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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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-- Ach, ich habe meine Börse zu Hause vergessen, sagte sie, indem
sie am Gürtel herum suchte.

-- Das soll Sie in Ihrem Vergnügen nicht stören, Signora, sagte
ich verbindlich und reichte ihr die meine. Sie war voll, was Signora
mit Vergnügen zu bemerken schien. Signora bleibt bei mir und wir
holen Sie in einer Stunde oder zwei hier ab? -- ist es so recht?
fragte ich.

-- Ganz recht, rief Zerina.

-- Vollkommen recht, sagte die Dame, indem sie sich tief verneigte
und mit watschelnden Schritten in die Arena eilte.

Nun war ich mit Zerina allein. Ich konnte nicht umhin, sie in
der Freude meines Herzens an mich zu drücken. Sie erwiederte meine
Umarmung indem sie dazwischen rief: Ach der Tano ist wüthend,
wüthend! oder auch: Ach der Tano würde rasend, wenn er das sähe!

-- ein Ruf, den sie fast jedesmal wiederholte, so oft sie mir eine Zärt¬
lichkeit erwies, oder Mir selbst eine zärtliche Tändelei gestattete.

Zerina nahm mich unter den Arm und führte mich über den
großen Platz hin, gegen den Arco della Pace und hinaus auf die
schöne baumbesetzte Landstraße, die gegen Süden nach Pavia führt.
Sie erzählte mir, daß sie unfern von Otranto, im Neapolitanischen,
geboren und die Tochter eines berühmten, nun leider verstorbenen
Schmugglers sei, der von den Engländern sehr geliebt und gut bezahlt
war, weil er ihre Waaren mit unaussprechlicher Kühnheit und Ver¬
schmitztheit im Lande vertrieb, auch einen Dolchstoß nicht scheute, wo
dieser seinen Geschäften förderlich sein konnte. Zerina hatte ihrem
Vater selbst oft geholfen und war in der Bewunderung seiner Kühn¬
heit und in seinen Grundsätzen aufgewachsen. Einen solchen Mann
hatte sie sich stets gewünschr. Darum, als Tano nach Otranto kam,
um daselbst die kleinen, schwarzen neapolitanischen Pferde einzukaufen
und man ihr sagte, er treibe den Pferdehandel nur als Vorwand und
sei eigentlich ein großer Schmuggler von der schweizer-mailändischen
Grenze, hatte sie sich nicht lange besonnen und seinen Bewerbungen
nachgegeben. Sie schwang sich auf einen kleinen Neapolitaner und
ritt von Otranto nach Mailand. Aber sie überzeugte sich bald, daß
Tano das Geschäft bei weitem nicht so verstand, wie ihr Vater und
daß er nicht den Muth hatte, lebende Hindernisse bei Seite zu schaffen.

-- Die Mailänder, meinte sie, seien durch die Berührung mit den
Deutschen ganz dumm geworden und hätten Grundsätze angenommen,
die dem Schmugglerwesm sehr im Wege stehen. Ihrem Zureden ist


— Ach, ich habe meine Börse zu Hause vergessen, sagte sie, indem
sie am Gürtel herum suchte.

— Das soll Sie in Ihrem Vergnügen nicht stören, Signora, sagte
ich verbindlich und reichte ihr die meine. Sie war voll, was Signora
mit Vergnügen zu bemerken schien. Signora bleibt bei mir und wir
holen Sie in einer Stunde oder zwei hier ab? — ist es so recht?
fragte ich.

— Ganz recht, rief Zerina.

— Vollkommen recht, sagte die Dame, indem sie sich tief verneigte
und mit watschelnden Schritten in die Arena eilte.

Nun war ich mit Zerina allein. Ich konnte nicht umhin, sie in
der Freude meines Herzens an mich zu drücken. Sie erwiederte meine
Umarmung indem sie dazwischen rief: Ach der Tano ist wüthend,
wüthend! oder auch: Ach der Tano würde rasend, wenn er das sähe!

— ein Ruf, den sie fast jedesmal wiederholte, so oft sie mir eine Zärt¬
lichkeit erwies, oder Mir selbst eine zärtliche Tändelei gestattete.

Zerina nahm mich unter den Arm und führte mich über den
großen Platz hin, gegen den Arco della Pace und hinaus auf die
schöne baumbesetzte Landstraße, die gegen Süden nach Pavia führt.
Sie erzählte mir, daß sie unfern von Otranto, im Neapolitanischen,
geboren und die Tochter eines berühmten, nun leider verstorbenen
Schmugglers sei, der von den Engländern sehr geliebt und gut bezahlt
war, weil er ihre Waaren mit unaussprechlicher Kühnheit und Ver¬
schmitztheit im Lande vertrieb, auch einen Dolchstoß nicht scheute, wo
dieser seinen Geschäften förderlich sein konnte. Zerina hatte ihrem
Vater selbst oft geholfen und war in der Bewunderung seiner Kühn¬
heit und in seinen Grundsätzen aufgewachsen. Einen solchen Mann
hatte sie sich stets gewünschr. Darum, als Tano nach Otranto kam,
um daselbst die kleinen, schwarzen neapolitanischen Pferde einzukaufen
und man ihr sagte, er treibe den Pferdehandel nur als Vorwand und
sei eigentlich ein großer Schmuggler von der schweizer-mailändischen
Grenze, hatte sie sich nicht lange besonnen und seinen Bewerbungen
nachgegeben. Sie schwang sich auf einen kleinen Neapolitaner und
ritt von Otranto nach Mailand. Aber sie überzeugte sich bald, daß
Tano das Geschäft bei weitem nicht so verstand, wie ihr Vater und
daß er nicht den Muth hatte, lebende Hindernisse bei Seite zu schaffen.

— Die Mailänder, meinte sie, seien durch die Berührung mit den
Deutschen ganz dumm geworden und hätten Grundsätze angenommen,
die dem Schmugglerwesm sehr im Wege stehen. Ihrem Zureden ist


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[0442] — Ach, ich habe meine Börse zu Hause vergessen, sagte sie, indem sie am Gürtel herum suchte. — Das soll Sie in Ihrem Vergnügen nicht stören, Signora, sagte ich verbindlich und reichte ihr die meine. Sie war voll, was Signora mit Vergnügen zu bemerken schien. Signora bleibt bei mir und wir holen Sie in einer Stunde oder zwei hier ab? — ist es so recht? fragte ich. — Ganz recht, rief Zerina. — Vollkommen recht, sagte die Dame, indem sie sich tief verneigte und mit watschelnden Schritten in die Arena eilte. Nun war ich mit Zerina allein. Ich konnte nicht umhin, sie in der Freude meines Herzens an mich zu drücken. Sie erwiederte meine Umarmung indem sie dazwischen rief: Ach der Tano ist wüthend, wüthend! oder auch: Ach der Tano würde rasend, wenn er das sähe! — ein Ruf, den sie fast jedesmal wiederholte, so oft sie mir eine Zärt¬ lichkeit erwies, oder Mir selbst eine zärtliche Tändelei gestattete. Zerina nahm mich unter den Arm und führte mich über den großen Platz hin, gegen den Arco della Pace und hinaus auf die schöne baumbesetzte Landstraße, die gegen Süden nach Pavia führt. Sie erzählte mir, daß sie unfern von Otranto, im Neapolitanischen, geboren und die Tochter eines berühmten, nun leider verstorbenen Schmugglers sei, der von den Engländern sehr geliebt und gut bezahlt war, weil er ihre Waaren mit unaussprechlicher Kühnheit und Ver¬ schmitztheit im Lande vertrieb, auch einen Dolchstoß nicht scheute, wo dieser seinen Geschäften förderlich sein konnte. Zerina hatte ihrem Vater selbst oft geholfen und war in der Bewunderung seiner Kühn¬ heit und in seinen Grundsätzen aufgewachsen. Einen solchen Mann hatte sie sich stets gewünschr. Darum, als Tano nach Otranto kam, um daselbst die kleinen, schwarzen neapolitanischen Pferde einzukaufen und man ihr sagte, er treibe den Pferdehandel nur als Vorwand und sei eigentlich ein großer Schmuggler von der schweizer-mailändischen Grenze, hatte sie sich nicht lange besonnen und seinen Bewerbungen nachgegeben. Sie schwang sich auf einen kleinen Neapolitaner und ritt von Otranto nach Mailand. Aber sie überzeugte sich bald, daß Tano das Geschäft bei weitem nicht so verstand, wie ihr Vater und daß er nicht den Muth hatte, lebende Hindernisse bei Seite zu schaffen. — Die Mailänder, meinte sie, seien durch die Berührung mit den Deutschen ganz dumm geworden und hätten Grundsätze angenommen, die dem Schmugglerwesm sehr im Wege stehen. Ihrem Zureden ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/442>, abgerufen am 24.11.2024.