Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein ganz weiblicher Grund zum Singen und Klagen. Die Verfasserin
bittet uns (S. 172.) ihre Lieder so anspruchslos aufzunehmen, wie
sie dieselben gefunden. Ein weicher, sentimentaler, bis zu einer krank¬
haften Schwärmerei ausartender Ton zieht sich durch dieselben vom
Anfang bis zu Ende, das Mitleid, der Tugend Lohn, das Heimweh,
die Entsagung, das sind die Saiten, welche von der Verfasserin ohne
besondere Tiefe und Originalität auf die althergebrachte Weise ange¬
schlagen werden. Sie wird zuweilen ziemlich geschmacklos, z. B.

In des Sängers warmem Herzen
Wohnt des Lieo^s ZauderkUng,
All sein Glück und all sein Leiden
Wohn t in dem Wund.rsang.
Liebend ward er aufgezogen
In dem g luthdurchstr on ten Raum,
Ausgeschmückt mit Perl' und Blume
Aus oeS Sängers reichstem Traum.

Sehr schwach und gestaltlos sind die Balladen und Romanzen.
In diese Dichtungsform, welche ganz und gar der romantischen Pe¬
riode angehört, würde kaum noch ein Uhland neues Leben bringen
können. Man kann wohl noch neue Stoffe für die Ballade und Ro¬
manze bearbeiten, aber ihr geistiges Element scheint erloschen zu sein,
selbst ein Talent, wie Hebbel, versucht sich vergebens daran. Einmal
erhebt sich die Verfasserin aus ihrem kleinen Herzweh bis zu - Ni¬
kolaus Becker, und sie singt den Franzosen, die sie "mit blutiger
Räuberhand" schildert, entgegen:

Sie sollen ihn nicht haben
Den herrlichsten Gewinn,
Es liegt mit uns begraben --
Der treue, deutsche Sinn.

Nun, so mag er begraben sein und der Straßburger Drechsler-
meister Daniel Hirt sich hören lassen. Der muß doch wissen, wo
er begraben liegt und er wird hoffentlich recht gehörig darüber
Hämmern.

Aber nein, dieser Mann ist eine ganz erfreuliche Erscheinung. Er
kümmert sich auch den Teufel um die ästhetischen Regeln der Lyrik
und um die moderne Macht und Bedeutung derselben, aber er jam¬
mert nicht, er singt mit einem derben Volksnaturell und ist bei seinem
Gott, seiner Drechslerarbeit und seiner Poesie ganz zufrieden, für die,
wie er selber singt, er nur des Sonntags Zeit hat:


485

Ein ganz weiblicher Grund zum Singen und Klagen. Die Verfasserin
bittet uns (S. 172.) ihre Lieder so anspruchslos aufzunehmen, wie
sie dieselben gefunden. Ein weicher, sentimentaler, bis zu einer krank¬
haften Schwärmerei ausartender Ton zieht sich durch dieselben vom
Anfang bis zu Ende, das Mitleid, der Tugend Lohn, das Heimweh,
die Entsagung, das sind die Saiten, welche von der Verfasserin ohne
besondere Tiefe und Originalität auf die althergebrachte Weise ange¬
schlagen werden. Sie wird zuweilen ziemlich geschmacklos, z. B.

In des Sängers warmem Herzen
Wohnt des Lieo^s ZauderkUng,
All sein Glück und all sein Leiden
Wohn t in dem Wund.rsang.
Liebend ward er aufgezogen
In dem g luthdurchstr on ten Raum,
Ausgeschmückt mit Perl' und Blume
Aus oeS Sängers reichstem Traum.

Sehr schwach und gestaltlos sind die Balladen und Romanzen.
In diese Dichtungsform, welche ganz und gar der romantischen Pe¬
riode angehört, würde kaum noch ein Uhland neues Leben bringen
können. Man kann wohl noch neue Stoffe für die Ballade und Ro¬
manze bearbeiten, aber ihr geistiges Element scheint erloschen zu sein,
selbst ein Talent, wie Hebbel, versucht sich vergebens daran. Einmal
erhebt sich die Verfasserin aus ihrem kleinen Herzweh bis zu - Ni¬
kolaus Becker, und sie singt den Franzosen, die sie „mit blutiger
Räuberhand" schildert, entgegen:

Sie sollen ihn nicht haben
Den herrlichsten Gewinn,
Es liegt mit uns begraben —
Der treue, deutsche Sinn.

Nun, so mag er begraben sein und der Straßburger Drechsler-
meister Daniel Hirt sich hören lassen. Der muß doch wissen, wo
er begraben liegt und er wird hoffentlich recht gehörig darüber
Hämmern.

Aber nein, dieser Mann ist eine ganz erfreuliche Erscheinung. Er
kümmert sich auch den Teufel um die ästhetischen Regeln der Lyrik
und um die moderne Macht und Bedeutung derselben, aber er jam¬
mert nicht, er singt mit einem derben Volksnaturell und ist bei seinem
Gott, seiner Drechslerarbeit und seiner Poesie ganz zufrieden, für die,
wie er selber singt, er nur des Sonntags Zeit hat:


485
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182810"/>
          <p xml:id="ID_1098" prev="#ID_1097"> Ein ganz weiblicher Grund zum Singen und Klagen. Die Verfasserin<lb/>
bittet uns (S. 172.) ihre Lieder so anspruchslos aufzunehmen, wie<lb/>
sie dieselben gefunden. Ein weicher, sentimentaler, bis zu einer krank¬<lb/>
haften Schwärmerei ausartender Ton zieht sich durch dieselben vom<lb/>
Anfang bis zu Ende, das Mitleid, der Tugend Lohn, das Heimweh,<lb/>
die Entsagung, das sind die Saiten, welche von der Verfasserin ohne<lb/>
besondere Tiefe und Originalität auf die althergebrachte Weise ange¬<lb/>
schlagen werden.  Sie wird zuweilen ziemlich geschmacklos, z. B.</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_19" type="poem">
            <l> In des Sängers warmem Herzen<lb/>
Wohnt des Lieo^s ZauderkUng,<lb/>
All sein Glück und all sein Leiden<lb/>
Wohn t in dem Wund.rsang.<lb/>
Liebend ward er aufgezogen<lb/>
In dem g luthdurchstr on ten Raum,<lb/>
Ausgeschmückt mit Perl' und Blume<lb/>
Aus oeS Sängers reichstem Traum.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1099"> Sehr schwach und gestaltlos sind die Balladen und Romanzen.<lb/>
In diese Dichtungsform, welche ganz und gar der romantischen Pe¬<lb/>
riode angehört, würde kaum noch ein Uhland neues Leben bringen<lb/>
können. Man kann wohl noch neue Stoffe für die Ballade und Ro¬<lb/>
manze bearbeiten, aber ihr geistiges Element scheint erloschen zu sein,<lb/>
selbst ein Talent, wie Hebbel, versucht sich vergebens daran. Einmal<lb/>
erhebt sich die Verfasserin aus ihrem kleinen Herzweh bis zu - Ni¬<lb/>
kolaus Becker, und sie singt den Franzosen, die sie &#x201E;mit blutiger<lb/>
Räuberhand" schildert, entgegen:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_20" type="poem">
            <l> Sie sollen ihn nicht haben<lb/>
Den herrlichsten Gewinn,<lb/>
Es liegt mit uns begraben &#x2014;<lb/>
Der treue, deutsche Sinn.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1100"> Nun, so mag er begraben sein und der Straßburger Drechsler-<lb/>
meister Daniel Hirt sich hören lassen. Der muß doch wissen, wo<lb/>
er begraben liegt und er wird hoffentlich recht gehörig darüber<lb/>
Hämmern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1101"> Aber nein, dieser Mann ist eine ganz erfreuliche Erscheinung. Er<lb/>
kümmert sich auch den Teufel um die ästhetischen Regeln der Lyrik<lb/>
und um die moderne Macht und Bedeutung derselben, aber er jam¬<lb/>
mert nicht, er singt mit einem derben Volksnaturell und ist bei seinem<lb/>
Gott, seiner Drechslerarbeit und seiner Poesie ganz zufrieden, für die,<lb/>
wie er selber singt, er nur des Sonntags Zeit hat:</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 485</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0387] Ein ganz weiblicher Grund zum Singen und Klagen. Die Verfasserin bittet uns (S. 172.) ihre Lieder so anspruchslos aufzunehmen, wie sie dieselben gefunden. Ein weicher, sentimentaler, bis zu einer krank¬ haften Schwärmerei ausartender Ton zieht sich durch dieselben vom Anfang bis zu Ende, das Mitleid, der Tugend Lohn, das Heimweh, die Entsagung, das sind die Saiten, welche von der Verfasserin ohne besondere Tiefe und Originalität auf die althergebrachte Weise ange¬ schlagen werden. Sie wird zuweilen ziemlich geschmacklos, z. B. In des Sängers warmem Herzen Wohnt des Lieo^s ZauderkUng, All sein Glück und all sein Leiden Wohn t in dem Wund.rsang. Liebend ward er aufgezogen In dem g luthdurchstr on ten Raum, Ausgeschmückt mit Perl' und Blume Aus oeS Sängers reichstem Traum. Sehr schwach und gestaltlos sind die Balladen und Romanzen. In diese Dichtungsform, welche ganz und gar der romantischen Pe¬ riode angehört, würde kaum noch ein Uhland neues Leben bringen können. Man kann wohl noch neue Stoffe für die Ballade und Ro¬ manze bearbeiten, aber ihr geistiges Element scheint erloschen zu sein, selbst ein Talent, wie Hebbel, versucht sich vergebens daran. Einmal erhebt sich die Verfasserin aus ihrem kleinen Herzweh bis zu - Ni¬ kolaus Becker, und sie singt den Franzosen, die sie „mit blutiger Räuberhand" schildert, entgegen: Sie sollen ihn nicht haben Den herrlichsten Gewinn, Es liegt mit uns begraben — Der treue, deutsche Sinn. Nun, so mag er begraben sein und der Straßburger Drechsler- meister Daniel Hirt sich hören lassen. Der muß doch wissen, wo er begraben liegt und er wird hoffentlich recht gehörig darüber Hämmern. Aber nein, dieser Mann ist eine ganz erfreuliche Erscheinung. Er kümmert sich auch den Teufel um die ästhetischen Regeln der Lyrik und um die moderne Macht und Bedeutung derselben, aber er jam¬ mert nicht, er singt mit einem derben Volksnaturell und ist bei seinem Gott, seiner Drechslerarbeit und seiner Poesie ganz zufrieden, für die, wie er selber singt, er nur des Sonntags Zeit hat: 485

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/387
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/387>, abgerufen am 24.11.2024.