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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ankäme, schlug' er Einen todt, um Geld, wenn's Niemand erführe--"
hier stockte er plötzlich vor dem furchtbaren Blicke der Wittwe, den sie
auf ihn schoß. -- "Todtschläger, nein!" sagte sie schneidend. "Dazu
hat er keine Courage. Aber darum betrügen, selbst den Aermsten, mit
Freuden!" -- "So sind sie Alle!" bestätigte der Mann. "Schöne
Redensarten können sie machen, o! Sie hätte unsern Inspektor hören
sollen in dem weißen Hut -- der schnabberte! Von Sparen und
Mäßigkeit und Kirchengehen -- nicht wahr, Grete?" -- "Es ist ein
hübscher Mann!" sagte das Mädchen lächelnd. -- "Na ja! Die
Frauensleute sind versessen auf ihn, aber sonst kann ihn kein Mensch
leiden. Rauche nicht einmal Tabak und trinkt Wasser! Wenn das
Ding so fort geht und wir unsern Lohn nicht kriegen, so geht näch¬
stens der Teufel los. Wir haben das Wassertrinken satt, und es
bleibt ja kaum ein Groschen übrig, um sich einmal zu stärken. Will
Sie nicht auch einen Schluck, Frau Greschel?"


5.

Am Ufer des Sees, den Fabrikgebäuden gegenüber, aber durch
eine breite Wasserfläche von ihnen getrennt, zog sich der reizende Park
eines Herrensitzes hin, welcher einer stolzen Familie des Hochavels ge¬
hörte. Nur in den Sommermonaten brachte diese gelegentlich ein Paar
Wochen hierzu, die übrige schöne Jahreszeit verlebte sie auf Reisen,
den Winter in der Residenz. Mit den Bewohnern des Städtchens,
das in so unmittelbarer Nachbarschaft lag, stand sie während ihres
Aufenthalts nicht in der entferntesten Beziehung. Der fremde Park
war auch in ihrer Abwesenheit jedem fremden Besuche verschlossen und
die Ankunft des Grafen -- anders nannte man ihn nicht, Viele in der
Stadt kannten gewiß nicht einmal seinen Namen, er war "der Graf"
pAi- excellence -- die Ankunft des Grafen erfuhr man nur dadurch,
daß heilt Reitknecht mit der Brieftasche auf einem flinken Pony in
der Stadt und auf dem Postamte erschien, um die zahlreich eingehen¬
den Briefe aus allen Weltgegenden für seinen Herrn in Empfang zu
nehmen, was er täglich fortsetzte, eben so viele Briefe, unter denen
manche von zierlicher Damenhand, zur Beförderung aufgebend. Dem
ästhetischen Postsecrctär verursachte die Portoberechnung nach Orten,
die ihm sonst nie vorkamen, viel Mühe und zog ihm, wegen häufiger
Irrthümer, manche Nase von Oben zu. Nächst dem Postamte hatten
auch die Kaufleute des Städtchens eine bemerkliche, und hier aller¬
dings erfreuliche Belebung des Geschäfts. Ließ diese' nach und blieb


Grmzb"den, es4S. II. 19

ankäme, schlug' er Einen todt, um Geld, wenn's Niemand erführe—"
hier stockte er plötzlich vor dem furchtbaren Blicke der Wittwe, den sie
auf ihn schoß. — „Todtschläger, nein!" sagte sie schneidend. „Dazu
hat er keine Courage. Aber darum betrügen, selbst den Aermsten, mit
Freuden!" — „So sind sie Alle!" bestätigte der Mann. „Schöne
Redensarten können sie machen, o! Sie hätte unsern Inspektor hören
sollen in dem weißen Hut — der schnabberte! Von Sparen und
Mäßigkeit und Kirchengehen — nicht wahr, Grete?" — „Es ist ein
hübscher Mann!" sagte das Mädchen lächelnd. — „Na ja! Die
Frauensleute sind versessen auf ihn, aber sonst kann ihn kein Mensch
leiden. Rauche nicht einmal Tabak und trinkt Wasser! Wenn das
Ding so fort geht und wir unsern Lohn nicht kriegen, so geht näch¬
stens der Teufel los. Wir haben das Wassertrinken satt, und es
bleibt ja kaum ein Groschen übrig, um sich einmal zu stärken. Will
Sie nicht auch einen Schluck, Frau Greschel?"


5.

Am Ufer des Sees, den Fabrikgebäuden gegenüber, aber durch
eine breite Wasserfläche von ihnen getrennt, zog sich der reizende Park
eines Herrensitzes hin, welcher einer stolzen Familie des Hochavels ge¬
hörte. Nur in den Sommermonaten brachte diese gelegentlich ein Paar
Wochen hierzu, die übrige schöne Jahreszeit verlebte sie auf Reisen,
den Winter in der Residenz. Mit den Bewohnern des Städtchens,
das in so unmittelbarer Nachbarschaft lag, stand sie während ihres
Aufenthalts nicht in der entferntesten Beziehung. Der fremde Park
war auch in ihrer Abwesenheit jedem fremden Besuche verschlossen und
die Ankunft des Grafen — anders nannte man ihn nicht, Viele in der
Stadt kannten gewiß nicht einmal seinen Namen, er war „der Graf"
pAi- excellence — die Ankunft des Grafen erfuhr man nur dadurch,
daß heilt Reitknecht mit der Brieftasche auf einem flinken Pony in
der Stadt und auf dem Postamte erschien, um die zahlreich eingehen¬
den Briefe aus allen Weltgegenden für seinen Herrn in Empfang zu
nehmen, was er täglich fortsetzte, eben so viele Briefe, unter denen
manche von zierlicher Damenhand, zur Beförderung aufgebend. Dem
ästhetischen Postsecrctär verursachte die Portoberechnung nach Orten,
die ihm sonst nie vorkamen, viel Mühe und zog ihm, wegen häufiger
Irrthümer, manche Nase von Oben zu. Nächst dem Postamte hatten
auch die Kaufleute des Städtchens eine bemerkliche, und hier aller¬
dings erfreuliche Belebung des Geschäfts. Ließ diese' nach und blieb


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/157>, abgerufen am 24.11.2024.