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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Wesen ist. In derselben Stadt lebt ein Beamter, der bei allen Festessen
als officieller Redner auftritt und als solcher auch von der Stadt zum
15. October 1840 als Deputirter zur Huldigung nach Berlin geschickt
wurde. Der König, welcher mit dem hohen Adel im Schlosse speiste,
während man den bürgerlichen und bäuerlichen Deputaten draußen hatte
ein Zelt bauen lassen, zeigte sich auch beim Essen der Letzteren und
leerte das ihm dargebotene Champagnerglas aus das Wohl der an¬
wesenden Deputaten. Se. Majestät, begeistert durch die Begeisterung
seiner treuen Unterthanen, stieß das geleerte Glas etwas rasch auf den
Tisch, so daß es in Stücke sprang. Kaum sieht dies der Deputirte
aus der Grafschaft Mark, so springt er eilig herbei, und erhascht den
Fuß des Glases, an dem noch ein Stückchen des Kelches festsaß. Die¬
ses Monument königlicher Begeisterung entführt unser Deputirter nach
seiner Heimath, ein geschickter Goldarbeiter erweitert den Kelch durch
einen silbernen Ansatz zu seiner ursprünglichen Größe, und gravirt in
das Silber die Worte: "Mein König trank daraus/' Der Pokal
wird im geschmücktesten Saale des ganzen Hauses aufgestellt, und je¬
dem Besucher als die Hauptmerkwürdigkeit desselben gezeigt. Bei
sämmtlichen patriotischen Festessen, und deren hat Preußen fast so viele
als der katholische Kalender Heilige, führt jener Herr das Glas in
einem Futterale mit sich. Wenn nun nach der Suppe der erste feierliche
Toast auf das Wohl Sr. Majestät ertönt, fällt die neidische Hülle,
welche das Kleinod verhüllte; es wird mit dem besten Weine gefüllt,
und jeder Patriot hat die Ehre, aus den Trümmern des Glases zu
trinken, welches die Hand des Königs berührte, als es noch ganz
war. --

Diese allbekannte Loyalität der Grafschaft Mark hat vielleicht
Se. Majestät veranlaßt, der Tochter Thebens's den Aufenthalt daselbst
Und zwar in dem kleinen Städtchen Camen anzuweisen. Die Hono¬
ratioren des Städtchens haben dem unglücklichen Mädchen die Schwelle
ihrer Häuser verboten, und ihren Töchtern jeglichen Umgang mit der¬
selben untersagt.

Die Ostenstblität der Markauer war in solchen Beziehungen zu
sehr auf die Spitze getrieben worden, als daß man sie nicht, sogar
in der Mark selbst, belächelt hätte. Vorzüglich der täglich mehr um
sich greifende und von der Regierung zu eclatant beschützte Pietismus
öffnete den Leuten die Angen; ihr natürlicher Verstand vertrug sich
Nicht mit dem Unsinn, der sich auf den Kanzeln heimisch machte; der


Wesen ist. In derselben Stadt lebt ein Beamter, der bei allen Festessen
als officieller Redner auftritt und als solcher auch von der Stadt zum
15. October 1840 als Deputirter zur Huldigung nach Berlin geschickt
wurde. Der König, welcher mit dem hohen Adel im Schlosse speiste,
während man den bürgerlichen und bäuerlichen Deputaten draußen hatte
ein Zelt bauen lassen, zeigte sich auch beim Essen der Letzteren und
leerte das ihm dargebotene Champagnerglas aus das Wohl der an¬
wesenden Deputaten. Se. Majestät, begeistert durch die Begeisterung
seiner treuen Unterthanen, stieß das geleerte Glas etwas rasch auf den
Tisch, so daß es in Stücke sprang. Kaum sieht dies der Deputirte
aus der Grafschaft Mark, so springt er eilig herbei, und erhascht den
Fuß des Glases, an dem noch ein Stückchen des Kelches festsaß. Die¬
ses Monument königlicher Begeisterung entführt unser Deputirter nach
seiner Heimath, ein geschickter Goldarbeiter erweitert den Kelch durch
einen silbernen Ansatz zu seiner ursprünglichen Größe, und gravirt in
das Silber die Worte: „Mein König trank daraus/' Der Pokal
wird im geschmücktesten Saale des ganzen Hauses aufgestellt, und je¬
dem Besucher als die Hauptmerkwürdigkeit desselben gezeigt. Bei
sämmtlichen patriotischen Festessen, und deren hat Preußen fast so viele
als der katholische Kalender Heilige, führt jener Herr das Glas in
einem Futterale mit sich. Wenn nun nach der Suppe der erste feierliche
Toast auf das Wohl Sr. Majestät ertönt, fällt die neidische Hülle,
welche das Kleinod verhüllte; es wird mit dem besten Weine gefüllt,
und jeder Patriot hat die Ehre, aus den Trümmern des Glases zu
trinken, welches die Hand des Königs berührte, als es noch ganz
war. —

Diese allbekannte Loyalität der Grafschaft Mark hat vielleicht
Se. Majestät veranlaßt, der Tochter Thebens's den Aufenthalt daselbst
Und zwar in dem kleinen Städtchen Camen anzuweisen. Die Hono¬
ratioren des Städtchens haben dem unglücklichen Mädchen die Schwelle
ihrer Häuser verboten, und ihren Töchtern jeglichen Umgang mit der¬
selben untersagt.

Die Ostenstblität der Markauer war in solchen Beziehungen zu
sehr auf die Spitze getrieben worden, als daß man sie nicht, sogar
in der Mark selbst, belächelt hätte. Vorzüglich der täglich mehr um
sich greifende und von der Regierung zu eclatant beschützte Pietismus
öffnete den Leuten die Angen; ihr natürlicher Verstand vertrug sich
Nicht mit dem Unsinn, der sich auf den Kanzeln heimisch machte; der


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[0469] Wesen ist. In derselben Stadt lebt ein Beamter, der bei allen Festessen als officieller Redner auftritt und als solcher auch von der Stadt zum 15. October 1840 als Deputirter zur Huldigung nach Berlin geschickt wurde. Der König, welcher mit dem hohen Adel im Schlosse speiste, während man den bürgerlichen und bäuerlichen Deputaten draußen hatte ein Zelt bauen lassen, zeigte sich auch beim Essen der Letzteren und leerte das ihm dargebotene Champagnerglas aus das Wohl der an¬ wesenden Deputaten. Se. Majestät, begeistert durch die Begeisterung seiner treuen Unterthanen, stieß das geleerte Glas etwas rasch auf den Tisch, so daß es in Stücke sprang. Kaum sieht dies der Deputirte aus der Grafschaft Mark, so springt er eilig herbei, und erhascht den Fuß des Glases, an dem noch ein Stückchen des Kelches festsaß. Die¬ ses Monument königlicher Begeisterung entführt unser Deputirter nach seiner Heimath, ein geschickter Goldarbeiter erweitert den Kelch durch einen silbernen Ansatz zu seiner ursprünglichen Größe, und gravirt in das Silber die Worte: „Mein König trank daraus/' Der Pokal wird im geschmücktesten Saale des ganzen Hauses aufgestellt, und je¬ dem Besucher als die Hauptmerkwürdigkeit desselben gezeigt. Bei sämmtlichen patriotischen Festessen, und deren hat Preußen fast so viele als der katholische Kalender Heilige, führt jener Herr das Glas in einem Futterale mit sich. Wenn nun nach der Suppe der erste feierliche Toast auf das Wohl Sr. Majestät ertönt, fällt die neidische Hülle, welche das Kleinod verhüllte; es wird mit dem besten Weine gefüllt, und jeder Patriot hat die Ehre, aus den Trümmern des Glases zu trinken, welches die Hand des Königs berührte, als es noch ganz war. — Diese allbekannte Loyalität der Grafschaft Mark hat vielleicht Se. Majestät veranlaßt, der Tochter Thebens's den Aufenthalt daselbst Und zwar in dem kleinen Städtchen Camen anzuweisen. Die Hono¬ ratioren des Städtchens haben dem unglücklichen Mädchen die Schwelle ihrer Häuser verboten, und ihren Töchtern jeglichen Umgang mit der¬ selben untersagt. Die Ostenstblität der Markauer war in solchen Beziehungen zu sehr auf die Spitze getrieben worden, als daß man sie nicht, sogar in der Mark selbst, belächelt hätte. Vorzüglich der täglich mehr um sich greifende und von der Regierung zu eclatant beschützte Pietismus öffnete den Leuten die Angen; ihr natürlicher Verstand vertrug sich Nicht mit dem Unsinn, der sich auf den Kanzeln heimisch machte; der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/469>, abgerufen am 24.07.2024.