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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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krank, für närrisch, wie bei euch. O, es ist ein grauses Loos, im
Lande der Hinkenden der einzige Gerade zu sein! Weil ihr selber vom
Wahnsinn befallen seid, hieltet ihr mich für wahnsinnig. Weil ich die
Urquelle eures Unglücks, eures Verderbens erkannte und bekriegte, nann¬
tet ihr mich einen Tollhäusler. Mein Herz blutete, als ich Europa
verlassen mußte, aber ich konnte nicht anders. Nicht länger mehr konnte
ich es mit ansehen, wie trotz eurer vielgepriesenen Aufklärung eine
Lehre immer mehr und mehr um sich greift, die alles Göttliche unter¬
gräbt, eine Lehre, die trotz ihrer Schändlichkeit so verbreitet ist, daß
nicht nur die Gelehrten, sondern selbst die Gebildeten ihr huldigen, eine
pestaushauchende Lehre, die so weit schon um sich gegriffen, daß man
selbst der zarten Jugend in der Schule neben dem Katechismus daS
Gift derselben einflößt: ich meine die Sprachlehre! -- Sage mir, glaubst
du denn wirklich, daß die Sprache die große Wohlthäterin der Mensch¬
heit ist, für welche die Narren sie ausschreien? Siehe nur, wie glück¬
lich das Gethier ist! Hat der boshafteste Fuchs je einen andern ver-
läumdet? Hat die geckenhafteste Giraffe je den Höcker des mißgestalte¬
ten Kameels verhöhnt? Hat die geschwätzigste Elster je das Geheim¬
niß ihrer Freundin verrathen? Warum ist das Thier frei von allen
diesen Thorheiten und Lastern ? Etwa weil es keine Vernunft hat?
Also wären Verläumdung, Hohn, Verrath und all die tausend Laster
der menschlichen Gesellschaft Folgen der Vernunft? -- Gestehet lie¬
ber: das Thier ist glücklich, weil es keine Sprache hat.

In der Ursprache, die der Schöpfer seinen Geschöpfen verliehen,
gab es nur Empfindungswörter. Im Momente der höchsten Freude
und des höchsten Schmerzes, wo der Mensch die künstlich eingelernten
Redensarten vergißt, da bricht er aus in jene ihm angeborenen Natur>-
laute: Ach und O! Empfindungswörter, das sind die Ausdrücke, in
welchen die ganze Natur spricht; Donner, Regen, Gewässer und Or¬
kane sprechen mit diesen Worten, und Thiere und Vögel wissen den
Gesang der Nachtigall von dem Geächze des Uhus, das Geschrei des
Esels von dem Gebrüll des Löwen zu unterscheiden. -- Aber der
Mensch muß etwas Apparteö haben; er ist ja der Herr der Schöpfung.
Donner, Regen, Gewässer, Orkane, Esel, Löwen, Nachtigallen, Eulen,
auf die Kniee vor eurem Herrn! Ihr mögt immerhin in Empfindungs¬
wörtern sprechen; aber wir von Gottes Gnaden, Mensch, wir sprechen
anders. Wir haben Vorstellungswörtcr! Auch in unserer Sprache
muß der feine Ton des Salons herrschen; jeder Fremde muß uns vor¬
gestellt werden.


krank, für närrisch, wie bei euch. O, es ist ein grauses Loos, im
Lande der Hinkenden der einzige Gerade zu sein! Weil ihr selber vom
Wahnsinn befallen seid, hieltet ihr mich für wahnsinnig. Weil ich die
Urquelle eures Unglücks, eures Verderbens erkannte und bekriegte, nann¬
tet ihr mich einen Tollhäusler. Mein Herz blutete, als ich Europa
verlassen mußte, aber ich konnte nicht anders. Nicht länger mehr konnte
ich es mit ansehen, wie trotz eurer vielgepriesenen Aufklärung eine
Lehre immer mehr und mehr um sich greift, die alles Göttliche unter¬
gräbt, eine Lehre, die trotz ihrer Schändlichkeit so verbreitet ist, daß
nicht nur die Gelehrten, sondern selbst die Gebildeten ihr huldigen, eine
pestaushauchende Lehre, die so weit schon um sich gegriffen, daß man
selbst der zarten Jugend in der Schule neben dem Katechismus daS
Gift derselben einflößt: ich meine die Sprachlehre! — Sage mir, glaubst
du denn wirklich, daß die Sprache die große Wohlthäterin der Mensch¬
heit ist, für welche die Narren sie ausschreien? Siehe nur, wie glück¬
lich das Gethier ist! Hat der boshafteste Fuchs je einen andern ver-
läumdet? Hat die geckenhafteste Giraffe je den Höcker des mißgestalte¬
ten Kameels verhöhnt? Hat die geschwätzigste Elster je das Geheim¬
niß ihrer Freundin verrathen? Warum ist das Thier frei von allen
diesen Thorheiten und Lastern ? Etwa weil es keine Vernunft hat?
Also wären Verläumdung, Hohn, Verrath und all die tausend Laster
der menschlichen Gesellschaft Folgen der Vernunft? — Gestehet lie¬
ber: das Thier ist glücklich, weil es keine Sprache hat.

In der Ursprache, die der Schöpfer seinen Geschöpfen verliehen,
gab es nur Empfindungswörter. Im Momente der höchsten Freude
und des höchsten Schmerzes, wo der Mensch die künstlich eingelernten
Redensarten vergißt, da bricht er aus in jene ihm angeborenen Natur>-
laute: Ach und O! Empfindungswörter, das sind die Ausdrücke, in
welchen die ganze Natur spricht; Donner, Regen, Gewässer und Or¬
kane sprechen mit diesen Worten, und Thiere und Vögel wissen den
Gesang der Nachtigall von dem Geächze des Uhus, das Geschrei des
Esels von dem Gebrüll des Löwen zu unterscheiden. — Aber der
Mensch muß etwas Apparteö haben; er ist ja der Herr der Schöpfung.
Donner, Regen, Gewässer, Orkane, Esel, Löwen, Nachtigallen, Eulen,
auf die Kniee vor eurem Herrn! Ihr mögt immerhin in Empfindungs¬
wörtern sprechen; aber wir von Gottes Gnaden, Mensch, wir sprechen
anders. Wir haben Vorstellungswörtcr! Auch in unserer Sprache
muß der feine Ton des Salons herrschen; jeder Fremde muß uns vor¬
gestellt werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/482>, abgerufen am 24.07.2024.