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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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-- Gewiß! sagte ich und zog Goethe's Faust, meinen treuen Beglei¬
ter auf Reisen, aus ver Seitentasche. Ich schlug ihn auf und las
die Stelle:


Herr Doctor wurden da katechisirr;
Hoff', es soll Ihnen wohl bekommen.
Die Mädels sind doch sehr interessirt.

Zerina warf auch einen Blick hinein und sagte: Das sieht gar
nicht wie ein Gebetbuch, das sieht ganz ketzerisch aus.

-- Doch nicht, sagte ich und blätterte weiter und zeigte ihr die la¬
teinischen Stellen: Dies mie, (iivsi Mit und jut"x erxn <:,"" "eiteln
und sie war beruhigt, wie sie die lateinischen Worte sah.

So beteten wir noch lange fort, und betend erfuhr ich, daß ich
ihr gleich gestern nicht übel gefallen habe, daß sie es mir aber nicht
habe sagen können, weil die Blonde die Schwester eines Mannes sei,
dem Zerina gewisse Rücksichten schuldig war; daß Zerina keine "lang¬
weilige" Mailänderin, sondern eine Neapolitanerin sei und, was die
Hauptsache ist, daß sie heute Abend um sieben Uhr am Castelle spa¬
zieren werde und andere derartige Anweisungen und Warnungen, die
zu beachten waren. -- Da läutete das Glöcklein zum letzten Male,
der Geistliche rief mit dicker Stimme? "it<; missa est," und die Messe war
vorbei. An der Thüre verabschiedete mich Zerina, indem sie behauptete,
es wäre gefährlich, sie weiter zu begleiten und mit dem lachenden
Rufe: "" i'ivockerci!" huschte sie von mir weg. Bald sah ich ein,
wie recht sie hatte, denn noch war sie nicht fünf Schritte weit weg
von mir, als ein baumstarker, breitschultriger Italiener aus den Arca-
den vor der Kirche hervorsprang und sie wüthend unter dem Arme
faßte, während er mit drohend aufgehobener Hand auf mich zurück-
zeigte. Zwar ging er weiter, ohne sich serner um mich zu kümmern,
aber ich konnte aus seinen wilden Bewegungen entnehmen, daß er sie
wie rasend ausschalt, und von Zeit zu Zeit wandte er sich nach mir
um und ballte die Faust. Zerina aber schüttelte sich vor Lachen und
Mer sich über ^>me eifersüchtige Wuth nur zu freuen. So, sie im¬
mer lachend und tänzelnd, er zankend und gestikulirend, verschwanden
sie bald in einer Gasse. Ich sMte indessen Muße, mir meinen Geg¬
ner genauer anzusehen. Es war, wie gesagt, ein großer, baumstarker
Mann, eine echte Lombardengestalt mit schwarzem Bart und schwar¬
zem Haupthaar und breiten, eisernen Gliedmaßen. Er trug einen
weißen, breitkrämpigen Hut, eine eng anliegende Jacke mit aufgeschlitz¬
tem, berasten Aermeln, aus denen blendendweiße Hemdkrausen her-


— Gewiß! sagte ich und zog Goethe's Faust, meinen treuen Beglei¬
ter auf Reisen, aus ver Seitentasche. Ich schlug ihn auf und las
die Stelle:


Herr Doctor wurden da katechisirr;
Hoff', es soll Ihnen wohl bekommen.
Die Mädels sind doch sehr interessirt.

Zerina warf auch einen Blick hinein und sagte: Das sieht gar
nicht wie ein Gebetbuch, das sieht ganz ketzerisch aus.

— Doch nicht, sagte ich und blätterte weiter und zeigte ihr die la¬
teinischen Stellen: Dies mie, (iivsi Mit und jut«x erxn <:,»» «eiteln
und sie war beruhigt, wie sie die lateinischen Worte sah.

So beteten wir noch lange fort, und betend erfuhr ich, daß ich
ihr gleich gestern nicht übel gefallen habe, daß sie es mir aber nicht
habe sagen können, weil die Blonde die Schwester eines Mannes sei,
dem Zerina gewisse Rücksichten schuldig war; daß Zerina keine „lang¬
weilige" Mailänderin, sondern eine Neapolitanerin sei und, was die
Hauptsache ist, daß sie heute Abend um sieben Uhr am Castelle spa¬
zieren werde und andere derartige Anweisungen und Warnungen, die
zu beachten waren. — Da läutete das Glöcklein zum letzten Male,
der Geistliche rief mit dicker Stimme? „it<; missa est," und die Messe war
vorbei. An der Thüre verabschiedete mich Zerina, indem sie behauptete,
es wäre gefährlich, sie weiter zu begleiten und mit dem lachenden
Rufe: „» i'ivockerci!" huschte sie von mir weg. Bald sah ich ein,
wie recht sie hatte, denn noch war sie nicht fünf Schritte weit weg
von mir, als ein baumstarker, breitschultriger Italiener aus den Arca-
den vor der Kirche hervorsprang und sie wüthend unter dem Arme
faßte, während er mit drohend aufgehobener Hand auf mich zurück-
zeigte. Zwar ging er weiter, ohne sich serner um mich zu kümmern,
aber ich konnte aus seinen wilden Bewegungen entnehmen, daß er sie
wie rasend ausschalt, und von Zeit zu Zeit wandte er sich nach mir
um und ballte die Faust. Zerina aber schüttelte sich vor Lachen und
Mer sich über ^>me eifersüchtige Wuth nur zu freuen. So, sie im¬
mer lachend und tänzelnd, er zankend und gestikulirend, verschwanden
sie bald in einer Gasse. Ich sMte indessen Muße, mir meinen Geg¬
ner genauer anzusehen. Es war, wie gesagt, ein großer, baumstarker
Mann, eine echte Lombardengestalt mit schwarzem Bart und schwar¬
zem Haupthaar und breiten, eisernen Gliedmaßen. Er trug einen
weißen, breitkrämpigen Hut, eine eng anliegende Jacke mit aufgeschlitz¬
tem, berasten Aermeln, aus denen blendendweiße Hemdkrausen her-


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[0439] — Gewiß! sagte ich und zog Goethe's Faust, meinen treuen Beglei¬ ter auf Reisen, aus ver Seitentasche. Ich schlug ihn auf und las die Stelle: Herr Doctor wurden da katechisirr; Hoff', es soll Ihnen wohl bekommen. Die Mädels sind doch sehr interessirt. Zerina warf auch einen Blick hinein und sagte: Das sieht gar nicht wie ein Gebetbuch, das sieht ganz ketzerisch aus. — Doch nicht, sagte ich und blätterte weiter und zeigte ihr die la¬ teinischen Stellen: Dies mie, (iivsi Mit und jut«x erxn <:,»» «eiteln und sie war beruhigt, wie sie die lateinischen Worte sah. So beteten wir noch lange fort, und betend erfuhr ich, daß ich ihr gleich gestern nicht übel gefallen habe, daß sie es mir aber nicht habe sagen können, weil die Blonde die Schwester eines Mannes sei, dem Zerina gewisse Rücksichten schuldig war; daß Zerina keine „lang¬ weilige" Mailänderin, sondern eine Neapolitanerin sei und, was die Hauptsache ist, daß sie heute Abend um sieben Uhr am Castelle spa¬ zieren werde und andere derartige Anweisungen und Warnungen, die zu beachten waren. — Da läutete das Glöcklein zum letzten Male, der Geistliche rief mit dicker Stimme? „it<; missa est," und die Messe war vorbei. An der Thüre verabschiedete mich Zerina, indem sie behauptete, es wäre gefährlich, sie weiter zu begleiten und mit dem lachenden Rufe: „» i'ivockerci!" huschte sie von mir weg. Bald sah ich ein, wie recht sie hatte, denn noch war sie nicht fünf Schritte weit weg von mir, als ein baumstarker, breitschultriger Italiener aus den Arca- den vor der Kirche hervorsprang und sie wüthend unter dem Arme faßte, während er mit drohend aufgehobener Hand auf mich zurück- zeigte. Zwar ging er weiter, ohne sich serner um mich zu kümmern, aber ich konnte aus seinen wilden Bewegungen entnehmen, daß er sie wie rasend ausschalt, und von Zeit zu Zeit wandte er sich nach mir um und ballte die Faust. Zerina aber schüttelte sich vor Lachen und Mer sich über ^>me eifersüchtige Wuth nur zu freuen. So, sie im¬ mer lachend und tänzelnd, er zankend und gestikulirend, verschwanden sie bald in einer Gasse. Ich sMte indessen Muße, mir meinen Geg¬ ner genauer anzusehen. Es war, wie gesagt, ein großer, baumstarker Mann, eine echte Lombardengestalt mit schwarzem Bart und schwar¬ zem Haupthaar und breiten, eisernen Gliedmaßen. Er trug einen weißen, breitkrämpigen Hut, eine eng anliegende Jacke mit aufgeschlitz¬ tem, berasten Aermeln, aus denen blendendweiße Hemdkrausen her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/439>, abgerufen am 24.11.2024.