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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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die Rede ging, bei Seite geschoben würde. Auch Herr Pokorny
hatte vordem seine Chancen, allein seine enormen Lind preise haben
ihm geschadet, man betrachtete eine solche Speculation als eine schwin¬
delhafte und indiscrete zugleich; man entdeckte plötzlich, wie mit einem
Zauberschlage, daß das Theater an der Wien von der Gestaltung ei¬
nes festen Repertoires keine Ahnung habe; kurz, Pokorny besitzt in
diesem Moment zu wenig Gunst und Credit, um sich Rechnung ma¬
chen zu dürfen, in den Friedenshafen der Hofoperntheateradministration,
wo die Palme eines k. k. Zuschusses von 9et,M0 si. blüht, mit dem
schadhaft gewordenen Fahrzeuge seines Jmpresariorufeö einzulaufen.

Wähne übrigens Niemand, es sei ungeachtet der so ansehnlichen
Dotation leicht, den Musentempel nächst dem Kärnthnerthore zu ver¬
walten. Auch dieses Geschäft hat seine Dornen, Dem. -- ist eine
junge, hübsche Sängerin, die wenig Töne in der Kehle, aber einen
ansehnlichen Beschützer hat. Dieser begibt sich zu dem als gefällig be¬
kannten Administrator, wechselt mit ihm einige Worte und siehe da!
Dem. A'.-- wird engagirt, obschon sie nur äußerst selten auf dem
Theaterzettel figurirt. Mit der Tänzerin U., die sehr nette Füßchen
hat, hat es ein ähnliches Bewandtniß. Die Frucht dieser Gefällig¬
keiten ist für Herrn Balochino ein Geflecht großer Hände, die ihn
schirmend über dem Wasser zu erhalten suchen, wenn ihn das Bleige¬
wicht der öffentlichen Meinung zu Boden drückt.

Doch verlassen wir die Region des Hofoperntheaters, betrachten
wir jenen Berg von Placaten, der sich längs der Mauer bis in die
Höhe der UnlcSbarkeit emporwälzt! Strauß Vater, Strauß Sohn,
Strauß Sohn, Strauß Vater. Die dazu verwendeten Typen
scheinen ans schlanken Tannen eigens geschnitzt worden zu sein. So
ungeheuerlich sind sie. Alle sonstigen Anzeigen sind im Vergleiche da¬
mit unbedeutend zu nennen; selbst die Annoncen der bei uns zeitweise
auftauchenden Koch- und Erbauungsbücher verschwinden dagegen in
jenes Nichts, welches überhaupt so treffend die Devise der hiesigen Li¬
teratur bildet. Nun, man sei versichert, so lange dieser jämmerliche
Wirthshausgeschmack dem Wiener eigen bleibt, hoffe man keinen be¬
sonderen Culturausschwung desselben, am wenigsten im Gebiete der
Politik. Auch der Engländer liebt es, gut und stark zu essen. Allein
wenn man ihn mit Tanz und Musik, mit Gedudel und Gejohle, mit
nichtssagenden Geschwätz in solchem Uebermaße regaliren wollte, wie
dies in den sogenannten Reunionen, Conversationen und Wirthshaus
soirven geschieht, er liefe davon. Denn es muß ein wenig Talent zur
Narrheit vorhanden sein, um solche Narrentheidung zu ertragen.


die Rede ging, bei Seite geschoben würde. Auch Herr Pokorny
hatte vordem seine Chancen, allein seine enormen Lind preise haben
ihm geschadet, man betrachtete eine solche Speculation als eine schwin¬
delhafte und indiscrete zugleich; man entdeckte plötzlich, wie mit einem
Zauberschlage, daß das Theater an der Wien von der Gestaltung ei¬
nes festen Repertoires keine Ahnung habe; kurz, Pokorny besitzt in
diesem Moment zu wenig Gunst und Credit, um sich Rechnung ma¬
chen zu dürfen, in den Friedenshafen der Hofoperntheateradministration,
wo die Palme eines k. k. Zuschusses von 9et,M0 si. blüht, mit dem
schadhaft gewordenen Fahrzeuge seines Jmpresariorufeö einzulaufen.

Wähne übrigens Niemand, es sei ungeachtet der so ansehnlichen
Dotation leicht, den Musentempel nächst dem Kärnthnerthore zu ver¬
walten. Auch dieses Geschäft hat seine Dornen, Dem. — ist eine
junge, hübsche Sängerin, die wenig Töne in der Kehle, aber einen
ansehnlichen Beschützer hat. Dieser begibt sich zu dem als gefällig be¬
kannten Administrator, wechselt mit ihm einige Worte und siehe da!
Dem. A'.— wird engagirt, obschon sie nur äußerst selten auf dem
Theaterzettel figurirt. Mit der Tänzerin U., die sehr nette Füßchen
hat, hat es ein ähnliches Bewandtniß. Die Frucht dieser Gefällig¬
keiten ist für Herrn Balochino ein Geflecht großer Hände, die ihn
schirmend über dem Wasser zu erhalten suchen, wenn ihn das Bleige¬
wicht der öffentlichen Meinung zu Boden drückt.

Doch verlassen wir die Region des Hofoperntheaters, betrachten
wir jenen Berg von Placaten, der sich längs der Mauer bis in die
Höhe der UnlcSbarkeit emporwälzt! Strauß Vater, Strauß Sohn,
Strauß Sohn, Strauß Vater. Die dazu verwendeten Typen
scheinen ans schlanken Tannen eigens geschnitzt worden zu sein. So
ungeheuerlich sind sie. Alle sonstigen Anzeigen sind im Vergleiche da¬
mit unbedeutend zu nennen; selbst die Annoncen der bei uns zeitweise
auftauchenden Koch- und Erbauungsbücher verschwinden dagegen in
jenes Nichts, welches überhaupt so treffend die Devise der hiesigen Li¬
teratur bildet. Nun, man sei versichert, so lange dieser jämmerliche
Wirthshausgeschmack dem Wiener eigen bleibt, hoffe man keinen be¬
sonderen Culturausschwung desselben, am wenigsten im Gebiete der
Politik. Auch der Engländer liebt es, gut und stark zu essen. Allein
wenn man ihn mit Tanz und Musik, mit Gedudel und Gejohle, mit
nichtssagenden Geschwätz in solchem Uebermaße regaliren wollte, wie
dies in den sogenannten Reunionen, Conversationen und Wirthshaus
soirven geschieht, er liefe davon. Denn es muß ein wenig Talent zur
Narrheit vorhanden sein, um solche Narrentheidung zu ertragen.


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[0546] die Rede ging, bei Seite geschoben würde. Auch Herr Pokorny hatte vordem seine Chancen, allein seine enormen Lind preise haben ihm geschadet, man betrachtete eine solche Speculation als eine schwin¬ delhafte und indiscrete zugleich; man entdeckte plötzlich, wie mit einem Zauberschlage, daß das Theater an der Wien von der Gestaltung ei¬ nes festen Repertoires keine Ahnung habe; kurz, Pokorny besitzt in diesem Moment zu wenig Gunst und Credit, um sich Rechnung ma¬ chen zu dürfen, in den Friedenshafen der Hofoperntheateradministration, wo die Palme eines k. k. Zuschusses von 9et,M0 si. blüht, mit dem schadhaft gewordenen Fahrzeuge seines Jmpresariorufeö einzulaufen. Wähne übrigens Niemand, es sei ungeachtet der so ansehnlichen Dotation leicht, den Musentempel nächst dem Kärnthnerthore zu ver¬ walten. Auch dieses Geschäft hat seine Dornen, Dem. — ist eine junge, hübsche Sängerin, die wenig Töne in der Kehle, aber einen ansehnlichen Beschützer hat. Dieser begibt sich zu dem als gefällig be¬ kannten Administrator, wechselt mit ihm einige Worte und siehe da! Dem. A'.— wird engagirt, obschon sie nur äußerst selten auf dem Theaterzettel figurirt. Mit der Tänzerin U., die sehr nette Füßchen hat, hat es ein ähnliches Bewandtniß. Die Frucht dieser Gefällig¬ keiten ist für Herrn Balochino ein Geflecht großer Hände, die ihn schirmend über dem Wasser zu erhalten suchen, wenn ihn das Bleige¬ wicht der öffentlichen Meinung zu Boden drückt. Doch verlassen wir die Region des Hofoperntheaters, betrachten wir jenen Berg von Placaten, der sich längs der Mauer bis in die Höhe der UnlcSbarkeit emporwälzt! Strauß Vater, Strauß Sohn, Strauß Sohn, Strauß Vater. Die dazu verwendeten Typen scheinen ans schlanken Tannen eigens geschnitzt worden zu sein. So ungeheuerlich sind sie. Alle sonstigen Anzeigen sind im Vergleiche da¬ mit unbedeutend zu nennen; selbst die Annoncen der bei uns zeitweise auftauchenden Koch- und Erbauungsbücher verschwinden dagegen in jenes Nichts, welches überhaupt so treffend die Devise der hiesigen Li¬ teratur bildet. Nun, man sei versichert, so lange dieser jämmerliche Wirthshausgeschmack dem Wiener eigen bleibt, hoffe man keinen be¬ sonderen Culturausschwung desselben, am wenigsten im Gebiete der Politik. Auch der Engländer liebt es, gut und stark zu essen. Allein wenn man ihn mit Tanz und Musik, mit Gedudel und Gejohle, mit nichtssagenden Geschwätz in solchem Uebermaße regaliren wollte, wie dies in den sogenannten Reunionen, Conversationen und Wirthshaus soirven geschieht, er liefe davon. Denn es muß ein wenig Talent zur Narrheit vorhanden sein, um solche Narrentheidung zu ertragen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/546>, abgerufen am 24.07.2024.