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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Umrisse der Dinge, die wesentlich von den erwarteten abwichen,
genau schildern wollte, stach das Bild dergestalt von dem Erwar¬
teten ab, daß man sich lieber davon abwendete, als sich die unbe¬
queme Abweichung von der einmal aufgefaßten Vorstellung gefallen
lassen wollte.

Die äußeren Umrisse der Ereignisse von dem Ausbruche der
Verschwörung bis zur Besetzung Warschau's durch die Truppen
der drei Mächte, sind bereits hinlänglich bekannt. Was nun Galizien
insbesondere betrifft, so stellt sich inmitten aller Discusswn der entgegen¬
gesetztesten Art die eineThatsacheunläugbar fest: daß die Verschwö¬
rung, trotz der ausgebreiteten, vielverzweigten Verbindung, ihr Lebens¬
princip ausschließlich in den Kreisen der Güterbesitzer und ihrer
Abhängigen, und eines Theiles der Levito's (wie man in Spanien
alle bürgerlich oder modisch Gekleideten nennt) fand, dagegen bei
dem Landvolke nicht nur durchaus keinen Anklang hatte , sondern
gerade an dessen entschiedenem Widerstand scheiterte. Eben so steht
es fest, daß von den zahlreichen Bataillonen, welche gegen die In¬
surgenten zogen, sämmtlich eingeborene Landeskinder der Regimenter
Nugent, Haman, Fürstenwärther, Hohenegg, nicht ein gemeiner
Mann zum Feinde überging, sondern vielmehr alle Beurlaubten der
genannten Regimenter und der dazu gehörigen Landwehrbataillons
freiwillig zu ihren Fahnen herbeieilten. Die gesammte, früher auf
dem Lande zerstreute und sich selbst überlassene Mannschaft hat allen
Verführungskünsten der Verschworenen getrotzt, und die Anhäng¬
lichkeit an ihrer Fahne und ihre entschiedene Abneigung gegen die
"nationalen" Umtriebe entschieden an den Tag gelegt. Letztere fan¬
den somit ihren Untergang gewissermaßen gerade durch jene Werk¬
zeuge, welche sie am allersichersten zu ihren Zwecken zu benutzen
hofften. Diese Erscheinungen werden Jenen, welche Polen, Gali¬
zien und Oesterreich überhaupt nur aus Journalen kennen, ein
Räthsel scheinen. Wer aber mit den österreichischen Zuständen ver¬
traut ist, und sich nicht durch vorgefaßte Meinungen, oder wenn
auch edle und poetische, aber nichtsdestoweniger irreleitende Sym¬
pathien und Antipathien blenden und täuschen läßt, wird die Lösung
dieser scheinbaren Widersprüche bald finden. Wer je massenhafte
Volksbewegungen zu beobachten Gelegenheit gehabt, und über deren
Natur aus der Praxis wie aus der Geschichte sich belehrt hat,


Umrisse der Dinge, die wesentlich von den erwarteten abwichen,
genau schildern wollte, stach das Bild dergestalt von dem Erwar¬
teten ab, daß man sich lieber davon abwendete, als sich die unbe¬
queme Abweichung von der einmal aufgefaßten Vorstellung gefallen
lassen wollte.

Die äußeren Umrisse der Ereignisse von dem Ausbruche der
Verschwörung bis zur Besetzung Warschau's durch die Truppen
der drei Mächte, sind bereits hinlänglich bekannt. Was nun Galizien
insbesondere betrifft, so stellt sich inmitten aller Discusswn der entgegen¬
gesetztesten Art die eineThatsacheunläugbar fest: daß die Verschwö¬
rung, trotz der ausgebreiteten, vielverzweigten Verbindung, ihr Lebens¬
princip ausschließlich in den Kreisen der Güterbesitzer und ihrer
Abhängigen, und eines Theiles der Levito's (wie man in Spanien
alle bürgerlich oder modisch Gekleideten nennt) fand, dagegen bei
dem Landvolke nicht nur durchaus keinen Anklang hatte , sondern
gerade an dessen entschiedenem Widerstand scheiterte. Eben so steht
es fest, daß von den zahlreichen Bataillonen, welche gegen die In¬
surgenten zogen, sämmtlich eingeborene Landeskinder der Regimenter
Nugent, Haman, Fürstenwärther, Hohenegg, nicht ein gemeiner
Mann zum Feinde überging, sondern vielmehr alle Beurlaubten der
genannten Regimenter und der dazu gehörigen Landwehrbataillons
freiwillig zu ihren Fahnen herbeieilten. Die gesammte, früher auf
dem Lande zerstreute und sich selbst überlassene Mannschaft hat allen
Verführungskünsten der Verschworenen getrotzt, und die Anhäng¬
lichkeit an ihrer Fahne und ihre entschiedene Abneigung gegen die
„nationalen" Umtriebe entschieden an den Tag gelegt. Letztere fan¬
den somit ihren Untergang gewissermaßen gerade durch jene Werk¬
zeuge, welche sie am allersichersten zu ihren Zwecken zu benutzen
hofften. Diese Erscheinungen werden Jenen, welche Polen, Gali¬
zien und Oesterreich überhaupt nur aus Journalen kennen, ein
Räthsel scheinen. Wer aber mit den österreichischen Zuständen ver¬
traut ist, und sich nicht durch vorgefaßte Meinungen, oder wenn
auch edle und poetische, aber nichtsdestoweniger irreleitende Sym¬
pathien und Antipathien blenden und täuschen läßt, wird die Lösung
dieser scheinbaren Widersprüche bald finden. Wer je massenhafte
Volksbewegungen zu beobachten Gelegenheit gehabt, und über deren
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[0110] Umrisse der Dinge, die wesentlich von den erwarteten abwichen, genau schildern wollte, stach das Bild dergestalt von dem Erwar¬ teten ab, daß man sich lieber davon abwendete, als sich die unbe¬ queme Abweichung von der einmal aufgefaßten Vorstellung gefallen lassen wollte. Die äußeren Umrisse der Ereignisse von dem Ausbruche der Verschwörung bis zur Besetzung Warschau's durch die Truppen der drei Mächte, sind bereits hinlänglich bekannt. Was nun Galizien insbesondere betrifft, so stellt sich inmitten aller Discusswn der entgegen¬ gesetztesten Art die eineThatsacheunläugbar fest: daß die Verschwö¬ rung, trotz der ausgebreiteten, vielverzweigten Verbindung, ihr Lebens¬ princip ausschließlich in den Kreisen der Güterbesitzer und ihrer Abhängigen, und eines Theiles der Levito's (wie man in Spanien alle bürgerlich oder modisch Gekleideten nennt) fand, dagegen bei dem Landvolke nicht nur durchaus keinen Anklang hatte , sondern gerade an dessen entschiedenem Widerstand scheiterte. Eben so steht es fest, daß von den zahlreichen Bataillonen, welche gegen die In¬ surgenten zogen, sämmtlich eingeborene Landeskinder der Regimenter Nugent, Haman, Fürstenwärther, Hohenegg, nicht ein gemeiner Mann zum Feinde überging, sondern vielmehr alle Beurlaubten der genannten Regimenter und der dazu gehörigen Landwehrbataillons freiwillig zu ihren Fahnen herbeieilten. Die gesammte, früher auf dem Lande zerstreute und sich selbst überlassene Mannschaft hat allen Verführungskünsten der Verschworenen getrotzt, und die Anhäng¬ lichkeit an ihrer Fahne und ihre entschiedene Abneigung gegen die „nationalen" Umtriebe entschieden an den Tag gelegt. Letztere fan¬ den somit ihren Untergang gewissermaßen gerade durch jene Werk¬ zeuge, welche sie am allersichersten zu ihren Zwecken zu benutzen hofften. Diese Erscheinungen werden Jenen, welche Polen, Gali¬ zien und Oesterreich überhaupt nur aus Journalen kennen, ein Räthsel scheinen. Wer aber mit den österreichischen Zuständen ver¬ traut ist, und sich nicht durch vorgefaßte Meinungen, oder wenn auch edle und poetische, aber nichtsdestoweniger irreleitende Sym¬ pathien und Antipathien blenden und täuschen läßt, wird die Lösung dieser scheinbaren Widersprüche bald finden. Wer je massenhafte Volksbewegungen zu beobachten Gelegenheit gehabt, und über deren Natur aus der Praxis wie aus der Geschichte sich belehrt hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/110>, abgerufen am 24.11.2024.