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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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regeln und bestimmen, für jeden Einzelfall, daher das Schwankende,
sich Widersprechende in den Entscheidungen ganz analoger, ganz glei¬
cher Fragen, daher die häufige Corruption.

Eine Monographie des österreichischen Beamtenstandes und seines
Wirkens muß.einem besondern Aufsähe vorbehalten bleiben, hier genügt
es an der Bemerkung, daß traurige Mittelmäßigkeit, Mangel an um¬
fassender Bildung, sogar Mangel an genauer Kenntniß aller bestehen¬
den Gesetze, den Beamten im Allgemeinen charakterisirt, auch ist das
gar leicht erklärt. --

Während für den ersten Elementarunterricht und dessen allgemeine
Verbreitung viel und Ersprießliches gethan ist, und Oesterreich in die¬
ser Hinsicht England und Frankreich weit voraus ist, befindet sich der
höhere Unterricht an Gymnasien und Universitäten in beklagenswerther
Verfassung, so zwar, daß nicht gut abzusehen ist, wozu man so viele
ziemlich gut besoldete Professoren anstellt, wozu man Concursprüfun-
gen für Candidaten des Lehramtes vorschreibt, müssen doch alle ein
und dasselbe Lehrbuch ihres Untcrrichtsgegenftandes vortragen, ist es
doch allen verpönt, diese Grenze zu überschreiten, wird doch ein Ab¬
weichen von diesem Lehrbuche hin und wieder nur nor moins gewagt,
und gar häufig gewinnt ein Lehrbuch, dessen Verfasser oder Compila-
tor ein gutes Geschäft zu machen wünscht, auf gar dunklen Wegen
den Preis.

Man kann dreist behaupten und verbürgen, daß die Masse der
Gymnasialschüler das Gymnasium höchst ununterrichtet verläßt, daß
von hundert approbirten Schülern nicht zehn einen lateinischen Clas-
siker zu erponiren vermögen, des Griechischen, der Naturlehre, der
Geschichte nicht zu gedenken, und doch wird das Latein, und nur das
Latein, den Schülern durch sechs.lange Jahre eingetrichtert; die Welt¬
geschichte zumal ist die l^n-tlo Iwuteuse der Gymnasien und wird
gleichsam als Heiligenlegende der Regenten drapirt, ein illustrirtes
Geschichtsbuch, in welchem jedem Regenten -- Cromwell und Napo¬
leon natürlich atisgenommen -- ein Heiligenschein um das Haupt
gemalt wäre, würde ganz am Platze sein.

Nach sechs nutzlos verschleppten Gymnasialjahren tritt der Jüng¬
ling in das sogenannte philosophische Studium, lernt Algebra,
Arithmetik, Geometrie und erponirt Klassiker, ohne Latein gehörig zu
verstehen, im zweiten Jahrgange wird ihm Naturlehre vorgetragen,
bisweilen leidlich genug, in beiden Jahrgängen wird Philosophie ge¬
lehrt und noch besonders katholische Religionsphilosophie (I), was der


regeln und bestimmen, für jeden Einzelfall, daher das Schwankende,
sich Widersprechende in den Entscheidungen ganz analoger, ganz glei¬
cher Fragen, daher die häufige Corruption.

Eine Monographie des österreichischen Beamtenstandes und seines
Wirkens muß.einem besondern Aufsähe vorbehalten bleiben, hier genügt
es an der Bemerkung, daß traurige Mittelmäßigkeit, Mangel an um¬
fassender Bildung, sogar Mangel an genauer Kenntniß aller bestehen¬
den Gesetze, den Beamten im Allgemeinen charakterisirt, auch ist das
gar leicht erklärt. —

Während für den ersten Elementarunterricht und dessen allgemeine
Verbreitung viel und Ersprießliches gethan ist, und Oesterreich in die¬
ser Hinsicht England und Frankreich weit voraus ist, befindet sich der
höhere Unterricht an Gymnasien und Universitäten in beklagenswerther
Verfassung, so zwar, daß nicht gut abzusehen ist, wozu man so viele
ziemlich gut besoldete Professoren anstellt, wozu man Concursprüfun-
gen für Candidaten des Lehramtes vorschreibt, müssen doch alle ein
und dasselbe Lehrbuch ihres Untcrrichtsgegenftandes vortragen, ist es
doch allen verpönt, diese Grenze zu überschreiten, wird doch ein Ab¬
weichen von diesem Lehrbuche hin und wieder nur nor moins gewagt,
und gar häufig gewinnt ein Lehrbuch, dessen Verfasser oder Compila-
tor ein gutes Geschäft zu machen wünscht, auf gar dunklen Wegen
den Preis.

Man kann dreist behaupten und verbürgen, daß die Masse der
Gymnasialschüler das Gymnasium höchst ununterrichtet verläßt, daß
von hundert approbirten Schülern nicht zehn einen lateinischen Clas-
siker zu erponiren vermögen, des Griechischen, der Naturlehre, der
Geschichte nicht zu gedenken, und doch wird das Latein, und nur das
Latein, den Schülern durch sechs.lange Jahre eingetrichtert; die Welt¬
geschichte zumal ist die l^n-tlo Iwuteuse der Gymnasien und wird
gleichsam als Heiligenlegende der Regenten drapirt, ein illustrirtes
Geschichtsbuch, in welchem jedem Regenten — Cromwell und Napo¬
leon natürlich atisgenommen — ein Heiligenschein um das Haupt
gemalt wäre, würde ganz am Platze sein.

Nach sechs nutzlos verschleppten Gymnasialjahren tritt der Jüng¬
ling in das sogenannte philosophische Studium, lernt Algebra,
Arithmetik, Geometrie und erponirt Klassiker, ohne Latein gehörig zu
verstehen, im zweiten Jahrgange wird ihm Naturlehre vorgetragen,
bisweilen leidlich genug, in beiden Jahrgängen wird Philosophie ge¬
lehrt und noch besonders katholische Religionsphilosophie (I), was der


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[0252] regeln und bestimmen, für jeden Einzelfall, daher das Schwankende, sich Widersprechende in den Entscheidungen ganz analoger, ganz glei¬ cher Fragen, daher die häufige Corruption. Eine Monographie des österreichischen Beamtenstandes und seines Wirkens muß.einem besondern Aufsähe vorbehalten bleiben, hier genügt es an der Bemerkung, daß traurige Mittelmäßigkeit, Mangel an um¬ fassender Bildung, sogar Mangel an genauer Kenntniß aller bestehen¬ den Gesetze, den Beamten im Allgemeinen charakterisirt, auch ist das gar leicht erklärt. — Während für den ersten Elementarunterricht und dessen allgemeine Verbreitung viel und Ersprießliches gethan ist, und Oesterreich in die¬ ser Hinsicht England und Frankreich weit voraus ist, befindet sich der höhere Unterricht an Gymnasien und Universitäten in beklagenswerther Verfassung, so zwar, daß nicht gut abzusehen ist, wozu man so viele ziemlich gut besoldete Professoren anstellt, wozu man Concursprüfun- gen für Candidaten des Lehramtes vorschreibt, müssen doch alle ein und dasselbe Lehrbuch ihres Untcrrichtsgegenftandes vortragen, ist es doch allen verpönt, diese Grenze zu überschreiten, wird doch ein Ab¬ weichen von diesem Lehrbuche hin und wieder nur nor moins gewagt, und gar häufig gewinnt ein Lehrbuch, dessen Verfasser oder Compila- tor ein gutes Geschäft zu machen wünscht, auf gar dunklen Wegen den Preis. Man kann dreist behaupten und verbürgen, daß die Masse der Gymnasialschüler das Gymnasium höchst ununterrichtet verläßt, daß von hundert approbirten Schülern nicht zehn einen lateinischen Clas- siker zu erponiren vermögen, des Griechischen, der Naturlehre, der Geschichte nicht zu gedenken, und doch wird das Latein, und nur das Latein, den Schülern durch sechs.lange Jahre eingetrichtert; die Welt¬ geschichte zumal ist die l^n-tlo Iwuteuse der Gymnasien und wird gleichsam als Heiligenlegende der Regenten drapirt, ein illustrirtes Geschichtsbuch, in welchem jedem Regenten — Cromwell und Napo¬ leon natürlich atisgenommen — ein Heiligenschein um das Haupt gemalt wäre, würde ganz am Platze sein. Nach sechs nutzlos verschleppten Gymnasialjahren tritt der Jüng¬ ling in das sogenannte philosophische Studium, lernt Algebra, Arithmetik, Geometrie und erponirt Klassiker, ohne Latein gehörig zu verstehen, im zweiten Jahrgange wird ihm Naturlehre vorgetragen, bisweilen leidlich genug, in beiden Jahrgängen wird Philosophie ge¬ lehrt und noch besonders katholische Religionsphilosophie (I), was der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/252>, abgerufen am 24.11.2024.