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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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mündlichen Verfahren den Anfang machen werden. Dies müssen wir
als einen höchst klugen Streich preußischer Politik anerkennen. Nicht
blos, weil das mündliche Verfahren den riesigen Proceß um mehr als
zwei Drittheil verkürzt, sondern weil dadurch (bei der halben Oeffentlich-
keit der Verhandlungen) die Regierung der öffentlichen Meinung Einsicht
in die Schuld und Mitschuld der Betheiligten eröffnet und so alle Ver¬
dächtigungen, welchen sie bei der heimlichen Proceßordnung heimgefallen
wäre, niederschlägt und den Umfang der Verschwörung aller Welt zur
Beurtheilung vorlegt. Aber noch eine andere Spitze hat diese Politik
und diese ist Oesterreich zugewendet. Wahrend nämlich Preußen die
Begründung seiner über die Polen zu verHangenden Strafurtheile allen
Augen vorlegt, muß Oesterreich nach wie vor bei feinen Heimlichkeiten
verharren und fällt grade dadurch für alle Ewigkeit und zukünftige
Geschichte den härtesten Anklagen heim, indessen Preußens Schale im¬
mer höher in der öffentlichen Meinung steigt. Oesterreich steht in der
Mitte der heiligen Allianz, wie Einer, der des Nachts die Hausthüre
verschlossen findet und von seinen Gefährten sich verlassen sieht. Auf
der einen Seite Rußland, dessen jüngste Ukase den polnischen Bauer
halb und halb emancipirt, auf der andern Seite Preußen, das mündliches
Verfahren bei den Perhandlungen decretirt. Welche fatale Position für
das Gouvernement paternel!

Man mag von den Gedichten Sr. Malerischen Majestät, welche
Ansicht man immer will haben, seine Antwort in Bezug auf die Schleswig-
Holsteinischen Adressen verdient alle Anerkennung trotz der Participial-
construction. Wenn die Verhandlungen am Bundestag heimlich geführt
werden, so hat die Antwort König Ludwigs auf eine geschickte Weise der
deutschen Nation verrathen, welche Ansicht Baiern im Frankfurter Fürsten-
rath vertritt. Wahrhaft komisch ist dagegen die Freude einiger patrioti¬
schen preußischen Blätter über die auf den Stelzen gehende ofsiciöfe Er¬
klärung der Preußischen Allgemeinen, daß ihr Schweigen in Bezug auf
die Schleswig-Holsteinischen Adressen nicht so zu deuten ist, sondern so --
und daß die Sympathien der preußischen Regierung in Bezug auf Hol¬
stein nicht der Art sind, sondern jener Art. Dabei machen aber diese
patriotischen Frohlocker sämmtlich die naive Bemerkung, daß jene Erklä¬
rung nur von Holstein spreche, aber nicht von Schleswig!! Das ist
ja aber grade der Pfeffer, in welchem der Hase liegen muß. Dies
Schleswig-Holstein ist wie ein Butterbrod, das den ganzen Abend auf
dem Tische lag und im Momente, wo es verspeist werden soll, in Be¬
schlag genommen wird von der geizigen Hausfrau, welche die Butter
abkratzen will. Baiern, in welchem man gewohnt ist, gut zu essen,
erklärt, die Butter gehört zu Brode. Das transcendentale Preußen, in
welchem die Lebensmittel theuer sind, gibt diplomatisch zu verstehen: die
Butter können wir nicht fordern. Hoffentlich wird Deutschland die Sache
nicht als einen Quark behandeln!




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I, Knranda.
Druck von Friedrich Andrü.

mündlichen Verfahren den Anfang machen werden. Dies müssen wir
als einen höchst klugen Streich preußischer Politik anerkennen. Nicht
blos, weil das mündliche Verfahren den riesigen Proceß um mehr als
zwei Drittheil verkürzt, sondern weil dadurch (bei der halben Oeffentlich-
keit der Verhandlungen) die Regierung der öffentlichen Meinung Einsicht
in die Schuld und Mitschuld der Betheiligten eröffnet und so alle Ver¬
dächtigungen, welchen sie bei der heimlichen Proceßordnung heimgefallen
wäre, niederschlägt und den Umfang der Verschwörung aller Welt zur
Beurtheilung vorlegt. Aber noch eine andere Spitze hat diese Politik
und diese ist Oesterreich zugewendet. Wahrend nämlich Preußen die
Begründung seiner über die Polen zu verHangenden Strafurtheile allen
Augen vorlegt, muß Oesterreich nach wie vor bei feinen Heimlichkeiten
verharren und fällt grade dadurch für alle Ewigkeit und zukünftige
Geschichte den härtesten Anklagen heim, indessen Preußens Schale im¬
mer höher in der öffentlichen Meinung steigt. Oesterreich steht in der
Mitte der heiligen Allianz, wie Einer, der des Nachts die Hausthüre
verschlossen findet und von seinen Gefährten sich verlassen sieht. Auf
der einen Seite Rußland, dessen jüngste Ukase den polnischen Bauer
halb und halb emancipirt, auf der andern Seite Preußen, das mündliches
Verfahren bei den Perhandlungen decretirt. Welche fatale Position für
das Gouvernement paternel!

Man mag von den Gedichten Sr. Malerischen Majestät, welche
Ansicht man immer will haben, seine Antwort in Bezug auf die Schleswig-
Holsteinischen Adressen verdient alle Anerkennung trotz der Participial-
construction. Wenn die Verhandlungen am Bundestag heimlich geführt
werden, so hat die Antwort König Ludwigs auf eine geschickte Weise der
deutschen Nation verrathen, welche Ansicht Baiern im Frankfurter Fürsten-
rath vertritt. Wahrhaft komisch ist dagegen die Freude einiger patrioti¬
schen preußischen Blätter über die auf den Stelzen gehende ofsiciöfe Er¬
klärung der Preußischen Allgemeinen, daß ihr Schweigen in Bezug auf
die Schleswig-Holsteinischen Adressen nicht so zu deuten ist, sondern so —
und daß die Sympathien der preußischen Regierung in Bezug auf Hol¬
stein nicht der Art sind, sondern jener Art. Dabei machen aber diese
patriotischen Frohlocker sämmtlich die naive Bemerkung, daß jene Erklä¬
rung nur von Holstein spreche, aber nicht von Schleswig!! Das ist
ja aber grade der Pfeffer, in welchem der Hase liegen muß. Dies
Schleswig-Holstein ist wie ein Butterbrod, das den ganzen Abend auf
dem Tische lag und im Momente, wo es verspeist werden soll, in Be¬
schlag genommen wird von der geizigen Hausfrau, welche die Butter
abkratzen will. Baiern, in welchem man gewohnt ist, gut zu essen,
erklärt, die Butter gehört zu Brode. Das transcendentale Preußen, in
welchem die Lebensmittel theuer sind, gibt diplomatisch zu verstehen: die
Butter können wir nicht fordern. Hoffentlich wird Deutschland die Sache
nicht als einen Quark behandeln!




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I, Knranda.
Druck von Friedrich Andrü.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/480>, abgerufen am 24.07.2024.