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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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vorguckten und schwarze, an den geschnürten Stiefletten eng zusam¬
menlaufende Beinkleider. Im Ganzen eine schöne, romantische Gestalt,
neben der mein junger, unausgebildeter, schmächtiger Leib sich schämen
mußte. Ich hätte Zerina's Gunst, die sie mir bezeigte, nicht begrif¬
fen, hätte ich sie nicht schon so weit gekannt, um einzusehen, daß sie
an einem bloßen Treuebruch eine Freude haben konnte. Vielleicht war
sie ein Weib wie andere Weiber, das nur das Fremde und Fremdar¬
tige reizt, vielleicht gefiel ihr als eine Italienerin mein rother Bart
und mein hellbraunes Haar besser, als die gewohnten Schönheiten
des Jtalieners. Indessen dachte ich über diese Räthsel nicht lange
nach und da ich einmal .-Ulo or-i/lo war, so sah ich mir den berühm¬
ten Leonardo da Vinci daselbst noch ein Mal und zum zwanzigsten
Male an. --

Das Castell von Mailand liegt in der Ebene und ist ringsumher
von weiten, breiten Nasenplätzen umgeben, die von Alleen besetzt sind
und den Mailändern zum liebsten Spaziergange dienen. Gegen Nor¬
den sind diese Rasenplätze von der Stadt amphitheatralisch umgeben;
die andere Seite umschließen die Arena, der prächtige Arco de la pace
und allerlei Privatgärten und Landhäuser. Vom Arco de la pace in
schnurgrader Linie läuft die Straße nach Pavia aus. Diese ganze
Umgebung des Castellcs wimmelt an schönen Sommerabenden von
Spaziergängern, Reitern und eleganten Equipagen, während aus der
Arena heraus wilde türkische Musik, aus den Kaffeehäusern vor der
Stadt die Lieder der herumziehenden Sänger erklingen. An jenem Abende
berannte ich förmlich das friedliche Castell, denn ich fürchtete, Zerina
auf der einen Seite zu verfehlen, während ich die andere durchlief, da
das Castell den Ueberblick des ganzen Platzes verhindert. Wie Achilles
um Troja lief ich um die Mauern und durch alle Alleen und Seiten¬
gänge, bis ich nach einer Stunde vergeblichen Laufens erschöpft an
einem Stuhle vor dem Kaffeehause niedersank, um mich bei einem Glase
Sorbetto zu neuem Laufe zu erfrischen. Es war zufällig das Kaffee¬
haus der deutschen Offiziere, vor das ich gerathen war, und ich erkannte
unter ihnen auch einen in Oesterreich, zumal in Prag, wohlbekannten
Dichter. Als ich rings um mich nichts als deutsch sprechen hörte,
war es mir mit einem Male, als wäre ich in der lieben Heimath und
ich vergaß fast mein Abenteuer und freute mich, wieder ein Mal recht
gemüthlich deutsch plaudern zu können, bis mich plötzlich der Ruf des
Einen: -- Siehe da, die schöne Neapolitanerin, an mein Stelldichein
erinnerte. Ich sah mich schnell um; wirklich ging Zerina an der Seite


vorguckten und schwarze, an den geschnürten Stiefletten eng zusam¬
menlaufende Beinkleider. Im Ganzen eine schöne, romantische Gestalt,
neben der mein junger, unausgebildeter, schmächtiger Leib sich schämen
mußte. Ich hätte Zerina's Gunst, die sie mir bezeigte, nicht begrif¬
fen, hätte ich sie nicht schon so weit gekannt, um einzusehen, daß sie
an einem bloßen Treuebruch eine Freude haben konnte. Vielleicht war
sie ein Weib wie andere Weiber, das nur das Fremde und Fremdar¬
tige reizt, vielleicht gefiel ihr als eine Italienerin mein rother Bart
und mein hellbraunes Haar besser, als die gewohnten Schönheiten
des Jtalieners. Indessen dachte ich über diese Räthsel nicht lange
nach und da ich einmal .-Ulo or-i/lo war, so sah ich mir den berühm¬
ten Leonardo da Vinci daselbst noch ein Mal und zum zwanzigsten
Male an. —

Das Castell von Mailand liegt in der Ebene und ist ringsumher
von weiten, breiten Nasenplätzen umgeben, die von Alleen besetzt sind
und den Mailändern zum liebsten Spaziergange dienen. Gegen Nor¬
den sind diese Rasenplätze von der Stadt amphitheatralisch umgeben;
die andere Seite umschließen die Arena, der prächtige Arco de la pace
und allerlei Privatgärten und Landhäuser. Vom Arco de la pace in
schnurgrader Linie läuft die Straße nach Pavia aus. Diese ganze
Umgebung des Castellcs wimmelt an schönen Sommerabenden von
Spaziergängern, Reitern und eleganten Equipagen, während aus der
Arena heraus wilde türkische Musik, aus den Kaffeehäusern vor der
Stadt die Lieder der herumziehenden Sänger erklingen. An jenem Abende
berannte ich förmlich das friedliche Castell, denn ich fürchtete, Zerina
auf der einen Seite zu verfehlen, während ich die andere durchlief, da
das Castell den Ueberblick des ganzen Platzes verhindert. Wie Achilles
um Troja lief ich um die Mauern und durch alle Alleen und Seiten¬
gänge, bis ich nach einer Stunde vergeblichen Laufens erschöpft an
einem Stuhle vor dem Kaffeehause niedersank, um mich bei einem Glase
Sorbetto zu neuem Laufe zu erfrischen. Es war zufällig das Kaffee¬
haus der deutschen Offiziere, vor das ich gerathen war, und ich erkannte
unter ihnen auch einen in Oesterreich, zumal in Prag, wohlbekannten
Dichter. Als ich rings um mich nichts als deutsch sprechen hörte,
war es mir mit einem Male, als wäre ich in der lieben Heimath und
ich vergaß fast mein Abenteuer und freute mich, wieder ein Mal recht
gemüthlich deutsch plaudern zu können, bis mich plötzlich der Ruf des
Einen: — Siehe da, die schöne Neapolitanerin, an mein Stelldichein
erinnerte. Ich sah mich schnell um; wirklich ging Zerina an der Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/440>, abgerufen am 24.11.2024.