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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Da sitzt nun die Menschheit auf ihrer weichgepolsterten Chaise¬
longue und lorgnettirt das Gewühl in ihrem Salon, und die Sprache
steht als Gesellschaftsdame neben ihr, mit geschminkten Wangen, star¬
rem Reifrock, geschnürtem Leib und dein hochgethürmten und gepuder¬
ten Kopfputz -,, I-l ^um^iulcmr. -- "Wer ist die junge Person dort
mit den leuchtenden Allgeil und dein unruhigen Busen?" fragt die
Menschheit. -- Die Gesellschaftsdame eilt hin, faßt die Fremde mit
ihren feine". Fingerspitzen bei der Hand und führt sie zu dem Divan
der Gebieterin. "Madame, ich habe die Ehre, Ihnen hiermit vorzustel¬
len : die Liebe." -- "Wer ist die Person?" fragt Madame leise. --
"Wie? " flüstert die Gesellschaftsdame ebenso unhörbar. "Sie ken¬
nen die Liebe nicht?" -- "Habe nicht die Ehre," sagt Madame vor¬
nehm. -- "Die Liebe ist das Streben nach Vereinigung mit irgend
einem wirklichen oder gedachten Gegenstand." -- "Streben?" fragt
Madame, "wer ist das? .Ist mir noch nicht vorgestellt worden." --
Die Gesellschaftsdame eilt fort, kommt wieder und präsentirt: "Ma¬
dame, ich habe die Ehre, Ihnen vorzustellen das Streben, als diejenige
praktische Thätigkeit, welche sowohl ein Begehren oder Verabscheuen
in Bezug auf den Trieb, als ein Wollen oder Nichtwollen in Bezug
auf den Willen sein kann."-- Madame trippelt ungeduldig mit dem
Fuße. "Welch ein Kauderwelsch! Thätigkeit, Begehren, Wollen, Ver¬
abscheuen! Keines voll Allen ist mir noch vorgestellt worden. Trieb,
wer ist der Herr?" Die Gesellschaftsdame eilt bestürzt fort, kehrt zu¬
rück und präsentirt: "Hier ist der Trieb, daS innere Princip unseres
sinnlichen Vermögens deö Begehrens und des Verabscheuens." --
"Begehren -- sinnlich -- Princip!" Die Menschheit reibt sich die
Stirne und schaut ganz confus der Sprecherin in'ö Gesicht.

Und das nennen sie Bildung! Wenn man, um die Liebe kennen
zu lernen, eine ganze Jakobsleiter dürrer Begriffssprossen herabklettern
muß, das nennen sie Bildung! -- Quirin, komm zu mir! Verlaß die
Gemeinschaft dieser Irrsinnigen. Komm hierher nach dem schönen Ba¬
bel; hier in meinem Thurm lerne Weisheit, Freiheit, lerne Schweigen!
Das Schweigen ist der Gott der Glücklichen! Die Welt hat nur zwei
Weise bisher erzeugt: Pythagoras und den heiligen Bruno, der die
Karthäuser erfunden; ich bin der dritte. Komm her zu mir, hilf mir
eine Schule errichten; ich habe einen kostbaren Plan, die Menschen
glücklich zu machen: Wir wollen ihnen die Zunge ausschneiden."




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Da sitzt nun die Menschheit auf ihrer weichgepolsterten Chaise¬
longue und lorgnettirt das Gewühl in ihrem Salon, und die Sprache
steht als Gesellschaftsdame neben ihr, mit geschminkten Wangen, star¬
rem Reifrock, geschnürtem Leib und dein hochgethürmten und gepuder¬
ten Kopfputz -,, I-l ^um^iulcmr. — „Wer ist die junge Person dort
mit den leuchtenden Allgeil und dein unruhigen Busen?" fragt die
Menschheit. — Die Gesellschaftsdame eilt hin, faßt die Fremde mit
ihren feine». Fingerspitzen bei der Hand und führt sie zu dem Divan
der Gebieterin. „Madame, ich habe die Ehre, Ihnen hiermit vorzustel¬
len : die Liebe." — „Wer ist die Person?" fragt Madame leise. —
„Wie? " flüstert die Gesellschaftsdame ebenso unhörbar. „Sie ken¬
nen die Liebe nicht?" — „Habe nicht die Ehre," sagt Madame vor¬
nehm. — „Die Liebe ist das Streben nach Vereinigung mit irgend
einem wirklichen oder gedachten Gegenstand." — „Streben?" fragt
Madame, „wer ist das? .Ist mir noch nicht vorgestellt worden." —
Die Gesellschaftsdame eilt fort, kommt wieder und präsentirt: „Ma¬
dame, ich habe die Ehre, Ihnen vorzustellen das Streben, als diejenige
praktische Thätigkeit, welche sowohl ein Begehren oder Verabscheuen
in Bezug auf den Trieb, als ein Wollen oder Nichtwollen in Bezug
auf den Willen sein kann."— Madame trippelt ungeduldig mit dem
Fuße. „Welch ein Kauderwelsch! Thätigkeit, Begehren, Wollen, Ver¬
abscheuen! Keines voll Allen ist mir noch vorgestellt worden. Trieb,
wer ist der Herr?" Die Gesellschaftsdame eilt bestürzt fort, kehrt zu¬
rück und präsentirt: „Hier ist der Trieb, daS innere Princip unseres
sinnlichen Vermögens deö Begehrens und des Verabscheuens." —
„Begehren — sinnlich — Princip!" Die Menschheit reibt sich die
Stirne und schaut ganz confus der Sprecherin in'ö Gesicht.

Und das nennen sie Bildung! Wenn man, um die Liebe kennen
zu lernen, eine ganze Jakobsleiter dürrer Begriffssprossen herabklettern
muß, das nennen sie Bildung! — Quirin, komm zu mir! Verlaß die
Gemeinschaft dieser Irrsinnigen. Komm hierher nach dem schönen Ba¬
bel; hier in meinem Thurm lerne Weisheit, Freiheit, lerne Schweigen!
Das Schweigen ist der Gott der Glücklichen! Die Welt hat nur zwei
Weise bisher erzeugt: Pythagoras und den heiligen Bruno, der die
Karthäuser erfunden; ich bin der dritte. Komm her zu mir, hilf mir
eine Schule errichten; ich habe einen kostbaren Plan, die Menschen
glücklich zu machen: Wir wollen ihnen die Zunge ausschneiden."




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[0483] Da sitzt nun die Menschheit auf ihrer weichgepolsterten Chaise¬ longue und lorgnettirt das Gewühl in ihrem Salon, und die Sprache steht als Gesellschaftsdame neben ihr, mit geschminkten Wangen, star¬ rem Reifrock, geschnürtem Leib und dein hochgethürmten und gepuder¬ ten Kopfputz -,, I-l ^um^iulcmr. — „Wer ist die junge Person dort mit den leuchtenden Allgeil und dein unruhigen Busen?" fragt die Menschheit. — Die Gesellschaftsdame eilt hin, faßt die Fremde mit ihren feine». Fingerspitzen bei der Hand und führt sie zu dem Divan der Gebieterin. „Madame, ich habe die Ehre, Ihnen hiermit vorzustel¬ len : die Liebe." — „Wer ist die Person?" fragt Madame leise. — „Wie? " flüstert die Gesellschaftsdame ebenso unhörbar. „Sie ken¬ nen die Liebe nicht?" — „Habe nicht die Ehre," sagt Madame vor¬ nehm. — „Die Liebe ist das Streben nach Vereinigung mit irgend einem wirklichen oder gedachten Gegenstand." — „Streben?" fragt Madame, „wer ist das? .Ist mir noch nicht vorgestellt worden." — Die Gesellschaftsdame eilt fort, kommt wieder und präsentirt: „Ma¬ dame, ich habe die Ehre, Ihnen vorzustellen das Streben, als diejenige praktische Thätigkeit, welche sowohl ein Begehren oder Verabscheuen in Bezug auf den Trieb, als ein Wollen oder Nichtwollen in Bezug auf den Willen sein kann."— Madame trippelt ungeduldig mit dem Fuße. „Welch ein Kauderwelsch! Thätigkeit, Begehren, Wollen, Ver¬ abscheuen! Keines voll Allen ist mir noch vorgestellt worden. Trieb, wer ist der Herr?" Die Gesellschaftsdame eilt bestürzt fort, kehrt zu¬ rück und präsentirt: „Hier ist der Trieb, daS innere Princip unseres sinnlichen Vermögens deö Begehrens und des Verabscheuens." — „Begehren — sinnlich — Princip!" Die Menschheit reibt sich die Stirne und schaut ganz confus der Sprecherin in'ö Gesicht. Und das nennen sie Bildung! Wenn man, um die Liebe kennen zu lernen, eine ganze Jakobsleiter dürrer Begriffssprossen herabklettern muß, das nennen sie Bildung! — Quirin, komm zu mir! Verlaß die Gemeinschaft dieser Irrsinnigen. Komm hierher nach dem schönen Ba¬ bel; hier in meinem Thurm lerne Weisheit, Freiheit, lerne Schweigen! Das Schweigen ist der Gott der Glücklichen! Die Welt hat nur zwei Weise bisher erzeugt: Pythagoras und den heiligen Bruno, der die Karthäuser erfunden; ich bin der dritte. Komm her zu mir, hilf mir eine Schule errichten; ich habe einen kostbaren Plan, die Menschen glücklich zu machen: Wir wollen ihnen die Zunge ausschneiden." 64-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/483>, abgerufen am 24.07.2024.