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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Den Communisten wirft Rüge vor, daß sie das Neue, die Be¬
freiung, auch wieder nur in religiöser Weise wollten. Er spottet
über ihr Dogma, daß in der neuen Gemeinschaft Jeder solle denken
könne", was er immer will, wofern er nur "ökonomisch rechtgläubig
und für die Abschaffung des Privateigenthums und des Geldes ist."
"Die neue Religion des Communismus," bemerkt er, "entwickelt jetzt
schon alle Eigenschaften der alten: ihre Einfalt, ihre Illusionen, das
tausendjährige Reich der seligen Gemeinschaft, die vor der Thür ist,
ihren Fanatismus, der nur die Ungläubigen schlachtet und endlich
auch ihre Wahrheit- der Mensch ist der Gott oder das Princip der
Welt, ihrer Verfassung und Geschichte." Das alles bemerkt er als
Sparren Anderer, aber als seinen eigenen Sparren bemerkt er es
nicht; seinen eigenen Fanatismus, der die Gewalt nicht roh nennt,
welche die Rohheit aufhebt, und Alle zwingen will "sittlich recht¬
gläubig" und für die Abschaffung des "Commando's" und des "Glau¬
bens" zu sein, oder quos ex" -- diesen Fanatismus empfindet er als
ein Gefühl -- der Freiheit. Er macht eS, wie die Narren in Im-
mermann's Münchhausen, von denen Jeder über des Anderen Wurm
sich höchst vernünftig ausläßt, nur den eigenen hält er für die Ver¬
nunft selbst. Gegen den "verrufenen" Communismus, der es aber mit
der Welt so gut meint, wäre, sagt Rüge, gar nichts einzuwenden,
wenn er nur möglich wäre; "leider aber ist eine Welt von Brüdern
und die Einheit der Menschheit in einer Familie eilt Traum." Auch
das Christenthum, setzt er hinzu, mit seinem Gedanken einer allgemei¬
nen Liebe, ist "nur in Gedanken" möglich; wie das Christenthum kann
der Communismus da, wo die Wirklichkeit unerträglich geworden --
wie sie es für die arbeitenden und armen Volksklassen vielfältig ge¬
worden ist -- seine Anhänger finden, die sich in eine Traumwelt
flüchten und wenigstens in Gedanken die schnöde Welt los zu werden
suchen. Dein Communismus merkt Rüge die Chimäre an; daß auch,
was er selber als das Princip der Zukunft setzt, ein bloßes Gedan-
kenwesen ist, merkt er nicht. Und- doch ist dies seine ganze Weisheit:
"um den Menschen frei zu machen, muß man ihn erst schaffen, ihn
zum Menschen bilden."

Er hofft, daß diese Umbildung -- nicht sprungweise, an Sprünge
in der geschichtlichen Entwicklung, sagt er, glaube er nicht, sondern
schrittweise, allmälig, von Stufe zu Stufe vor sich gehen werde.
Die Partei der Freiheit müsse nur das ihrige thun, sowohl in Deutsch¬
land als in Frankreich. "Wohin kann sie es bringen?" wirst er die


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Den Communisten wirft Rüge vor, daß sie das Neue, die Be¬
freiung, auch wieder nur in religiöser Weise wollten. Er spottet
über ihr Dogma, daß in der neuen Gemeinschaft Jeder solle denken
könne», was er immer will, wofern er nur „ökonomisch rechtgläubig
und für die Abschaffung des Privateigenthums und des Geldes ist."
„Die neue Religion des Communismus," bemerkt er, „entwickelt jetzt
schon alle Eigenschaften der alten: ihre Einfalt, ihre Illusionen, das
tausendjährige Reich der seligen Gemeinschaft, die vor der Thür ist,
ihren Fanatismus, der nur die Ungläubigen schlachtet und endlich
auch ihre Wahrheit- der Mensch ist der Gott oder das Princip der
Welt, ihrer Verfassung und Geschichte." Das alles bemerkt er als
Sparren Anderer, aber als seinen eigenen Sparren bemerkt er es
nicht; seinen eigenen Fanatismus, der die Gewalt nicht roh nennt,
welche die Rohheit aufhebt, und Alle zwingen will „sittlich recht¬
gläubig" und für die Abschaffung des „Commando's" und des „Glau¬
bens" zu sein, oder quos ex« — diesen Fanatismus empfindet er als
ein Gefühl — der Freiheit. Er macht eS, wie die Narren in Im-
mermann's Münchhausen, von denen Jeder über des Anderen Wurm
sich höchst vernünftig ausläßt, nur den eigenen hält er für die Ver¬
nunft selbst. Gegen den „verrufenen" Communismus, der es aber mit
der Welt so gut meint, wäre, sagt Rüge, gar nichts einzuwenden,
wenn er nur möglich wäre; „leider aber ist eine Welt von Brüdern
und die Einheit der Menschheit in einer Familie eilt Traum." Auch
das Christenthum, setzt er hinzu, mit seinem Gedanken einer allgemei¬
nen Liebe, ist „nur in Gedanken" möglich; wie das Christenthum kann
der Communismus da, wo die Wirklichkeit unerträglich geworden —
wie sie es für die arbeitenden und armen Volksklassen vielfältig ge¬
worden ist — seine Anhänger finden, die sich in eine Traumwelt
flüchten und wenigstens in Gedanken die schnöde Welt los zu werden
suchen. Dein Communismus merkt Rüge die Chimäre an; daß auch,
was er selber als das Princip der Zukunft setzt, ein bloßes Gedan-
kenwesen ist, merkt er nicht. Und- doch ist dies seine ganze Weisheit:
„um den Menschen frei zu machen, muß man ihn erst schaffen, ihn
zum Menschen bilden."

Er hofft, daß diese Umbildung — nicht sprungweise, an Sprünge
in der geschichtlichen Entwicklung, sagt er, glaube er nicht, sondern
schrittweise, allmälig, von Stufe zu Stufe vor sich gehen werde.
Die Partei der Freiheit müsse nur das ihrige thun, sowohl in Deutsch¬
land als in Frankreich. „Wohin kann sie es bringen?" wirst er die


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[0291] Den Communisten wirft Rüge vor, daß sie das Neue, die Be¬ freiung, auch wieder nur in religiöser Weise wollten. Er spottet über ihr Dogma, daß in der neuen Gemeinschaft Jeder solle denken könne», was er immer will, wofern er nur „ökonomisch rechtgläubig und für die Abschaffung des Privateigenthums und des Geldes ist." „Die neue Religion des Communismus," bemerkt er, „entwickelt jetzt schon alle Eigenschaften der alten: ihre Einfalt, ihre Illusionen, das tausendjährige Reich der seligen Gemeinschaft, die vor der Thür ist, ihren Fanatismus, der nur die Ungläubigen schlachtet und endlich auch ihre Wahrheit- der Mensch ist der Gott oder das Princip der Welt, ihrer Verfassung und Geschichte." Das alles bemerkt er als Sparren Anderer, aber als seinen eigenen Sparren bemerkt er es nicht; seinen eigenen Fanatismus, der die Gewalt nicht roh nennt, welche die Rohheit aufhebt, und Alle zwingen will „sittlich recht¬ gläubig" und für die Abschaffung des „Commando's" und des „Glau¬ bens" zu sein, oder quos ex« — diesen Fanatismus empfindet er als ein Gefühl — der Freiheit. Er macht eS, wie die Narren in Im- mermann's Münchhausen, von denen Jeder über des Anderen Wurm sich höchst vernünftig ausläßt, nur den eigenen hält er für die Ver¬ nunft selbst. Gegen den „verrufenen" Communismus, der es aber mit der Welt so gut meint, wäre, sagt Rüge, gar nichts einzuwenden, wenn er nur möglich wäre; „leider aber ist eine Welt von Brüdern und die Einheit der Menschheit in einer Familie eilt Traum." Auch das Christenthum, setzt er hinzu, mit seinem Gedanken einer allgemei¬ nen Liebe, ist „nur in Gedanken" möglich; wie das Christenthum kann der Communismus da, wo die Wirklichkeit unerträglich geworden — wie sie es für die arbeitenden und armen Volksklassen vielfältig ge¬ worden ist — seine Anhänger finden, die sich in eine Traumwelt flüchten und wenigstens in Gedanken die schnöde Welt los zu werden suchen. Dein Communismus merkt Rüge die Chimäre an; daß auch, was er selber als das Princip der Zukunft setzt, ein bloßes Gedan- kenwesen ist, merkt er nicht. Und- doch ist dies seine ganze Weisheit: „um den Menschen frei zu machen, muß man ihn erst schaffen, ihn zum Menschen bilden." Er hofft, daß diese Umbildung — nicht sprungweise, an Sprünge in der geschichtlichen Entwicklung, sagt er, glaube er nicht, sondern schrittweise, allmälig, von Stufe zu Stufe vor sich gehen werde. Die Partei der Freiheit müsse nur das ihrige thun, sowohl in Deutsch¬ land als in Frankreich. „Wohin kann sie es bringen?" wirst er die 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/291>, abgerufen am 23.07.2024.