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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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es wirklich die deutsche Poesie war, die mir damals leibhaftig erschie¬
nen; denn wo sonst könnte sie besser wohnen, als in den Wäldern am
Fuße der Wartburg, inmitten der heiligen Trias von Natur, Sage
und Geschichte?! --

Nach einem langen Ritte kehrten nur endlich in die Burg zurück.
Sie hatte sich mit Sonntagsspaziergängcrn gefüllt, die im Hose beim
vollen Glase um den Tisch saßen, oder lachend und scherzend umher¬
liefen , oder von der Höhe des Thurmes ihre Tücher flattern ließen.
Wir setzten uns ruhig in den kleinen Garten, von wo aus man tief
in's Thal blicken und der untergehenden Sonne nachsehen kann. Fern¬
hin zieht sich eine Straße, die sich im Walde verliert -- ein weiterer
Wärmeleiter für die Sehnsucht, die hier so mächtig geweckt wird.
Weiter rechts, unfern vom Fuße des kahlen Berges, der hier die Wet¬
terscheide bildet und wie ein armer Mönch inmitten des üppigsten
Reichthumes steht, liege" auf grünen Wiesen einzelne Bauernhütten,
umgeben von kleinen Gärten und lustigen Heerden -- wohlthuende
Bilder eines glücklichen Friedens. Der Schloßhauptmann führte mich
aber bald auf die entgegengesetzte Seite, wo man über die Ringmauer
hinab nach Eisenach sieht und in das Thal, wo sich Luther als Jäger
versuchte. Die steile Felsenplatte, die wie eine wüste, verwitterte Stirne
auf den Frieden unter sich niederstarrt, die beiden Teiche, die so
geheimnißvoll aussehe", geben diesem Thale bei aller Friedlichkeit,
bei allem harmonischen Glockenläuten der Heerden auf den Höhen et¬
was Schauerliches, Unheimliches. Am Fuße jener Felsenplatte soll
König Etzel mit der schönen Griemhild Hochzeit gehalten haben. Das
Wasser, das hier kümmerlich auf allen Seiten des Steines hervor¬
sickert, scheint ein unglücklicher verwunschener Quell, der nicht lustig
murmelnd und hell, wie seine Brüder im Thale, sondern krank und
sterbend zur Welt kommt. Der Schloßhauptmann erzählte mir, daß
jene melancholische Teiche eine unheimliche Gewalt hätten, die alljähr¬
lich einen oder zwei Unglückliche in ihre Tiefe zögen. Dann sagte er
mir, daß das alte Thor der Wartburg allabendlich, wenn es geschlos¬
sen werde, einen klagenden Ton von sich gebe; er meinte, das Thor
weine darüber, daß wieder ein Tag vorüber gegangen, ohne daß die
alte Herrlichkeit, die es dahin ziehen gesehen, in die Wartburg wieder
eingezogen. Er ersuchte mich, ihm über die zwei Sonderbarkeiten
Lieder zu machen, die er dann zur Zither singen wollte. Ich ging in
den Garten zurück und begann zu schreiben. Auf einem schöneren
Flecke der Erde, unter schönern Umständen habe ich nie Verse geschrie-


es wirklich die deutsche Poesie war, die mir damals leibhaftig erschie¬
nen; denn wo sonst könnte sie besser wohnen, als in den Wäldern am
Fuße der Wartburg, inmitten der heiligen Trias von Natur, Sage
und Geschichte?! —

Nach einem langen Ritte kehrten nur endlich in die Burg zurück.
Sie hatte sich mit Sonntagsspaziergängcrn gefüllt, die im Hose beim
vollen Glase um den Tisch saßen, oder lachend und scherzend umher¬
liefen , oder von der Höhe des Thurmes ihre Tücher flattern ließen.
Wir setzten uns ruhig in den kleinen Garten, von wo aus man tief
in's Thal blicken und der untergehenden Sonne nachsehen kann. Fern¬
hin zieht sich eine Straße, die sich im Walde verliert — ein weiterer
Wärmeleiter für die Sehnsucht, die hier so mächtig geweckt wird.
Weiter rechts, unfern vom Fuße des kahlen Berges, der hier die Wet¬
terscheide bildet und wie ein armer Mönch inmitten des üppigsten
Reichthumes steht, liege» auf grünen Wiesen einzelne Bauernhütten,
umgeben von kleinen Gärten und lustigen Heerden — wohlthuende
Bilder eines glücklichen Friedens. Der Schloßhauptmann führte mich
aber bald auf die entgegengesetzte Seite, wo man über die Ringmauer
hinab nach Eisenach sieht und in das Thal, wo sich Luther als Jäger
versuchte. Die steile Felsenplatte, die wie eine wüste, verwitterte Stirne
auf den Frieden unter sich niederstarrt, die beiden Teiche, die so
geheimnißvoll aussehe», geben diesem Thale bei aller Friedlichkeit,
bei allem harmonischen Glockenläuten der Heerden auf den Höhen et¬
was Schauerliches, Unheimliches. Am Fuße jener Felsenplatte soll
König Etzel mit der schönen Griemhild Hochzeit gehalten haben. Das
Wasser, das hier kümmerlich auf allen Seiten des Steines hervor¬
sickert, scheint ein unglücklicher verwunschener Quell, der nicht lustig
murmelnd und hell, wie seine Brüder im Thale, sondern krank und
sterbend zur Welt kommt. Der Schloßhauptmann erzählte mir, daß
jene melancholische Teiche eine unheimliche Gewalt hätten, die alljähr¬
lich einen oder zwei Unglückliche in ihre Tiefe zögen. Dann sagte er
mir, daß das alte Thor der Wartburg allabendlich, wenn es geschlos¬
sen werde, einen klagenden Ton von sich gebe; er meinte, das Thor
weine darüber, daß wieder ein Tag vorüber gegangen, ohne daß die
alte Herrlichkeit, die es dahin ziehen gesehen, in die Wartburg wieder
eingezogen. Er ersuchte mich, ihm über die zwei Sonderbarkeiten
Lieder zu machen, die er dann zur Zither singen wollte. Ich ging in
den Garten zurück und begann zu schreiben. Auf einem schöneren
Flecke der Erde, unter schönern Umständen habe ich nie Verse geschrie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/195>, abgerufen am 23.07.2024.