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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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aber der Senat hierüber zu verfügen hat und auch daS Prediger-Mi-
nisterium ein Gutachten abgebe" mußte, so erlitt die Sache einige Ver¬
zögerung. Gegenwärtig soll indessen die höchste Genehmigung auf die
zustimmende Erklärung der lutherischen Geistlichen hin mit jedem Tage
zu erwarten stehen.'

Zum Schlüsse einige Worte über das Theater. Gustows "Ano¬
nym" hat nicht angesprochen, Schubart's "Keine Jesuiten mehr" dage¬
gen eine beifällige Aufnahme gefunden. Eine neue Oper von einem
hiesigen Pseudonymen Dichter und dem hiesigen Componisten Nach ist so
gut wie durchgefallen. Man streitet sich wieder, ob der Text die Musik
oder die Musik den Text verdorben habe, oder ob Beides schlecht sei.
Unsre zahme Didaskalia hat sich gar nicht ausgesprochen; ein schlimmes
Zeichen!


Leo Alt.
hö.
Hamburger Personell "ut Zustände.

Bürgerschaft und Ce-llegicii.

Die Hamburger Bürgerschaft ist eine der mannichfaltigsten und bunt,
scheckigsten, welche es geben kann, namentlich gilt dies von den untern
Klassen, welche sich wöchentlich, ja täglich, aus Holstein, Hannover,
Mecklenburg, Preußen, rekrutiren und regelmäßig erscheint daher in jeder
Woche ein ansehnliches "Verzeichnis; derer, welche Bürger geworden."
Meistens sind dies Handwerker und Arbeiter, welche in ihrem ursprüng¬
lichen Vaterländchen zu viele Umstände und Schwierigkeiten vorfinden,
um sich bürgerlich niederzulassen, oder was die Hauptfache ist, um sich
zu ernähren. Sie wählen daher den alten Aigeunerspruch: ">"' Iienv
niUi'in, zum Symbol ihres Lebens, werden in Hamburg Bürgergar-
diflen, zahlen noch fünfundvierzig Mark zwölf Schillinge und genießen
dadurch alle Rechte und Freiheiten eines Hamburger Bürgers, Gewerbe
und Handel nach Kräften zu treiben. Jeder muß sich bisher zwar ver¬
pflichten, bei dem Gewerbe zu beharren, auf welches er sich eingebürgert,
aber wie oft ist diese Pflicht wohl übertreten worden! Wollte das eine
Geschäft nicht gehen, so erwählte man das andere, oft noch ein drittes
und viertes und siel am Ende dem Proletariat anheim. Die Bequem¬
lichkeit war zu lockend und hielt allezeit Thür und Thor offen, man
wollte die hier gebotenen Freuden des Lebens genießen, welche in der
Heimath versagt waren und hoffte zuletzt auf die Unterstützung des Staa¬
tes, denn man war ja "Hamburger Bürger", ein Begriff, der für die
untern Klassen unendliche Freiheiten und Glückseligkeiten in sich faßt, weil
in dieser Region das leichte, materielle Leben über Alles geht. Man kann
dreist behaupten, daß Hamburg seit zehn, zwanzig Jahren, einen großen
Theil des allgemeinen deutschen Proletariats absorbirt hat und daß die
vielen, bedeutenden Gelder nach der Brandkatastrophe gleichsam auf der
stillen Anerkennung dieses Verdienstes von Seiten Hamburgs beruhte,
welche Behauptung noch an Gewicht und Bestimmtheit gewinnt, wenn
man erwägt, daß nach dem Brande Preußen, Baiern, Hannoveraner


aber der Senat hierüber zu verfügen hat und auch daS Prediger-Mi-
nisterium ein Gutachten abgebe» mußte, so erlitt die Sache einige Ver¬
zögerung. Gegenwärtig soll indessen die höchste Genehmigung auf die
zustimmende Erklärung der lutherischen Geistlichen hin mit jedem Tage
zu erwarten stehen.'

Zum Schlüsse einige Worte über das Theater. Gustows „Ano¬
nym" hat nicht angesprochen, Schubart's „Keine Jesuiten mehr" dage¬
gen eine beifällige Aufnahme gefunden. Eine neue Oper von einem
hiesigen Pseudonymen Dichter und dem hiesigen Componisten Nach ist so
gut wie durchgefallen. Man streitet sich wieder, ob der Text die Musik
oder die Musik den Text verdorben habe, oder ob Beides schlecht sei.
Unsre zahme Didaskalia hat sich gar nicht ausgesprochen; ein schlimmes
Zeichen!


Leo Alt.
hö.
Hamburger Personell »ut Zustände.

Bürgerschaft und Ce-llegicii.

Die Hamburger Bürgerschaft ist eine der mannichfaltigsten und bunt,
scheckigsten, welche es geben kann, namentlich gilt dies von den untern
Klassen, welche sich wöchentlich, ja täglich, aus Holstein, Hannover,
Mecklenburg, Preußen, rekrutiren und regelmäßig erscheint daher in jeder
Woche ein ansehnliches „Verzeichnis; derer, welche Bürger geworden."
Meistens sind dies Handwerker und Arbeiter, welche in ihrem ursprüng¬
lichen Vaterländchen zu viele Umstände und Schwierigkeiten vorfinden,
um sich bürgerlich niederzulassen, oder was die Hauptfache ist, um sich
zu ernähren. Sie wählen daher den alten Aigeunerspruch: »>»' Iienv
niUi'in, zum Symbol ihres Lebens, werden in Hamburg Bürgergar-
diflen, zahlen noch fünfundvierzig Mark zwölf Schillinge und genießen
dadurch alle Rechte und Freiheiten eines Hamburger Bürgers, Gewerbe
und Handel nach Kräften zu treiben. Jeder muß sich bisher zwar ver¬
pflichten, bei dem Gewerbe zu beharren, auf welches er sich eingebürgert,
aber wie oft ist diese Pflicht wohl übertreten worden! Wollte das eine
Geschäft nicht gehen, so erwählte man das andere, oft noch ein drittes
und viertes und siel am Ende dem Proletariat anheim. Die Bequem¬
lichkeit war zu lockend und hielt allezeit Thür und Thor offen, man
wollte die hier gebotenen Freuden des Lebens genießen, welche in der
Heimath versagt waren und hoffte zuletzt auf die Unterstützung des Staa¬
tes, denn man war ja „Hamburger Bürger", ein Begriff, der für die
untern Klassen unendliche Freiheiten und Glückseligkeiten in sich faßt, weil
in dieser Region das leichte, materielle Leben über Alles geht. Man kann
dreist behaupten, daß Hamburg seit zehn, zwanzig Jahren, einen großen
Theil des allgemeinen deutschen Proletariats absorbirt hat und daß die
vielen, bedeutenden Gelder nach der Brandkatastrophe gleichsam auf der
stillen Anerkennung dieses Verdienstes von Seiten Hamburgs beruhte,
welche Behauptung noch an Gewicht und Bestimmtheit gewinnt, wenn
man erwägt, daß nach dem Brande Preußen, Baiern, Hannoveraner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/270>, abgerufen am 27.11.2024.