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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Sonntag ist mein Freudentag,
Wo ich gerne singen mag,
Ruhig ist's und friedlich.
Sonntags kehrt, mich zu erfreun,
"'S Mädchen aus der Fremde" ein.
Mir wird's ganz gemüthlich.

Die Gedichte des Straßburger Drechslermeisters haben keinen
hohen Schwung, keine Originalität des Gedankens und keine poetische
Tiefe der Empfindung, aber es macht sich in ihnen eine frische, paus¬
bäckige Lebenskraft recht behaglich geltend. Man merkt ihnen das
reichstädtische, ja das meistersängerliche Element an und einem Lande,
wie das Elsaß, welches immermehr von dem ursprünglichen Vater¬
lande abgebunden wird, ist ein Mann wie unser Drechslermeister eine
um so angenehmere Erscheinung. Er bringt es zwar zu keiner directen,
politischen Declamation, aber sein deutscher Sang und die Kernhaf-
tigkeit seiner deutschen Natur schon an sich sind von Interesse. Poli¬
tisch ist unser Mann sehr schwankend, wie überhaupt das Elsaß.
Jetzt blickt er über den Rhein, nach dem Schwarzwalde zu und singt,
bei Erwin's Standbild, von der alten Glorie des deutschen Vater¬
landes, dann wendet er die Blicke wieder nach den Ardennen und
singt Louis Philipp arn

Reihe, Bürger, reiht euch schützend um den Thron,
Löscht aus der Zwietracht unheilvolle Brande,
Der innere Frieden ist uns längst enrslohn,
Ruft ihn zurück! Reicht euch die Brüderbande!

Wir haben es, wie man sieht, mit einer gutmüthig-bescheidenen
Seele zu thun, die besser, auf kleinbürgerliche Manier, "Lied vom
Drechsler," "Trinklied für Elsasser," "Meinem Erstgebornen," "Neu-
jahrswünsche," "Vaterunser," "Bei der Geburt meines Töchterleins"
zu singen, als die politische Sphinr unserer Tage zu beherrschen, wie
viel weniger poetisch zu lösen weiß. Auch in Bezug auf die Reime
ist unser Drechslermeister durchaus nicht ästhetisch bedenklich, er scheint
bei denk Schnurren und Flackern seiner Drechslerbank dafür die Fein¬
heit des Ohrs verloren zu haben und sagt nun ohne Umstände, rein
dich oder ich freß dich. So z. B. S. 19. reimt sich "Strande" auf
"Verwandte," "Geliebte" auf "trübte," "Flucht" auf "ruft," u. f. w.

Am besten sind unserm Drechslermeister die Gedichte in der
Straßburger Mundart gelungen. In ihnen macht sich, wo der Stoff
immer aus den Kleinlichkeiten und Alltäglichkeiten des schlichten, dur-


Sonntag ist mein Freudentag,
Wo ich gerne singen mag,
Ruhig ist's und friedlich.
Sonntags kehrt, mich zu erfreun,
„'S Mädchen aus der Fremde" ein.
Mir wird's ganz gemüthlich.

Die Gedichte des Straßburger Drechslermeisters haben keinen
hohen Schwung, keine Originalität des Gedankens und keine poetische
Tiefe der Empfindung, aber es macht sich in ihnen eine frische, paus¬
bäckige Lebenskraft recht behaglich geltend. Man merkt ihnen das
reichstädtische, ja das meistersängerliche Element an und einem Lande,
wie das Elsaß, welches immermehr von dem ursprünglichen Vater¬
lande abgebunden wird, ist ein Mann wie unser Drechslermeister eine
um so angenehmere Erscheinung. Er bringt es zwar zu keiner directen,
politischen Declamation, aber sein deutscher Sang und die Kernhaf-
tigkeit seiner deutschen Natur schon an sich sind von Interesse. Poli¬
tisch ist unser Mann sehr schwankend, wie überhaupt das Elsaß.
Jetzt blickt er über den Rhein, nach dem Schwarzwalde zu und singt,
bei Erwin's Standbild, von der alten Glorie des deutschen Vater¬
landes, dann wendet er die Blicke wieder nach den Ardennen und
singt Louis Philipp arn

Reihe, Bürger, reiht euch schützend um den Thron,
Löscht aus der Zwietracht unheilvolle Brande,
Der innere Frieden ist uns längst enrslohn,
Ruft ihn zurück! Reicht euch die Brüderbande!

Wir haben es, wie man sieht, mit einer gutmüthig-bescheidenen
Seele zu thun, die besser, auf kleinbürgerliche Manier, „Lied vom
Drechsler," „Trinklied für Elsasser," „Meinem Erstgebornen," „Neu-
jahrswünsche," „Vaterunser," „Bei der Geburt meines Töchterleins"
zu singen, als die politische Sphinr unserer Tage zu beherrschen, wie
viel weniger poetisch zu lösen weiß. Auch in Bezug auf die Reime
ist unser Drechslermeister durchaus nicht ästhetisch bedenklich, er scheint
bei denk Schnurren und Flackern seiner Drechslerbank dafür die Fein¬
heit des Ohrs verloren zu haben und sagt nun ohne Umstände, rein
dich oder ich freß dich. So z. B. S. 19. reimt sich „Strande" auf
„Verwandte," „Geliebte" auf „trübte," „Flucht" auf „ruft," u. f. w.

Am besten sind unserm Drechslermeister die Gedichte in der
Straßburger Mundart gelungen. In ihnen macht sich, wo der Stoff
immer aus den Kleinlichkeiten und Alltäglichkeiten des schlichten, dur-


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[0388] Sonntag ist mein Freudentag, Wo ich gerne singen mag, Ruhig ist's und friedlich. Sonntags kehrt, mich zu erfreun, „'S Mädchen aus der Fremde" ein. Mir wird's ganz gemüthlich. Die Gedichte des Straßburger Drechslermeisters haben keinen hohen Schwung, keine Originalität des Gedankens und keine poetische Tiefe der Empfindung, aber es macht sich in ihnen eine frische, paus¬ bäckige Lebenskraft recht behaglich geltend. Man merkt ihnen das reichstädtische, ja das meistersängerliche Element an und einem Lande, wie das Elsaß, welches immermehr von dem ursprünglichen Vater¬ lande abgebunden wird, ist ein Mann wie unser Drechslermeister eine um so angenehmere Erscheinung. Er bringt es zwar zu keiner directen, politischen Declamation, aber sein deutscher Sang und die Kernhaf- tigkeit seiner deutschen Natur schon an sich sind von Interesse. Poli¬ tisch ist unser Mann sehr schwankend, wie überhaupt das Elsaß. Jetzt blickt er über den Rhein, nach dem Schwarzwalde zu und singt, bei Erwin's Standbild, von der alten Glorie des deutschen Vater¬ landes, dann wendet er die Blicke wieder nach den Ardennen und singt Louis Philipp arn Reihe, Bürger, reiht euch schützend um den Thron, Löscht aus der Zwietracht unheilvolle Brande, Der innere Frieden ist uns längst enrslohn, Ruft ihn zurück! Reicht euch die Brüderbande! Wir haben es, wie man sieht, mit einer gutmüthig-bescheidenen Seele zu thun, die besser, auf kleinbürgerliche Manier, „Lied vom Drechsler," „Trinklied für Elsasser," „Meinem Erstgebornen," „Neu- jahrswünsche," „Vaterunser," „Bei der Geburt meines Töchterleins" zu singen, als die politische Sphinr unserer Tage zu beherrschen, wie viel weniger poetisch zu lösen weiß. Auch in Bezug auf die Reime ist unser Drechslermeister durchaus nicht ästhetisch bedenklich, er scheint bei denk Schnurren und Flackern seiner Drechslerbank dafür die Fein¬ heit des Ohrs verloren zu haben und sagt nun ohne Umstände, rein dich oder ich freß dich. So z. B. S. 19. reimt sich „Strande" auf „Verwandte," „Geliebte" auf „trübte," „Flucht" auf „ruft," u. f. w. Am besten sind unserm Drechslermeister die Gedichte in der Straßburger Mundart gelungen. In ihnen macht sich, wo der Stoff immer aus den Kleinlichkeiten und Alltäglichkeiten des schlichten, dur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/388>, abgerufen am 24.11.2024.