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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Bürger, der sonst alle allgemeinen Ansichten und Streitfragen mit sei¬
ner beliebtesten Redensart: "Ich mag nicht davon hören," zurückwies,
sängt jetzt an, Zeitungen zu lesen, und Journalzirkel zu stiften. Die
Verfassungsfragen fangen an/ einen Theil der intelligenteren Bürger¬
schaft zu interessiren; ja sogar kommunistische Theorien dringen aus
dem benachbarten Ravensbergischen in die Mark ein, und stören die
Leute aus ihrer bisherigen gemüthlichen Behaglichkeit. In Dortmund
hat sich ein lichtfreundlicher Verein gebildet; der Deutschkatholicismus
machte einige Zeit, besonders in Iserlohn und Unna, viel Aufsehen,
hielt sich aber fern von allem politischen Interesse. Hamm, die Haupt¬
stadt der Mark, in dessen Nähe das Stammschloß der früheren Gra¬
fen gestanden hat, ist, was die politische Regung anbetrifft, wohl am
weitesten vorangeschritten. Der Erlaß des dasigen Landrathes von
Vincke, welcher den Gastwirthen gebot, alle Gäste, welche politische
Reden führten, entweder aus dem Hause zu werfen oder zu denunciren,
ist durch die Presse hinreichend gewürdigt worden. Die Entlassung
der beiden Referendarien in Hamm, auch genugsam in den Zeitungen
besprochen, läßt auf einen Trieb der dortigen Beamten und der Bür¬
ger, sich über religiöse Gegenstände aufzuklären, und auf die Existenz
geheimer Beobachter schließen.

Uebrigens ist die Persönlichkeit des Markaners im Allgemeinen
wohl geeignet, Interesse zu erwecken. Es ist allerdings eine gewisse
Philiströsität in ihm nicht zu verkennen, eine Passivität, eine Behag¬
lichkeit und Bequemlichkeit, die nach Holland hinweist, und auf den
ersten Anblick ihn theilnahmlos, indifferent, ja sogar dumm erscheinen
läßt. Aber nach näherer Untersuchung findet man, daß diese Ruhe
nicht aus Faulheit, sondern aus dem Bewußtsein einer sicheren Ueber¬
zeugung entsprungen ist; nicht kindischer Eigensinn, sondern männli¬
cher Ernst und Gesinnungsfestigkeit spricht sich in diesem Beharren bei
dem Althergebrachten aus. Ein tüchtiger, krittscher Verstand und treues
Festhalten an dem einmal Erprobten zeichnet den Markauer aus; er
vergeudet seine Zeit und Kraft nicht in zweifelhaften Versuchen; er
hascht nicht nach Neuem, sondern bemüht sich, das Alte nach allen
Seiten hin recht gründlich zu durchdenken und zu durcharbeiten. Hat
sich aber einmal eine neue Ansicht seiner bemächtigt, so weiß er sie auch
im Leben zu bethätigen, denn seine Ansichten und Handlungen gehen
Hand in Hand. Deshalb ist es von Bedeutung, daß sich auch in der
Mark Wünsche nach staatlichen Reformen geltend machen; denn der


Bürger, der sonst alle allgemeinen Ansichten und Streitfragen mit sei¬
ner beliebtesten Redensart: „Ich mag nicht davon hören," zurückwies,
sängt jetzt an, Zeitungen zu lesen, und Journalzirkel zu stiften. Die
Verfassungsfragen fangen an/ einen Theil der intelligenteren Bürger¬
schaft zu interessiren; ja sogar kommunistische Theorien dringen aus
dem benachbarten Ravensbergischen in die Mark ein, und stören die
Leute aus ihrer bisherigen gemüthlichen Behaglichkeit. In Dortmund
hat sich ein lichtfreundlicher Verein gebildet; der Deutschkatholicismus
machte einige Zeit, besonders in Iserlohn und Unna, viel Aufsehen,
hielt sich aber fern von allem politischen Interesse. Hamm, die Haupt¬
stadt der Mark, in dessen Nähe das Stammschloß der früheren Gra¬
fen gestanden hat, ist, was die politische Regung anbetrifft, wohl am
weitesten vorangeschritten. Der Erlaß des dasigen Landrathes von
Vincke, welcher den Gastwirthen gebot, alle Gäste, welche politische
Reden führten, entweder aus dem Hause zu werfen oder zu denunciren,
ist durch die Presse hinreichend gewürdigt worden. Die Entlassung
der beiden Referendarien in Hamm, auch genugsam in den Zeitungen
besprochen, läßt auf einen Trieb der dortigen Beamten und der Bür¬
ger, sich über religiöse Gegenstände aufzuklären, und auf die Existenz
geheimer Beobachter schließen.

Uebrigens ist die Persönlichkeit des Markaners im Allgemeinen
wohl geeignet, Interesse zu erwecken. Es ist allerdings eine gewisse
Philiströsität in ihm nicht zu verkennen, eine Passivität, eine Behag¬
lichkeit und Bequemlichkeit, die nach Holland hinweist, und auf den
ersten Anblick ihn theilnahmlos, indifferent, ja sogar dumm erscheinen
läßt. Aber nach näherer Untersuchung findet man, daß diese Ruhe
nicht aus Faulheit, sondern aus dem Bewußtsein einer sicheren Ueber¬
zeugung entsprungen ist; nicht kindischer Eigensinn, sondern männli¬
cher Ernst und Gesinnungsfestigkeit spricht sich in diesem Beharren bei
dem Althergebrachten aus. Ein tüchtiger, krittscher Verstand und treues
Festhalten an dem einmal Erprobten zeichnet den Markauer aus; er
vergeudet seine Zeit und Kraft nicht in zweifelhaften Versuchen; er
hascht nicht nach Neuem, sondern bemüht sich, das Alte nach allen
Seiten hin recht gründlich zu durchdenken und zu durcharbeiten. Hat
sich aber einmal eine neue Ansicht seiner bemächtigt, so weiß er sie auch
im Leben zu bethätigen, denn seine Ansichten und Handlungen gehen
Hand in Hand. Deshalb ist es von Bedeutung, daß sich auch in der
Mark Wünsche nach staatlichen Reformen geltend machen; denn der


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[0470] Bürger, der sonst alle allgemeinen Ansichten und Streitfragen mit sei¬ ner beliebtesten Redensart: „Ich mag nicht davon hören," zurückwies, sängt jetzt an, Zeitungen zu lesen, und Journalzirkel zu stiften. Die Verfassungsfragen fangen an/ einen Theil der intelligenteren Bürger¬ schaft zu interessiren; ja sogar kommunistische Theorien dringen aus dem benachbarten Ravensbergischen in die Mark ein, und stören die Leute aus ihrer bisherigen gemüthlichen Behaglichkeit. In Dortmund hat sich ein lichtfreundlicher Verein gebildet; der Deutschkatholicismus machte einige Zeit, besonders in Iserlohn und Unna, viel Aufsehen, hielt sich aber fern von allem politischen Interesse. Hamm, die Haupt¬ stadt der Mark, in dessen Nähe das Stammschloß der früheren Gra¬ fen gestanden hat, ist, was die politische Regung anbetrifft, wohl am weitesten vorangeschritten. Der Erlaß des dasigen Landrathes von Vincke, welcher den Gastwirthen gebot, alle Gäste, welche politische Reden führten, entweder aus dem Hause zu werfen oder zu denunciren, ist durch die Presse hinreichend gewürdigt worden. Die Entlassung der beiden Referendarien in Hamm, auch genugsam in den Zeitungen besprochen, läßt auf einen Trieb der dortigen Beamten und der Bür¬ ger, sich über religiöse Gegenstände aufzuklären, und auf die Existenz geheimer Beobachter schließen. Uebrigens ist die Persönlichkeit des Markaners im Allgemeinen wohl geeignet, Interesse zu erwecken. Es ist allerdings eine gewisse Philiströsität in ihm nicht zu verkennen, eine Passivität, eine Behag¬ lichkeit und Bequemlichkeit, die nach Holland hinweist, und auf den ersten Anblick ihn theilnahmlos, indifferent, ja sogar dumm erscheinen läßt. Aber nach näherer Untersuchung findet man, daß diese Ruhe nicht aus Faulheit, sondern aus dem Bewußtsein einer sicheren Ueber¬ zeugung entsprungen ist; nicht kindischer Eigensinn, sondern männli¬ cher Ernst und Gesinnungsfestigkeit spricht sich in diesem Beharren bei dem Althergebrachten aus. Ein tüchtiger, krittscher Verstand und treues Festhalten an dem einmal Erprobten zeichnet den Markauer aus; er vergeudet seine Zeit und Kraft nicht in zweifelhaften Versuchen; er hascht nicht nach Neuem, sondern bemüht sich, das Alte nach allen Seiten hin recht gründlich zu durchdenken und zu durcharbeiten. Hat sich aber einmal eine neue Ansicht seiner bemächtigt, so weiß er sie auch im Leben zu bethätigen, denn seine Ansichten und Handlungen gehen Hand in Hand. Deshalb ist es von Bedeutung, daß sich auch in der Mark Wünsche nach staatlichen Reformen geltend machen; denn der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/470>, abgerufen am 24.07.2024.