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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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den. Wie ich so da saß und nachdenkend über die Wälder hinblickte,
trat eine alte thüringische Bäuerin herein, Sie sah in die Tiefe hinab,
faltete die Hände wie zum Gebete und sagte andächtig vor sich hin:
Ist das eine schone Welt! -- Ist das eine schöne Welt, sprach ich
unwillkürlich nach. -- Junges Blut, sagte sie zu mir, du bist glücklich,
daß du noch lange in dieser Welt leben kannst; ehre Vater und Mut¬
ter, damit du lange lebest auf Erden. Ich bin alt und grau. -- Mit
diesen Worten wandte sie sich wieder und verschwand. Ich mußte den
Stift weglegen, denn ich konnte nicht weiter schreiben. Die Sonne
ging noch schöner unter, als gestern. Unter den lauten Gästen drau¬
ßen im Hofe wurde es stille, denn Alles wandte sich zu diesem herr¬
lichen Schauspiel und sah andächtig zu. - - Aber da scholl ein viel¬
stimmiger Männerchor zum Thale herauf, der immer näher und näher
kam und immer mächtiger und mächtiger ertönte. Es war der Man-
nergesangverein, der durch das Thor der Wartburg einzog. In der
Mitte des Hofes blieben die Sänger stehen und mit dem Angesichte
gen Westen gewendet sangen sie, wie in einer Kirche, inbrünstig und
andachtvoll Lieder über das schöne deutsche Vaterland: aus den Ge¬
mächern der alten Landgrafen und der Minnesänger scholl das Echo
wieder. Als es dunkel wurde, theilten sich die Sänger; der eine
Theil setzte sich um einen Tisch in einer Senkung, des Hofes, der
andere bestieg den Thurm und nun erscholl das deutsche Lied bald tief
aus der Tiefe, bald hoch herab von der Hohe, bald wieder auf bei¬
den Seiten zugleich. Die volle Dunkelheit brach ein und die Sänger
waren nicht mehr zu sehen -- aber desto geheimnißvoller und mächti¬
ger wirkte ihr Lied. Ich glaubte jetzt die Stimmen erwachter Geister
aus der Tiefe, setzt wieder das Lied des Königs vom Thurme zu
hören.

Der Schloßhauptmann ließ mich auf seine Stube rufen, wo er
mich mit Wein erwartete. Ich fand ihn in Gesellschaft zweier lieb¬
licher Kinder, kleiner blauäugiger, blondlockiger Mädchen, die er die
Vurgfräulein nannte. Die Stube war dunkel, was mir sehr lieb
war, und der Gesang scholl geisterhaft herein. In den Zwischenpau¬
sen horchten wir dem Plaudern der Kinder zu. Das ältere Mädchen
erzählte mir sehr weise von ihrem Vater, der ein frommer Priester ist,
und von ihrer kranken Großmutter; die jüngere nahm mich bei der
Hand und ich mußte ihr durch ein Loch in der Wand nachkriechen,
dann über höchst gefährliches, wackelndes Gebälk in ein altes verfal¬
lenes Thürmchen. Das, sagte sie mir, habe sie sich zur Wohnung


den. Wie ich so da saß und nachdenkend über die Wälder hinblickte,
trat eine alte thüringische Bäuerin herein, Sie sah in die Tiefe hinab,
faltete die Hände wie zum Gebete und sagte andächtig vor sich hin:
Ist das eine schone Welt! — Ist das eine schöne Welt, sprach ich
unwillkürlich nach. — Junges Blut, sagte sie zu mir, du bist glücklich,
daß du noch lange in dieser Welt leben kannst; ehre Vater und Mut¬
ter, damit du lange lebest auf Erden. Ich bin alt und grau. — Mit
diesen Worten wandte sie sich wieder und verschwand. Ich mußte den
Stift weglegen, denn ich konnte nicht weiter schreiben. Die Sonne
ging noch schöner unter, als gestern. Unter den lauten Gästen drau¬
ßen im Hofe wurde es stille, denn Alles wandte sich zu diesem herr¬
lichen Schauspiel und sah andächtig zu. - - Aber da scholl ein viel¬
stimmiger Männerchor zum Thale herauf, der immer näher und näher
kam und immer mächtiger und mächtiger ertönte. Es war der Man-
nergesangverein, der durch das Thor der Wartburg einzog. In der
Mitte des Hofes blieben die Sänger stehen und mit dem Angesichte
gen Westen gewendet sangen sie, wie in einer Kirche, inbrünstig und
andachtvoll Lieder über das schöne deutsche Vaterland: aus den Ge¬
mächern der alten Landgrafen und der Minnesänger scholl das Echo
wieder. Als es dunkel wurde, theilten sich die Sänger; der eine
Theil setzte sich um einen Tisch in einer Senkung, des Hofes, der
andere bestieg den Thurm und nun erscholl das deutsche Lied bald tief
aus der Tiefe, bald hoch herab von der Hohe, bald wieder auf bei¬
den Seiten zugleich. Die volle Dunkelheit brach ein und die Sänger
waren nicht mehr zu sehen — aber desto geheimnißvoller und mächti¬
ger wirkte ihr Lied. Ich glaubte jetzt die Stimmen erwachter Geister
aus der Tiefe, setzt wieder das Lied des Königs vom Thurme zu
hören.

Der Schloßhauptmann ließ mich auf seine Stube rufen, wo er
mich mit Wein erwartete. Ich fand ihn in Gesellschaft zweier lieb¬
licher Kinder, kleiner blauäugiger, blondlockiger Mädchen, die er die
Vurgfräulein nannte. Die Stube war dunkel, was mir sehr lieb
war, und der Gesang scholl geisterhaft herein. In den Zwischenpau¬
sen horchten wir dem Plaudern der Kinder zu. Das ältere Mädchen
erzählte mir sehr weise von ihrem Vater, der ein frommer Priester ist,
und von ihrer kranken Großmutter; die jüngere nahm mich bei der
Hand und ich mußte ihr durch ein Loch in der Wand nachkriechen,
dann über höchst gefährliches, wackelndes Gebälk in ein altes verfal¬
lenes Thürmchen. Das, sagte sie mir, habe sie sich zur Wohnung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/196>, abgerufen am 24.11.2024.