Sorgen mehr. In Lecco wohnen gute Freunde, die mich so lange verbergen werden, bis der Lärm vorüber ist. Dann geht es aus diesem dummen Lände zurück in meine herr¬ lichen Berge. — Und Tano? fragte ich. Eine wilde Nöthe des Zornes flog über ihr schönes Gesicht. — Der Dummkopf! rief sie, sich so fangen zu lassen) indessen werde ich, sobald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/450>, abgerufen am 24.11.2024.