Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

erinnerte sich der Bauer, daß er noch ein anderes Gesetz, der
beurlaubte Soldat, daß er einen anderen Fahnenschwur kenne,
ergriff seinen Dreschflegel und erschlug die Revolution.

Es gehört zu der Eigenthümlichkeit des polnischen Charakters,
daß er Alles glänzend anfängt und nichts consequent durchführt.
Während die kleinen Gutsbesitzer, fast durchgängig in die Bewegung
eingehend, keine Kosten, keine Aufopferung scheuten, um ihre Zwecke
vorzubereiten, vergaßen sie gerade das Wichtigste, nämlich das
Werkzeug dazu, den Bauer zu gewinnen, welches, wenn sie
seit einigen Jahren ihre Aufmerksamkeit darauf gewendet hätten,
wenigstens bis zu einem gewissen Grade eine Katastrophe, wie die
statt gefundene, möglich gemacht haben würde. Aber, obgleich
sie wußten, daß sie seiner bedürfen würde,?, so dauerte die Bauern¬
schinderei fort, und gab den Kreisämtern und Regierungsbeamten
beständige Gelegenheit, die dankbare Rotte des Beschützers gegen die
Bedrückungen der Grundherrn und Mandatare (Verwalter) zu spie¬
len. Der polnische Edelmann und Grundherr ist oft großmüthig,
aber er erkennt durchaus nicht das Recht; Willkür ist ein nothwen¬
diges Element ächt polnischer Nationalität, welche so oft Gesetz¬
losigkeit mit Freiheit verwechselte.

Beob^chtungswerth ist die Ordnung, die Disciplin, welche das
Landvolk bei seiner Reaction, besonders anfänglich beobachtete.
Während der 4 oder 5 Tage, in welchen die erste und größte Auf¬
regung waltete, und Schaaren von Bauern, , oder zu ihren Re¬
gimentern ohne irgend eine militärische Aufsicht wandernde Beur¬
laubte die Straßen überfüllten, war der Anblick eines Betrunkenen
eine höchst seltene Erscheinung; bei diesen blutigen und traurigen
Erecutionen wurde zwar der Verdächtige erschlagen, und leider
auch hier und da mancher Unschuldige, wenn er als "untreu dem Kai¬
ser" bezeichnet war, aber Weiber und Kinder durchgängig ge¬
schont, Raub und Brandlegung fielen anfangs nicht vor; erst spä¬
ter, als sich der Bewegung schon bösartigere Elemente anschlössen,
oder wenn sich die Bewohner der Edelhofe hartnäckig vertheidigten,
wobei auch Frauen thätigen Antheil nahmen, traten Ausnahmen ein;
es wurde dann Feuer angelegt und geplündert, und bei solchen Veran¬
lassungen sind auch, wiewohl selten, Frauen mißhandelt worden. Graf
R. flüchtete mit seiner Frau und mit seinen Knaben; auf der


erinnerte sich der Bauer, daß er noch ein anderes Gesetz, der
beurlaubte Soldat, daß er einen anderen Fahnenschwur kenne,
ergriff seinen Dreschflegel und erschlug die Revolution.

Es gehört zu der Eigenthümlichkeit des polnischen Charakters,
daß er Alles glänzend anfängt und nichts consequent durchführt.
Während die kleinen Gutsbesitzer, fast durchgängig in die Bewegung
eingehend, keine Kosten, keine Aufopferung scheuten, um ihre Zwecke
vorzubereiten, vergaßen sie gerade das Wichtigste, nämlich das
Werkzeug dazu, den Bauer zu gewinnen, welches, wenn sie
seit einigen Jahren ihre Aufmerksamkeit darauf gewendet hätten,
wenigstens bis zu einem gewissen Grade eine Katastrophe, wie die
statt gefundene, möglich gemacht haben würde. Aber, obgleich
sie wußten, daß sie seiner bedürfen würde,?, so dauerte die Bauern¬
schinderei fort, und gab den Kreisämtern und Regierungsbeamten
beständige Gelegenheit, die dankbare Rotte des Beschützers gegen die
Bedrückungen der Grundherrn und Mandatare (Verwalter) zu spie¬
len. Der polnische Edelmann und Grundherr ist oft großmüthig,
aber er erkennt durchaus nicht das Recht; Willkür ist ein nothwen¬
diges Element ächt polnischer Nationalität, welche so oft Gesetz¬
losigkeit mit Freiheit verwechselte.

Beob^chtungswerth ist die Ordnung, die Disciplin, welche das
Landvolk bei seiner Reaction, besonders anfänglich beobachtete.
Während der 4 oder 5 Tage, in welchen die erste und größte Auf¬
regung waltete, und Schaaren von Bauern, , oder zu ihren Re¬
gimentern ohne irgend eine militärische Aufsicht wandernde Beur¬
laubte die Straßen überfüllten, war der Anblick eines Betrunkenen
eine höchst seltene Erscheinung; bei diesen blutigen und traurigen
Erecutionen wurde zwar der Verdächtige erschlagen, und leider
auch hier und da mancher Unschuldige, wenn er als „untreu dem Kai¬
ser" bezeichnet war, aber Weiber und Kinder durchgängig ge¬
schont, Raub und Brandlegung fielen anfangs nicht vor; erst spä¬
ter, als sich der Bewegung schon bösartigere Elemente anschlössen,
oder wenn sich die Bewohner der Edelhofe hartnäckig vertheidigten,
wobei auch Frauen thätigen Antheil nahmen, traten Ausnahmen ein;
es wurde dann Feuer angelegt und geplündert, und bei solchen Veran¬
lassungen sind auch, wiewohl selten, Frauen mißhandelt worden. Graf
R. flüchtete mit seiner Frau und mit seinen Knaben; auf der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182537"/>
          <p xml:id="ID_296" prev="#ID_295"> erinnerte sich der Bauer, daß er noch ein anderes Gesetz, der<lb/>
beurlaubte Soldat, daß er einen anderen Fahnenschwur kenne,<lb/>
ergriff seinen Dreschflegel und erschlug die Revolution.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_297"> Es gehört zu der Eigenthümlichkeit des polnischen Charakters,<lb/>
daß er Alles glänzend anfängt und nichts consequent durchführt.<lb/>
Während die kleinen Gutsbesitzer, fast durchgängig in die Bewegung<lb/>
eingehend, keine Kosten, keine Aufopferung scheuten, um ihre Zwecke<lb/>
vorzubereiten, vergaßen sie gerade das Wichtigste, nämlich das<lb/>
Werkzeug dazu, den Bauer zu gewinnen, welches, wenn sie<lb/>
seit einigen Jahren ihre Aufmerksamkeit darauf gewendet hätten,<lb/>
wenigstens bis zu einem gewissen Grade eine Katastrophe, wie die<lb/>
statt gefundene, möglich gemacht haben würde. Aber, obgleich<lb/>
sie wußten, daß sie seiner bedürfen würde,?, so dauerte die Bauern¬<lb/>
schinderei fort, und gab den Kreisämtern und Regierungsbeamten<lb/>
beständige Gelegenheit, die dankbare Rotte des Beschützers gegen die<lb/>
Bedrückungen der Grundherrn und Mandatare (Verwalter) zu spie¬<lb/>
len. Der polnische Edelmann und Grundherr ist oft großmüthig,<lb/>
aber er erkennt durchaus nicht das Recht; Willkür ist ein nothwen¬<lb/>
diges Element ächt polnischer Nationalität, welche so oft Gesetz¬<lb/>
losigkeit mit Freiheit verwechselte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_298" next="#ID_299"> Beob^chtungswerth ist die Ordnung, die Disciplin, welche das<lb/>
Landvolk bei seiner Reaction, besonders anfänglich beobachtete.<lb/>
Während der 4 oder 5 Tage, in welchen die erste und größte Auf¬<lb/>
regung waltete, und Schaaren von Bauern, , oder zu ihren Re¬<lb/>
gimentern ohne irgend eine militärische Aufsicht wandernde Beur¬<lb/>
laubte die Straßen überfüllten, war der Anblick eines Betrunkenen<lb/>
eine höchst seltene Erscheinung; bei diesen blutigen und traurigen<lb/>
Erecutionen wurde zwar der Verdächtige erschlagen, und leider<lb/>
auch hier und da mancher Unschuldige, wenn er als &#x201E;untreu dem Kai¬<lb/>
ser" bezeichnet war, aber Weiber und Kinder durchgängig ge¬<lb/>
schont, Raub und Brandlegung fielen anfangs nicht vor; erst spä¬<lb/>
ter, als sich der Bewegung schon bösartigere Elemente anschlössen,<lb/>
oder wenn sich die Bewohner der Edelhofe hartnäckig vertheidigten,<lb/>
wobei auch Frauen thätigen Antheil nahmen, traten Ausnahmen ein;<lb/>
es wurde dann Feuer angelegt und geplündert, und bei solchen Veran¬<lb/>
lassungen sind auch, wiewohl selten, Frauen mißhandelt worden. Graf<lb/>
R. flüchtete mit seiner Frau und mit seinen Knaben; auf der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] erinnerte sich der Bauer, daß er noch ein anderes Gesetz, der beurlaubte Soldat, daß er einen anderen Fahnenschwur kenne, ergriff seinen Dreschflegel und erschlug die Revolution. Es gehört zu der Eigenthümlichkeit des polnischen Charakters, daß er Alles glänzend anfängt und nichts consequent durchführt. Während die kleinen Gutsbesitzer, fast durchgängig in die Bewegung eingehend, keine Kosten, keine Aufopferung scheuten, um ihre Zwecke vorzubereiten, vergaßen sie gerade das Wichtigste, nämlich das Werkzeug dazu, den Bauer zu gewinnen, welches, wenn sie seit einigen Jahren ihre Aufmerksamkeit darauf gewendet hätten, wenigstens bis zu einem gewissen Grade eine Katastrophe, wie die statt gefundene, möglich gemacht haben würde. Aber, obgleich sie wußten, daß sie seiner bedürfen würde,?, so dauerte die Bauern¬ schinderei fort, und gab den Kreisämtern und Regierungsbeamten beständige Gelegenheit, die dankbare Rotte des Beschützers gegen die Bedrückungen der Grundherrn und Mandatare (Verwalter) zu spie¬ len. Der polnische Edelmann und Grundherr ist oft großmüthig, aber er erkennt durchaus nicht das Recht; Willkür ist ein nothwen¬ diges Element ächt polnischer Nationalität, welche so oft Gesetz¬ losigkeit mit Freiheit verwechselte. Beob^chtungswerth ist die Ordnung, die Disciplin, welche das Landvolk bei seiner Reaction, besonders anfänglich beobachtete. Während der 4 oder 5 Tage, in welchen die erste und größte Auf¬ regung waltete, und Schaaren von Bauern, , oder zu ihren Re¬ gimentern ohne irgend eine militärische Aufsicht wandernde Beur¬ laubte die Straßen überfüllten, war der Anblick eines Betrunkenen eine höchst seltene Erscheinung; bei diesen blutigen und traurigen Erecutionen wurde zwar der Verdächtige erschlagen, und leider auch hier und da mancher Unschuldige, wenn er als „untreu dem Kai¬ ser" bezeichnet war, aber Weiber und Kinder durchgängig ge¬ schont, Raub und Brandlegung fielen anfangs nicht vor; erst spä¬ ter, als sich der Bewegung schon bösartigere Elemente anschlössen, oder wenn sich die Bewohner der Edelhofe hartnäckig vertheidigten, wobei auch Frauen thätigen Antheil nahmen, traten Ausnahmen ein; es wurde dann Feuer angelegt und geplündert, und bei solchen Veran¬ lassungen sind auch, wiewohl selten, Frauen mißhandelt worden. Graf R. flüchtete mit seiner Frau und mit seinen Knaben; auf der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/114>, abgerufen am 26.06.2024.