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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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es zwar gelungen, daß Tanv sich zu Manchem entschloß, was ihm
früher Gewissensscrupel machte, auch hatte sie ihm gelehrt, eine Bohne
auf fünfzehn Schritte mit geworfenen Dolche zu theilen -- aber Tano
sei im Grunde nach wie vor dumm und feig und sie war überzeugt,
er werde über kurz oder lang hängen, während ihr Vater, der das
Geschäft viel großartiger betrieb, in seinen achtziger Jahren selig und
nach Empfang des heiligen Abendmahles, auf seinem Bette verschied.

So plauderte sie sort; leicht und unbefangen, als ob sie mir von
Kinderspielen erzählte. Mir schauderte, als ich in diesen blumenbesetz¬
ten Abgrund einer Mädchenseele blickte, Doch konnre ich kein Wort
hervorbringen, weder des Staunens noch der Ermahnung, denn ich
fühlte es, wie unverständlich meine deutsche Moral diesem Mädchen
aus der Heimath der Tarantella bleiben mußte. Ich sah ihr nur ver¬
wundert in's Auge, welches in so wunderbar schönem Feuer glühte,
daß die eisigen Schauer meines Gemüthes schnell davor verschwinden
mußten, wie tropische Nachtkälte vor dem ersten Blicke der südlichen
Sonne. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach sie ihr Geplauder, entwe¬
der wenn sie sich an die Wuth Tano's erinnerte, wenn er uns so
zusammensähe, oder wenn sie mich ansah und ihr etwas an mir gefiel,
womit sie sich selbst schmücken konnte. So zum Beispiel wanderte
eine schöne Nubinnadel von meiner Cravatte in ihr schwarzes Haar.
Auch einen Ring, der mir sehr werth war, zog sie mir vom Finger
und schmückte sich selbst damit. Alles das geschah mit so viel Geschick-
lichkeit, mit so viel Unbefangenheit, nach Art der mexikanischen Räuber,
daß ich mich schämte, ein Wort dagegen zu sagen und nur verwun¬
dert zusah, wie ich immer ärmer und ärmer wurde. Später, als die
Abendluft etwas kühler wurde, nahm sie mir sogar das rothe Seiden¬
tuch vom Halse und schlang es um ihren eigenen Nacken. Das ließ
ich mir noch am liebsten gefallen, da ihr das Tuch wirklich gut stand
und ihr brauner blasser Kopf aus der rothen Begrenzung herrlich wild
hervorguckte. Doch dachte ich an Goethe's-


Ach lastet doch den Frauen vom Stande
-Die Lust, die Diener auszuziehn

und glücklich schätzte ich mich, daß ich zufällig meine goldene Cylinder¬
uhr, alt der verlockenden Kette im Gasthause vergessen hatte. Ach,
ich wußte nicht, daß auch sie bestimmt war, sonus "eins ein Opfer
italienischer Abenteuer zu werden.

Doch ich sollte für Alles belohnt, reichlich belohnt werden.


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es zwar gelungen, daß Tanv sich zu Manchem entschloß, was ihm
früher Gewissensscrupel machte, auch hatte sie ihm gelehrt, eine Bohne
auf fünfzehn Schritte mit geworfenen Dolche zu theilen — aber Tano
sei im Grunde nach wie vor dumm und feig und sie war überzeugt,
er werde über kurz oder lang hängen, während ihr Vater, der das
Geschäft viel großartiger betrieb, in seinen achtziger Jahren selig und
nach Empfang des heiligen Abendmahles, auf seinem Bette verschied.

So plauderte sie sort; leicht und unbefangen, als ob sie mir von
Kinderspielen erzählte. Mir schauderte, als ich in diesen blumenbesetz¬
ten Abgrund einer Mädchenseele blickte, Doch konnre ich kein Wort
hervorbringen, weder des Staunens noch der Ermahnung, denn ich
fühlte es, wie unverständlich meine deutsche Moral diesem Mädchen
aus der Heimath der Tarantella bleiben mußte. Ich sah ihr nur ver¬
wundert in's Auge, welches in so wunderbar schönem Feuer glühte,
daß die eisigen Schauer meines Gemüthes schnell davor verschwinden
mußten, wie tropische Nachtkälte vor dem ersten Blicke der südlichen
Sonne. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach sie ihr Geplauder, entwe¬
der wenn sie sich an die Wuth Tano's erinnerte, wenn er uns so
zusammensähe, oder wenn sie mich ansah und ihr etwas an mir gefiel,
womit sie sich selbst schmücken konnte. So zum Beispiel wanderte
eine schöne Nubinnadel von meiner Cravatte in ihr schwarzes Haar.
Auch einen Ring, der mir sehr werth war, zog sie mir vom Finger
und schmückte sich selbst damit. Alles das geschah mit so viel Geschick-
lichkeit, mit so viel Unbefangenheit, nach Art der mexikanischen Räuber,
daß ich mich schämte, ein Wort dagegen zu sagen und nur verwun¬
dert zusah, wie ich immer ärmer und ärmer wurde. Später, als die
Abendluft etwas kühler wurde, nahm sie mir sogar das rothe Seiden¬
tuch vom Halse und schlang es um ihren eigenen Nacken. Das ließ
ich mir noch am liebsten gefallen, da ihr das Tuch wirklich gut stand
und ihr brauner blasser Kopf aus der rothen Begrenzung herrlich wild
hervorguckte. Doch dachte ich an Goethe's-


Ach lastet doch den Frauen vom Stande
-Die Lust, die Diener auszuziehn

und glücklich schätzte ich mich, daß ich zufällig meine goldene Cylinder¬
uhr, alt der verlockenden Kette im Gasthause vergessen hatte. Ach,
ich wußte nicht, daß auch sie bestimmt war, sonus »eins ein Opfer
italienischer Abenteuer zu werden.

Doch ich sollte für Alles belohnt, reichlich belohnt werden.


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[0443] es zwar gelungen, daß Tanv sich zu Manchem entschloß, was ihm früher Gewissensscrupel machte, auch hatte sie ihm gelehrt, eine Bohne auf fünfzehn Schritte mit geworfenen Dolche zu theilen — aber Tano sei im Grunde nach wie vor dumm und feig und sie war überzeugt, er werde über kurz oder lang hängen, während ihr Vater, der das Geschäft viel großartiger betrieb, in seinen achtziger Jahren selig und nach Empfang des heiligen Abendmahles, auf seinem Bette verschied. So plauderte sie sort; leicht und unbefangen, als ob sie mir von Kinderspielen erzählte. Mir schauderte, als ich in diesen blumenbesetz¬ ten Abgrund einer Mädchenseele blickte, Doch konnre ich kein Wort hervorbringen, weder des Staunens noch der Ermahnung, denn ich fühlte es, wie unverständlich meine deutsche Moral diesem Mädchen aus der Heimath der Tarantella bleiben mußte. Ich sah ihr nur ver¬ wundert in's Auge, welches in so wunderbar schönem Feuer glühte, daß die eisigen Schauer meines Gemüthes schnell davor verschwinden mußten, wie tropische Nachtkälte vor dem ersten Blicke der südlichen Sonne. Nur von Zeit zu Zeit unterbrach sie ihr Geplauder, entwe¬ der wenn sie sich an die Wuth Tano's erinnerte, wenn er uns so zusammensähe, oder wenn sie mich ansah und ihr etwas an mir gefiel, womit sie sich selbst schmücken konnte. So zum Beispiel wanderte eine schöne Nubinnadel von meiner Cravatte in ihr schwarzes Haar. Auch einen Ring, der mir sehr werth war, zog sie mir vom Finger und schmückte sich selbst damit. Alles das geschah mit so viel Geschick- lichkeit, mit so viel Unbefangenheit, nach Art der mexikanischen Räuber, daß ich mich schämte, ein Wort dagegen zu sagen und nur verwun¬ dert zusah, wie ich immer ärmer und ärmer wurde. Später, als die Abendluft etwas kühler wurde, nahm sie mir sogar das rothe Seiden¬ tuch vom Halse und schlang es um ihren eigenen Nacken. Das ließ ich mir noch am liebsten gefallen, da ihr das Tuch wirklich gut stand und ihr brauner blasser Kopf aus der rothen Begrenzung herrlich wild hervorguckte. Doch dachte ich an Goethe's- Ach lastet doch den Frauen vom Stande -Die Lust, die Diener auszuziehn und glücklich schätzte ich mich, daß ich zufällig meine goldene Cylinder¬ uhr, alt der verlockenden Kette im Gasthause vergessen hatte. Ach, ich wußte nicht, daß auch sie bestimmt war, sonus »eins ein Opfer italienischer Abenteuer zu werden. Doch ich sollte für Alles belohnt, reichlich belohnt werden. 55-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/443>, abgerufen am 23.07.2024.