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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Frage auf, und antwortet: "Bei uns in Deutschland zu der Ein¬
sicht, das; die Anstrengungen der Menschheit überall den freien Men¬
schen zum Princip und zum Zweck haben;... bei den Franzosen zu
der Praris dieses Humanismus." Der Uebergang in die Praris,
welchen in Deutschland die Jahrbücher versucht hatten, d. h. aber
nichts weiter, als das kritische Spiel, die wirklichen Formen und Ver¬
hältnisse des Staatslebens an den Kategorien "freier Mensch," "Hu¬
manismus" u. f. w> zu messen und mit diesen Kategorien Unverträg¬
lich zu finden, dieser Uebergang war an dem Widerstande der beste¬
henden Mächte gescheitert. Man hatte die "befreienden" Bücher, Kri¬
tiken, Gedichte in'ö Ausland geflüchtet, zunächst nach Zürich. Zürich
aber "hing (1843 und 1844) zu fest am preußischen System, um dies
zu dulden." Was war zu thun? "Es entstand der Plan, eine Al¬
lianz deutscher und französischer Schriftsteller zu bewirken und in Pa¬
ris ein Journal zu gründen, das sowohl in den Principien, als in
der direct eingreifenden Publicistik völlig frei wäre." "Die Fortsetzung
der deutschen Kritik durch die Aufnahme deö praktischen Elements und
durch die Benutzung der freien Presse des Auslandes" schien Rüge
"eine logische und historische Nothwendigkeit, für Deutschland eben so wich¬
tig, als Deutschlands logische Kritik und Durchbildung für Frankreich."

Der Plan ist, wie Rüge sagt, gescheitert. "Weder ein bestimm¬
ter Kern deutscher Schriftsteller, noch eine französische Richtung, die
geeignet gewesen wäre, zur Vereinigung mit der neuesten deutschen
Philosophie hat sich gefunden. Von den Dentschfranzösischen Jahr¬
büchern, die nach diesem Plane unternommen wurden, ist nur Ein
Heft erschienen, ohne französische Beiträge, aber zum großen Theil in
der englisch-französischen Richtung des sogenannten Socialismus." ES
ist schon oben angedeutet, daß Rüge das wirkliche Paris mit seiner
"Pra.riS" und mit seiner "Freiheit" doch anders gefunden hat, als es
seinen Vorstellungen nach hätte sein müssen. Erstlich fand er da die
Reaction nicht minder als bei uns in vollem Gange. Gleich ärger-
gerten ihn die Wasser von Se. Cloud, zu denen sich die gafflustige
Menge versammelt; "was sind sie anders," ruft er aus, "als eine
ohnmächtige Dummheit, für Müssiggänger in'S Werk gesetzt und von
Narren ausgedacht?" Es ist noch nicht das Schlimmste. "Man er¬
schrickt vor dem bösen Zeitgeist, wenn man auf den Ausstellungen
diese Masse von Heiligenbildern sieht; die Masse läßt sich hinreißen
von den Trompetenstößen der Reaction." In der Kirche Untre-Dame
versammelt die Predigt deö Dominicaners Lacordaire den Bürgerstand


Frage auf, und antwortet: „Bei uns in Deutschland zu der Ein¬
sicht, das; die Anstrengungen der Menschheit überall den freien Men¬
schen zum Princip und zum Zweck haben;... bei den Franzosen zu
der Praris dieses Humanismus." Der Uebergang in die Praris,
welchen in Deutschland die Jahrbücher versucht hatten, d. h. aber
nichts weiter, als das kritische Spiel, die wirklichen Formen und Ver¬
hältnisse des Staatslebens an den Kategorien „freier Mensch," „Hu¬
manismus" u. f. w> zu messen und mit diesen Kategorien Unverträg¬
lich zu finden, dieser Uebergang war an dem Widerstande der beste¬
henden Mächte gescheitert. Man hatte die „befreienden" Bücher, Kri¬
tiken, Gedichte in'ö Ausland geflüchtet, zunächst nach Zürich. Zürich
aber „hing (1843 und 1844) zu fest am preußischen System, um dies
zu dulden." Was war zu thun? „Es entstand der Plan, eine Al¬
lianz deutscher und französischer Schriftsteller zu bewirken und in Pa¬
ris ein Journal zu gründen, das sowohl in den Principien, als in
der direct eingreifenden Publicistik völlig frei wäre." „Die Fortsetzung
der deutschen Kritik durch die Aufnahme deö praktischen Elements und
durch die Benutzung der freien Presse des Auslandes" schien Rüge
„eine logische und historische Nothwendigkeit, für Deutschland eben so wich¬
tig, als Deutschlands logische Kritik und Durchbildung für Frankreich."

Der Plan ist, wie Rüge sagt, gescheitert. „Weder ein bestimm¬
ter Kern deutscher Schriftsteller, noch eine französische Richtung, die
geeignet gewesen wäre, zur Vereinigung mit der neuesten deutschen
Philosophie hat sich gefunden. Von den Dentschfranzösischen Jahr¬
büchern, die nach diesem Plane unternommen wurden, ist nur Ein
Heft erschienen, ohne französische Beiträge, aber zum großen Theil in
der englisch-französischen Richtung des sogenannten Socialismus." ES
ist schon oben angedeutet, daß Rüge das wirkliche Paris mit seiner
„Pra.riS" und mit seiner „Freiheit" doch anders gefunden hat, als es
seinen Vorstellungen nach hätte sein müssen. Erstlich fand er da die
Reaction nicht minder als bei uns in vollem Gange. Gleich ärger-
gerten ihn die Wasser von Se. Cloud, zu denen sich die gafflustige
Menge versammelt; „was sind sie anders," ruft er aus, „als eine
ohnmächtige Dummheit, für Müssiggänger in'S Werk gesetzt und von
Narren ausgedacht?" Es ist noch nicht das Schlimmste. „Man er¬
schrickt vor dem bösen Zeitgeist, wenn man auf den Ausstellungen
diese Masse von Heiligenbildern sieht; die Masse läßt sich hinreißen
von den Trompetenstößen der Reaction." In der Kirche Untre-Dame
versammelt die Predigt deö Dominicaners Lacordaire den Bürgerstand


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[0292] Frage auf, und antwortet: „Bei uns in Deutschland zu der Ein¬ sicht, das; die Anstrengungen der Menschheit überall den freien Men¬ schen zum Princip und zum Zweck haben;... bei den Franzosen zu der Praris dieses Humanismus." Der Uebergang in die Praris, welchen in Deutschland die Jahrbücher versucht hatten, d. h. aber nichts weiter, als das kritische Spiel, die wirklichen Formen und Ver¬ hältnisse des Staatslebens an den Kategorien „freier Mensch," „Hu¬ manismus" u. f. w> zu messen und mit diesen Kategorien Unverträg¬ lich zu finden, dieser Uebergang war an dem Widerstande der beste¬ henden Mächte gescheitert. Man hatte die „befreienden" Bücher, Kri¬ tiken, Gedichte in'ö Ausland geflüchtet, zunächst nach Zürich. Zürich aber „hing (1843 und 1844) zu fest am preußischen System, um dies zu dulden." Was war zu thun? „Es entstand der Plan, eine Al¬ lianz deutscher und französischer Schriftsteller zu bewirken und in Pa¬ ris ein Journal zu gründen, das sowohl in den Principien, als in der direct eingreifenden Publicistik völlig frei wäre." „Die Fortsetzung der deutschen Kritik durch die Aufnahme deö praktischen Elements und durch die Benutzung der freien Presse des Auslandes" schien Rüge „eine logische und historische Nothwendigkeit, für Deutschland eben so wich¬ tig, als Deutschlands logische Kritik und Durchbildung für Frankreich." Der Plan ist, wie Rüge sagt, gescheitert. „Weder ein bestimm¬ ter Kern deutscher Schriftsteller, noch eine französische Richtung, die geeignet gewesen wäre, zur Vereinigung mit der neuesten deutschen Philosophie hat sich gefunden. Von den Dentschfranzösischen Jahr¬ büchern, die nach diesem Plane unternommen wurden, ist nur Ein Heft erschienen, ohne französische Beiträge, aber zum großen Theil in der englisch-französischen Richtung des sogenannten Socialismus." ES ist schon oben angedeutet, daß Rüge das wirkliche Paris mit seiner „Pra.riS" und mit seiner „Freiheit" doch anders gefunden hat, als es seinen Vorstellungen nach hätte sein müssen. Erstlich fand er da die Reaction nicht minder als bei uns in vollem Gange. Gleich ärger- gerten ihn die Wasser von Se. Cloud, zu denen sich die gafflustige Menge versammelt; „was sind sie anders," ruft er aus, „als eine ohnmächtige Dummheit, für Müssiggänger in'S Werk gesetzt und von Narren ausgedacht?" Es ist noch nicht das Schlimmste. „Man er¬ schrickt vor dem bösen Zeitgeist, wenn man auf den Ausstellungen diese Masse von Heiligenbildern sieht; die Masse läßt sich hinreißen von den Trompetenstößen der Reaction." In der Kirche Untre-Dame versammelt die Predigt deö Dominicaners Lacordaire den Bürgerstand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/292>, abgerufen am 23.07.2024.