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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Der Thurm von BabA,
F r a g in e n t.



-- Lesen Sie! Lesen Sie! -- riefen Alle einstimmig. Er las:
Erster Brief.

Warum kommst du nicht, Quirin? Wo bleibt das Versprechen,
das du mir gegeben, als sie mich in den Wagen hoben, und du wei¬
nend von mir Abschied nahmst? Es ist hier so schön! so wild, und
doch so ruhig! Wenn ich da hinausschaue durch die vergitterten Bo¬
genfenster meines Palastes, und den majestätischen Tigris so rasch und
hoch dahinbrausen sehe, wenn ich den Cedernwald betrachte mit seinen
stolzen Wipfeln, dann werfe ich jauchzend mich zu Boden und küsse
die heiligen tausendjährigen Mauern, die mich umgeben, voll Ehrfurcht
und Lust. Wärest du nur hier, Quirin, du würdest mir endlich zuge¬
stehen, dieses Babylon sei der schönste Punkt der Erde.

Ach, ich bin so glücklich hier! Und doch könnte ich noch glückli¬
cher sein, noch weit glücklicher, wenn mich aus meinen durstigen Träu¬
men nicht täglich die Fratze eines Mannes aufstörte, der mit heiserer
Stimme mich glauben machen will, der majestätische Strom da unten
sei nicht der Tigris, sondern der Mühlbach, der stolze Wald habe keine
Cedern-, sondern Kiefernbäume, der Palast, den ich bewohne, sei nicht
der stolze, altergraue Thurm von Babel, den Nimrod einst erbaut, die
Götter zu bekriegen, sondern ein Narrenthurm, den das Mitleid der
Menschen für Geisteskranke errichtet, ich selbst aber sei nicht der alte
achtzigjährige Amos Comenius, sondern der junge, verrückte Professor
Sabtnsty, den die Gnade des Gouverneurs statt auf die Festung in's
Irrenhaus bringen ließ.

So verfolgt mich denn der alte Fluch, der aus Europa mich ver¬
jagt, bis hierher, bis an die Thore Bagdads) auch hier gelte ich für


Grenzboten. IN. Is4V. ß4
Der Thurm von BabA,
F r a g in e n t.



— Lesen Sie! Lesen Sie! — riefen Alle einstimmig. Er las:
Erster Brief.

Warum kommst du nicht, Quirin? Wo bleibt das Versprechen,
das du mir gegeben, als sie mich in den Wagen hoben, und du wei¬
nend von mir Abschied nahmst? Es ist hier so schön! so wild, und
doch so ruhig! Wenn ich da hinausschaue durch die vergitterten Bo¬
genfenster meines Palastes, und den majestätischen Tigris so rasch und
hoch dahinbrausen sehe, wenn ich den Cedernwald betrachte mit seinen
stolzen Wipfeln, dann werfe ich jauchzend mich zu Boden und küsse
die heiligen tausendjährigen Mauern, die mich umgeben, voll Ehrfurcht
und Lust. Wärest du nur hier, Quirin, du würdest mir endlich zuge¬
stehen, dieses Babylon sei der schönste Punkt der Erde.

Ach, ich bin so glücklich hier! Und doch könnte ich noch glückli¬
cher sein, noch weit glücklicher, wenn mich aus meinen durstigen Träu¬
men nicht täglich die Fratze eines Mannes aufstörte, der mit heiserer
Stimme mich glauben machen will, der majestätische Strom da unten
sei nicht der Tigris, sondern der Mühlbach, der stolze Wald habe keine
Cedern-, sondern Kiefernbäume, der Palast, den ich bewohne, sei nicht
der stolze, altergraue Thurm von Babel, den Nimrod einst erbaut, die
Götter zu bekriegen, sondern ein Narrenthurm, den das Mitleid der
Menschen für Geisteskranke errichtet, ich selbst aber sei nicht der alte
achtzigjährige Amos Comenius, sondern der junge, verrückte Professor
Sabtnsty, den die Gnade des Gouverneurs statt auf die Festung in's
Irrenhaus bringen ließ.

So verfolgt mich denn der alte Fluch, der aus Europa mich ver¬
jagt, bis hierher, bis an die Thore Bagdads) auch hier gelte ich für


Grenzboten. IN. Is4V. ß4
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[0481] Der Thurm von BabA, F r a g in e n t. — Lesen Sie! Lesen Sie! — riefen Alle einstimmig. Er las: Erster Brief. Warum kommst du nicht, Quirin? Wo bleibt das Versprechen, das du mir gegeben, als sie mich in den Wagen hoben, und du wei¬ nend von mir Abschied nahmst? Es ist hier so schön! so wild, und doch so ruhig! Wenn ich da hinausschaue durch die vergitterten Bo¬ genfenster meines Palastes, und den majestätischen Tigris so rasch und hoch dahinbrausen sehe, wenn ich den Cedernwald betrachte mit seinen stolzen Wipfeln, dann werfe ich jauchzend mich zu Boden und küsse die heiligen tausendjährigen Mauern, die mich umgeben, voll Ehrfurcht und Lust. Wärest du nur hier, Quirin, du würdest mir endlich zuge¬ stehen, dieses Babylon sei der schönste Punkt der Erde. Ach, ich bin so glücklich hier! Und doch könnte ich noch glückli¬ cher sein, noch weit glücklicher, wenn mich aus meinen durstigen Träu¬ men nicht täglich die Fratze eines Mannes aufstörte, der mit heiserer Stimme mich glauben machen will, der majestätische Strom da unten sei nicht der Tigris, sondern der Mühlbach, der stolze Wald habe keine Cedern-, sondern Kiefernbäume, der Palast, den ich bewohne, sei nicht der stolze, altergraue Thurm von Babel, den Nimrod einst erbaut, die Götter zu bekriegen, sondern ein Narrenthurm, den das Mitleid der Menschen für Geisteskranke errichtet, ich selbst aber sei nicht der alte achtzigjährige Amos Comenius, sondern der junge, verrückte Professor Sabtnsty, den die Gnade des Gouverneurs statt auf die Festung in's Irrenhaus bringen ließ. So verfolgt mich denn der alte Fluch, der aus Europa mich ver¬ jagt, bis hierher, bis an die Thore Bagdads) auch hier gelte ich für Grenzboten. IN. Is4V. ß4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/481>, abgerufen am 24.07.2024.