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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Schlosses eine so allgemeine Verehrung genoß, daß er nicht nöthig
hatte, dasselbe während der Schreckenszeit von I79Z zu verlassen, son¬
dern von der Bevölkerung der umliegenden Orte auf das Treuste be¬
wacht und beschützt wurde.

So oft Ludwig Philipp, der ein sehr zärtlicher Bruder ist,
eine Stunde am Tage Zeit hat, widmet er dieselbe seiner Schwester,
mit der er sich oft über Regierungsangelegenheiten zu unterhalten
pflegt. Die Prinzessin besitzt einen bewundrungswürdigen Scharfsinn
für die Beurtheilung der politischen Ereignisse, sie ist muthig und ent¬
schlossen in den Augenblicken der Gefahr. Dabei hat sie vorzügliche
Kenntnisse, ein sehr treues Gedächtniß und namentlich eine große Gabe
der Erzählung. Ihr Blick ist sanft und würdevoll und drückt die Gut¬
müthigkeit ihres Charakters aus. Ihr Aufenthalt in der Fremde, das
Unglück, welches sie mit ihren Brüdern getheilt hat, haben der Prin¬
zessin Adelaide eine bedeutende Menschenkenntniß und Erfahrung in
allen Verhältnissen des Lebens, namentlich in den öffentlichen Ange¬
legenheiten gegeben, so daß sie sich niemals vom Schein täuschen läßt.
Ihrem Charakter nach liebt sie die Offenheit und Freimüthigkeit, jede
niedrige Handlung und die Schmeicheleien der Höflinge mißfallen ihr,
allein als Frau von feiner Bildung und Schwester eines Königs weiß
sie klug in ihrem Innern die Verachtung zu verbergen, welche ihr das
Betragen von dergleichen Leuten einflößt. Zwar vertheidigt sie offen
und mit Eifer ihre Freunde und genirt sich auch !oft nicht, grade
heraus zu sagen, was sie von diesem oder jenem denkt, dessen Cha¬
rakter und Handlungsweise ihr verächtlich scheint. Jedoch von dem
Augenblicke an, wo Ludwig Philipp einem dieser Leute sein Ver¬
trauen geschenkt oder auch nur ein Amt übertragen hat, zeigt die
Prinzessin Achtung vor dem Willen des Königs und läßt, wie sie
sich bei solchen Gelegenheiten auszudrücken pflegt, den Strom sei¬
nen Lauf gehen. Nur selten täuscht sie sich über die Ursachen,
welche das Emporkommen oder den Sturz eines Staatsmannes zu
Wege bringen werden. An eine aufrichtige Versöhnung der Karlisten
mit dem Hause Orleans glaubt sie nicht, sondern ist der Ansicht, daß
die Principien beider zu schroff einander gegenüber stehen, um je eine
wirkliche Vereinigung hoffen zu lassen. Ebenso ist ihr bekannt, daß
die Prinzen und Prinzessinnen der ältern Linie der Bourbonen ihr
nichts weniger als gewogen waren, eine Abneigung, die sie, wie ich
glaube, redlich erwidert. Da der Einfluß, welchen seine Schwester
auch in politischen Dingen auf Ludwig Philipp übt, und die Ach-


Grenzvotm. III. 1S4". 71

Schlosses eine so allgemeine Verehrung genoß, daß er nicht nöthig
hatte, dasselbe während der Schreckenszeit von I79Z zu verlassen, son¬
dern von der Bevölkerung der umliegenden Orte auf das Treuste be¬
wacht und beschützt wurde.

So oft Ludwig Philipp, der ein sehr zärtlicher Bruder ist,
eine Stunde am Tage Zeit hat, widmet er dieselbe seiner Schwester,
mit der er sich oft über Regierungsangelegenheiten zu unterhalten
pflegt. Die Prinzessin besitzt einen bewundrungswürdigen Scharfsinn
für die Beurtheilung der politischen Ereignisse, sie ist muthig und ent¬
schlossen in den Augenblicken der Gefahr. Dabei hat sie vorzügliche
Kenntnisse, ein sehr treues Gedächtniß und namentlich eine große Gabe
der Erzählung. Ihr Blick ist sanft und würdevoll und drückt die Gut¬
müthigkeit ihres Charakters aus. Ihr Aufenthalt in der Fremde, das
Unglück, welches sie mit ihren Brüdern getheilt hat, haben der Prin¬
zessin Adelaide eine bedeutende Menschenkenntniß und Erfahrung in
allen Verhältnissen des Lebens, namentlich in den öffentlichen Ange¬
legenheiten gegeben, so daß sie sich niemals vom Schein täuschen läßt.
Ihrem Charakter nach liebt sie die Offenheit und Freimüthigkeit, jede
niedrige Handlung und die Schmeicheleien der Höflinge mißfallen ihr,
allein als Frau von feiner Bildung und Schwester eines Königs weiß
sie klug in ihrem Innern die Verachtung zu verbergen, welche ihr das
Betragen von dergleichen Leuten einflößt. Zwar vertheidigt sie offen
und mit Eifer ihre Freunde und genirt sich auch !oft nicht, grade
heraus zu sagen, was sie von diesem oder jenem denkt, dessen Cha¬
rakter und Handlungsweise ihr verächtlich scheint. Jedoch von dem
Augenblicke an, wo Ludwig Philipp einem dieser Leute sein Ver¬
trauen geschenkt oder auch nur ein Amt übertragen hat, zeigt die
Prinzessin Achtung vor dem Willen des Königs und läßt, wie sie
sich bei solchen Gelegenheiten auszudrücken pflegt, den Strom sei¬
nen Lauf gehen. Nur selten täuscht sie sich über die Ursachen,
welche das Emporkommen oder den Sturz eines Staatsmannes zu
Wege bringen werden. An eine aufrichtige Versöhnung der Karlisten
mit dem Hause Orleans glaubt sie nicht, sondern ist der Ansicht, daß
die Principien beider zu schroff einander gegenüber stehen, um je eine
wirkliche Vereinigung hoffen zu lassen. Ebenso ist ihr bekannt, daß
die Prinzen und Prinzessinnen der ältern Linie der Bourbonen ihr
nichts weniger als gewogen waren, eine Abneigung, die sie, wie ich
glaube, redlich erwidert. Da der Einfluß, welchen seine Schwester
auch in politischen Dingen auf Ludwig Philipp übt, und die Ach-


Grenzvotm. III. 1S4«. 71
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[0533] Schlosses eine so allgemeine Verehrung genoß, daß er nicht nöthig hatte, dasselbe während der Schreckenszeit von I79Z zu verlassen, son¬ dern von der Bevölkerung der umliegenden Orte auf das Treuste be¬ wacht und beschützt wurde. So oft Ludwig Philipp, der ein sehr zärtlicher Bruder ist, eine Stunde am Tage Zeit hat, widmet er dieselbe seiner Schwester, mit der er sich oft über Regierungsangelegenheiten zu unterhalten pflegt. Die Prinzessin besitzt einen bewundrungswürdigen Scharfsinn für die Beurtheilung der politischen Ereignisse, sie ist muthig und ent¬ schlossen in den Augenblicken der Gefahr. Dabei hat sie vorzügliche Kenntnisse, ein sehr treues Gedächtniß und namentlich eine große Gabe der Erzählung. Ihr Blick ist sanft und würdevoll und drückt die Gut¬ müthigkeit ihres Charakters aus. Ihr Aufenthalt in der Fremde, das Unglück, welches sie mit ihren Brüdern getheilt hat, haben der Prin¬ zessin Adelaide eine bedeutende Menschenkenntniß und Erfahrung in allen Verhältnissen des Lebens, namentlich in den öffentlichen Ange¬ legenheiten gegeben, so daß sie sich niemals vom Schein täuschen läßt. Ihrem Charakter nach liebt sie die Offenheit und Freimüthigkeit, jede niedrige Handlung und die Schmeicheleien der Höflinge mißfallen ihr, allein als Frau von feiner Bildung und Schwester eines Königs weiß sie klug in ihrem Innern die Verachtung zu verbergen, welche ihr das Betragen von dergleichen Leuten einflößt. Zwar vertheidigt sie offen und mit Eifer ihre Freunde und genirt sich auch !oft nicht, grade heraus zu sagen, was sie von diesem oder jenem denkt, dessen Cha¬ rakter und Handlungsweise ihr verächtlich scheint. Jedoch von dem Augenblicke an, wo Ludwig Philipp einem dieser Leute sein Ver¬ trauen geschenkt oder auch nur ein Amt übertragen hat, zeigt die Prinzessin Achtung vor dem Willen des Königs und läßt, wie sie sich bei solchen Gelegenheiten auszudrücken pflegt, den Strom sei¬ nen Lauf gehen. Nur selten täuscht sie sich über die Ursachen, welche das Emporkommen oder den Sturz eines Staatsmannes zu Wege bringen werden. An eine aufrichtige Versöhnung der Karlisten mit dem Hause Orleans glaubt sie nicht, sondern ist der Ansicht, daß die Principien beider zu schroff einander gegenüber stehen, um je eine wirkliche Vereinigung hoffen zu lassen. Ebenso ist ihr bekannt, daß die Prinzen und Prinzessinnen der ältern Linie der Bourbonen ihr nichts weniger als gewogen waren, eine Abneigung, die sie, wie ich glaube, redlich erwidert. Da der Einfluß, welchen seine Schwester auch in politischen Dingen auf Ludwig Philipp übt, und die Ach- Grenzvotm. III. 1S4«. 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/533>, abgerufen am 04.07.2024.