Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unterliegt, aber es verbirgt die Thränen vor den Augen der Glücklichen,
es verschließt den Schmerz fest in seine Brust und bewährt einen grö¬
ßern Heldenmuth im Ertragen, als der Mann in seinem selbstsüchtigen
Kampfe. -- Marie vermißte nichts in ihrem anspruchslosen Lebens-
kreise, sie kannte das Unglück so wenig als das Glück und war eben
deshalb ohne Bedürfniß, ohne Sehnsucht, mit sich selbst und der Welt
im Reinen. Noch kurze Zeit, in den gewohnten Amüsements und Be¬
schäftigungen verlebt, -- und sie würde geheirathet haben, wie alle
andern Mädchen auch, um sich einen selbstständigen Haushalt zu grün¬
den, eine Haube zu tragen, Boston zu spielen, Kinder zu gebären und
zu ernähren. Da plötzlich tritt Richard mit seinem Weh zwischen sie
und ihre Selbstgenügsamkeit, erweckt ungeahntes Sehnen, hebt ihren
Blick über den gewohnten Gesichtskreis hinaus, verschwindet wie ein
leichter düsterer Schatten, in Mariens Auge zittert eine Thräne, sie
hört noch einige Zeit das bittere Gelächter, welches in ihrer Person
die Welt verspottet, und es bedarf mehrerer Wochen, ehe sie mit ge¬
wohnter Ruhe im alten Geleise fortgehen kann.

Als Richard denselben Abend nach Hause zurückkehrte, nahm er
das verschleierte Bild von der Wand, blickte es lange schweigend und
sinnend an bis spät in die Nacht. Seitdem war es von der gewohn¬
ten Stelle verschwunden, man wußte nicht, was aus ihm geworden. --


VIll.

Ich muß jedoch bitten, Ruhe zu halten, günstiger oder ungünsti¬
ger Leser, und nicht voreilig auszupfeifen, ich versichere Dir, daß Du
um die nöthige Hochzeit nicht geprellt werden sollst. -- Zum Glücke
für den Ruhm meiner Novelle traf zu derselben Zeit ein gesunder,
unverheiratheter Pächter auf dem Reichenauer Gute ein, der gerade eine
solche Bildungsstufe einnahm, daß er bei den Pfänderspielen, die all¬
abendlich in der Pfarre arrangirt wurden, eine handelnde Rolle spielen
und sich nach zwei Monaten der G.'schen Noblesse als Bräutigam von
Marie Seelenacker Präsentiren konnte. Seitdem trug er täglich Spo¬
ren und seine Braut vergaß es nie, ihr Haar mit selbstgezogenen Blu¬
men zu schmücken.

Richard saß auf seinem Zimmer vor dem Arbeitstische und zer¬
kaute mit der eifrigsten Gründlichkeit eine Feder nach der andern, auf
dem vor ihm liegenden Papiere aber waren nur wenige Zeilen geschrie¬
ben, und noch dazu so unrein und'durchstrichen, daß man sah, wie
schwerfällig die Arbeit von Statten ging. Nach leisem Klopsen trat


39"

unterliegt, aber es verbirgt die Thränen vor den Augen der Glücklichen,
es verschließt den Schmerz fest in seine Brust und bewährt einen grö¬
ßern Heldenmuth im Ertragen, als der Mann in seinem selbstsüchtigen
Kampfe. — Marie vermißte nichts in ihrem anspruchslosen Lebens-
kreise, sie kannte das Unglück so wenig als das Glück und war eben
deshalb ohne Bedürfniß, ohne Sehnsucht, mit sich selbst und der Welt
im Reinen. Noch kurze Zeit, in den gewohnten Amüsements und Be¬
schäftigungen verlebt, — und sie würde geheirathet haben, wie alle
andern Mädchen auch, um sich einen selbstständigen Haushalt zu grün¬
den, eine Haube zu tragen, Boston zu spielen, Kinder zu gebären und
zu ernähren. Da plötzlich tritt Richard mit seinem Weh zwischen sie
und ihre Selbstgenügsamkeit, erweckt ungeahntes Sehnen, hebt ihren
Blick über den gewohnten Gesichtskreis hinaus, verschwindet wie ein
leichter düsterer Schatten, in Mariens Auge zittert eine Thräne, sie
hört noch einige Zeit das bittere Gelächter, welches in ihrer Person
die Welt verspottet, und es bedarf mehrerer Wochen, ehe sie mit ge¬
wohnter Ruhe im alten Geleise fortgehen kann.

Als Richard denselben Abend nach Hause zurückkehrte, nahm er
das verschleierte Bild von der Wand, blickte es lange schweigend und
sinnend an bis spät in die Nacht. Seitdem war es von der gewohn¬
ten Stelle verschwunden, man wußte nicht, was aus ihm geworden. —


VIll.

Ich muß jedoch bitten, Ruhe zu halten, günstiger oder ungünsti¬
ger Leser, und nicht voreilig auszupfeifen, ich versichere Dir, daß Du
um die nöthige Hochzeit nicht geprellt werden sollst. — Zum Glücke
für den Ruhm meiner Novelle traf zu derselben Zeit ein gesunder,
unverheiratheter Pächter auf dem Reichenauer Gute ein, der gerade eine
solche Bildungsstufe einnahm, daß er bei den Pfänderspielen, die all¬
abendlich in der Pfarre arrangirt wurden, eine handelnde Rolle spielen
und sich nach zwei Monaten der G.'schen Noblesse als Bräutigam von
Marie Seelenacker Präsentiren konnte. Seitdem trug er täglich Spo¬
ren und seine Braut vergaß es nie, ihr Haar mit selbstgezogenen Blu¬
men zu schmücken.

Richard saß auf seinem Zimmer vor dem Arbeitstische und zer¬
kaute mit der eifrigsten Gründlichkeit eine Feder nach der andern, auf
dem vor ihm liegenden Papiere aber waren nur wenige Zeilen geschrie¬
ben, und noch dazu so unrein und'durchstrichen, daß man sah, wie
schwerfällig die Arbeit von Statten ging. Nach leisem Klopsen trat


39»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182738"/>
            <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878"> unterliegt, aber es verbirgt die Thränen vor den Augen der Glücklichen,<lb/>
es verschließt den Schmerz fest in seine Brust und bewährt einen grö¬<lb/>
ßern Heldenmuth im Ertragen, als der Mann in seinem selbstsüchtigen<lb/>
Kampfe. &#x2014; Marie vermißte nichts in ihrem anspruchslosen Lebens-<lb/>
kreise, sie kannte das Unglück so wenig als das Glück und war eben<lb/>
deshalb ohne Bedürfniß, ohne Sehnsucht, mit sich selbst und der Welt<lb/>
im Reinen. Noch kurze Zeit, in den gewohnten Amüsements und Be¬<lb/>
schäftigungen verlebt, &#x2014; und sie würde geheirathet haben, wie alle<lb/>
andern Mädchen auch, um sich einen selbstständigen Haushalt zu grün¬<lb/>
den, eine Haube zu tragen, Boston zu spielen, Kinder zu gebären und<lb/>
zu ernähren. Da plötzlich tritt Richard mit seinem Weh zwischen sie<lb/>
und ihre Selbstgenügsamkeit, erweckt ungeahntes Sehnen, hebt ihren<lb/>
Blick über den gewohnten Gesichtskreis hinaus, verschwindet wie ein<lb/>
leichter düsterer Schatten, in Mariens Auge zittert eine Thräne, sie<lb/>
hört noch einige Zeit das bittere Gelächter, welches in ihrer Person<lb/>
die Welt verspottet, und es bedarf mehrerer Wochen, ehe sie mit ge¬<lb/>
wohnter Ruhe im alten Geleise fortgehen kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_880"> Als Richard denselben Abend nach Hause zurückkehrte, nahm er<lb/>
das verschleierte Bild von der Wand, blickte es lange schweigend und<lb/>
sinnend an bis spät in die Nacht. Seitdem war es von der gewohn¬<lb/>
ten Stelle verschwunden, man wußte nicht, was aus ihm geworden. &#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> VIll.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_881"> Ich muß jedoch bitten, Ruhe zu halten, günstiger oder ungünsti¬<lb/>
ger Leser, und nicht voreilig auszupfeifen, ich versichere Dir, daß Du<lb/>
um die nöthige Hochzeit nicht geprellt werden sollst. &#x2014; Zum Glücke<lb/>
für den Ruhm meiner Novelle traf zu derselben Zeit ein gesunder,<lb/>
unverheiratheter Pächter auf dem Reichenauer Gute ein, der gerade eine<lb/>
solche Bildungsstufe einnahm, daß er bei den Pfänderspielen, die all¬<lb/>
abendlich in der Pfarre arrangirt wurden, eine handelnde Rolle spielen<lb/>
und sich nach zwei Monaten der G.'schen Noblesse als Bräutigam von<lb/>
Marie Seelenacker Präsentiren konnte. Seitdem trug er täglich Spo¬<lb/>
ren und seine Braut vergaß es nie, ihr Haar mit selbstgezogenen Blu¬<lb/>
men zu schmücken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_882" next="#ID_883"> Richard saß auf seinem Zimmer vor dem Arbeitstische und zer¬<lb/>
kaute mit der eifrigsten Gründlichkeit eine Feder nach der andern, auf<lb/>
dem vor ihm liegenden Papiere aber waren nur wenige Zeilen geschrie¬<lb/>
ben, und noch dazu so unrein und'durchstrichen, daß man sah, wie<lb/>
schwerfällig die Arbeit von Statten ging. Nach leisem Klopsen trat</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 39»</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] unterliegt, aber es verbirgt die Thränen vor den Augen der Glücklichen, es verschließt den Schmerz fest in seine Brust und bewährt einen grö¬ ßern Heldenmuth im Ertragen, als der Mann in seinem selbstsüchtigen Kampfe. — Marie vermißte nichts in ihrem anspruchslosen Lebens- kreise, sie kannte das Unglück so wenig als das Glück und war eben deshalb ohne Bedürfniß, ohne Sehnsucht, mit sich selbst und der Welt im Reinen. Noch kurze Zeit, in den gewohnten Amüsements und Be¬ schäftigungen verlebt, — und sie würde geheirathet haben, wie alle andern Mädchen auch, um sich einen selbstständigen Haushalt zu grün¬ den, eine Haube zu tragen, Boston zu spielen, Kinder zu gebären und zu ernähren. Da plötzlich tritt Richard mit seinem Weh zwischen sie und ihre Selbstgenügsamkeit, erweckt ungeahntes Sehnen, hebt ihren Blick über den gewohnten Gesichtskreis hinaus, verschwindet wie ein leichter düsterer Schatten, in Mariens Auge zittert eine Thräne, sie hört noch einige Zeit das bittere Gelächter, welches in ihrer Person die Welt verspottet, und es bedarf mehrerer Wochen, ehe sie mit ge¬ wohnter Ruhe im alten Geleise fortgehen kann. Als Richard denselben Abend nach Hause zurückkehrte, nahm er das verschleierte Bild von der Wand, blickte es lange schweigend und sinnend an bis spät in die Nacht. Seitdem war es von der gewohn¬ ten Stelle verschwunden, man wußte nicht, was aus ihm geworden. — VIll. Ich muß jedoch bitten, Ruhe zu halten, günstiger oder ungünsti¬ ger Leser, und nicht voreilig auszupfeifen, ich versichere Dir, daß Du um die nöthige Hochzeit nicht geprellt werden sollst. — Zum Glücke für den Ruhm meiner Novelle traf zu derselben Zeit ein gesunder, unverheiratheter Pächter auf dem Reichenauer Gute ein, der gerade eine solche Bildungsstufe einnahm, daß er bei den Pfänderspielen, die all¬ abendlich in der Pfarre arrangirt wurden, eine handelnde Rolle spielen und sich nach zwei Monaten der G.'schen Noblesse als Bräutigam von Marie Seelenacker Präsentiren konnte. Seitdem trug er täglich Spo¬ ren und seine Braut vergaß es nie, ihr Haar mit selbstgezogenen Blu¬ men zu schmücken. Richard saß auf seinem Zimmer vor dem Arbeitstische und zer¬ kaute mit der eifrigsten Gründlichkeit eine Feder nach der andern, auf dem vor ihm liegenden Papiere aber waren nur wenige Zeilen geschrie¬ ben, und noch dazu so unrein und'durchstrichen, daß man sah, wie schwerfällig die Arbeit von Statten ging. Nach leisem Klopsen trat 39»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/315>, abgerufen am 24.11.2024.