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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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alle Gegenstände, die sich in Lenau's Seele spiegeln, die düstre Farbe
ihres Elementes an, so haucht Grün in alle Gegenstände den lebens¬
froher Athem seiner eigenen Brust. Er entblättert die Nosen nicht,
um ihren Moder aufzudecken, er läßt sie blühen und gibt ihnen noch
das Bewußtsein ihrer Schönheit dazu. Lena" erdrückt jeden äußern
Stoff durch die Wucht seiner gewaltigen Natur, bis auf den Trümmern
nur sie selbst in erhabener Erscheinung übrig bleibt; Grün's Poesie
entzünde! sich erst an den äußern Dingen, erst wenn es keine Sterne,
keine Lerchen, keine Rosen mehr geben wird, sagt er selbst, wird der
letzte Poet gelebt haben; er trägt aus seinem Herzen den Quellen ihr
Rauschen entgegen und den Knospen die entfaltende Liebe, er legt in
die ganze Natur, was sie dem Menschen zur Seligkeit macht.

Im Jahre 1806 geboren, lebte er zumeist auf seinen Familien-
gütern in Steiermark, und die Landschaften, die ihn dort umgeben,
werfen mächtige Neflere auf seine Dichtungen. Dieselbe frische, freie
Gebirgsluft scheint sie zu durchwehen, und steht auch mancher Gedanke
darin hoch wie ein Gletscher da, daß man staunend zu ihm aussieht,
so einsam und kalt ist er niemals, daß nicht noch ein warmes mensch¬
liches Gefühl sein trautes Hüttlein dran bauen konnte.

Die erste Leistung, mit der er hervortrat, waren im Jahre 1830
die "Blätter der Liebe", die aber durch den eben bezeichneten Charakter
seiner Poesie, der die reine Empfindung nicht genügt, die sich durchaus
an Objectives lehnen muß, mehr zu einer anmuthigen als zu einer bedeu¬
tenden Erscheinung wurden. Wirklich sehen wir darin die Gestalt und die
Reize des Liebchens mit zarter Kunst gemalt, das Vögelchen und die
Gartenlaube, Alles, was sie umgibt, tritt in selige Beziehung zu seiner
Liebe, ja auch die Wehmuth wirft manchen reizenden Schatten darüber;
aber die echte, tiefe, gewaltsame Empfindung rauscht nicht durch diese
Blätter, wir sehen das frühlingöhafte Räthsel ihres Entkeimens nicht,
wir sehen sie nicht erfaßt vom sommerheißen Gewittersturm der Leiden¬
schaft, noch endlich welk zu Boden fallen, wenn die Frucht des Glückes
oder des Schmerzes daraus gereift ist.

Gar bald jedoch fand sein Genius die rechte Bahn und kurz nach den
"Blättern der Liebe" erschien ein Nomanzenkranz "der letzte Ritter".
Im Sonnenuntergang einer uns so romantisch dünkenden Zeit wie
das Mittelalter, glänzen Waffen und Rüstungen um so Heller, wird
die Ritterlichkeit um so edler; gleich dem sinkenden Gestirn des Tages
faßt Mes Scheidende seine ganze Wonne und all' seinen Glanz in-
einem letzten Moment zusammen. Drum ist der kaiserliche Held Mein-


alle Gegenstände, die sich in Lenau's Seele spiegeln, die düstre Farbe
ihres Elementes an, so haucht Grün in alle Gegenstände den lebens¬
froher Athem seiner eigenen Brust. Er entblättert die Nosen nicht,
um ihren Moder aufzudecken, er läßt sie blühen und gibt ihnen noch
das Bewußtsein ihrer Schönheit dazu. Lena» erdrückt jeden äußern
Stoff durch die Wucht seiner gewaltigen Natur, bis auf den Trümmern
nur sie selbst in erhabener Erscheinung übrig bleibt; Grün's Poesie
entzünde! sich erst an den äußern Dingen, erst wenn es keine Sterne,
keine Lerchen, keine Rosen mehr geben wird, sagt er selbst, wird der
letzte Poet gelebt haben; er trägt aus seinem Herzen den Quellen ihr
Rauschen entgegen und den Knospen die entfaltende Liebe, er legt in
die ganze Natur, was sie dem Menschen zur Seligkeit macht.

Im Jahre 1806 geboren, lebte er zumeist auf seinen Familien-
gütern in Steiermark, und die Landschaften, die ihn dort umgeben,
werfen mächtige Neflere auf seine Dichtungen. Dieselbe frische, freie
Gebirgsluft scheint sie zu durchwehen, und steht auch mancher Gedanke
darin hoch wie ein Gletscher da, daß man staunend zu ihm aussieht,
so einsam und kalt ist er niemals, daß nicht noch ein warmes mensch¬
liches Gefühl sein trautes Hüttlein dran bauen konnte.

Die erste Leistung, mit der er hervortrat, waren im Jahre 1830
die „Blätter der Liebe", die aber durch den eben bezeichneten Charakter
seiner Poesie, der die reine Empfindung nicht genügt, die sich durchaus
an Objectives lehnen muß, mehr zu einer anmuthigen als zu einer bedeu¬
tenden Erscheinung wurden. Wirklich sehen wir darin die Gestalt und die
Reize des Liebchens mit zarter Kunst gemalt, das Vögelchen und die
Gartenlaube, Alles, was sie umgibt, tritt in selige Beziehung zu seiner
Liebe, ja auch die Wehmuth wirft manchen reizenden Schatten darüber;
aber die echte, tiefe, gewaltsame Empfindung rauscht nicht durch diese
Blätter, wir sehen das frühlingöhafte Räthsel ihres Entkeimens nicht,
wir sehen sie nicht erfaßt vom sommerheißen Gewittersturm der Leiden¬
schaft, noch endlich welk zu Boden fallen, wenn die Frucht des Glückes
oder des Schmerzes daraus gereift ist.

Gar bald jedoch fand sein Genius die rechte Bahn und kurz nach den
„Blättern der Liebe" erschien ein Nomanzenkranz „der letzte Ritter".
Im Sonnenuntergang einer uns so romantisch dünkenden Zeit wie
das Mittelalter, glänzen Waffen und Rüstungen um so Heller, wird
die Ritterlichkeit um so edler; gleich dem sinkenden Gestirn des Tages
faßt Mes Scheidende seine ganze Wonne und all' seinen Glanz in-
einem letzten Moment zusammen. Drum ist der kaiserliche Held Mein-


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[0456] alle Gegenstände, die sich in Lenau's Seele spiegeln, die düstre Farbe ihres Elementes an, so haucht Grün in alle Gegenstände den lebens¬ froher Athem seiner eigenen Brust. Er entblättert die Nosen nicht, um ihren Moder aufzudecken, er läßt sie blühen und gibt ihnen noch das Bewußtsein ihrer Schönheit dazu. Lena» erdrückt jeden äußern Stoff durch die Wucht seiner gewaltigen Natur, bis auf den Trümmern nur sie selbst in erhabener Erscheinung übrig bleibt; Grün's Poesie entzünde! sich erst an den äußern Dingen, erst wenn es keine Sterne, keine Lerchen, keine Rosen mehr geben wird, sagt er selbst, wird der letzte Poet gelebt haben; er trägt aus seinem Herzen den Quellen ihr Rauschen entgegen und den Knospen die entfaltende Liebe, er legt in die ganze Natur, was sie dem Menschen zur Seligkeit macht. Im Jahre 1806 geboren, lebte er zumeist auf seinen Familien- gütern in Steiermark, und die Landschaften, die ihn dort umgeben, werfen mächtige Neflere auf seine Dichtungen. Dieselbe frische, freie Gebirgsluft scheint sie zu durchwehen, und steht auch mancher Gedanke darin hoch wie ein Gletscher da, daß man staunend zu ihm aussieht, so einsam und kalt ist er niemals, daß nicht noch ein warmes mensch¬ liches Gefühl sein trautes Hüttlein dran bauen konnte. Die erste Leistung, mit der er hervortrat, waren im Jahre 1830 die „Blätter der Liebe", die aber durch den eben bezeichneten Charakter seiner Poesie, der die reine Empfindung nicht genügt, die sich durchaus an Objectives lehnen muß, mehr zu einer anmuthigen als zu einer bedeu¬ tenden Erscheinung wurden. Wirklich sehen wir darin die Gestalt und die Reize des Liebchens mit zarter Kunst gemalt, das Vögelchen und die Gartenlaube, Alles, was sie umgibt, tritt in selige Beziehung zu seiner Liebe, ja auch die Wehmuth wirft manchen reizenden Schatten darüber; aber die echte, tiefe, gewaltsame Empfindung rauscht nicht durch diese Blätter, wir sehen das frühlingöhafte Räthsel ihres Entkeimens nicht, wir sehen sie nicht erfaßt vom sommerheißen Gewittersturm der Leiden¬ schaft, noch endlich welk zu Boden fallen, wenn die Frucht des Glückes oder des Schmerzes daraus gereift ist. Gar bald jedoch fand sein Genius die rechte Bahn und kurz nach den „Blättern der Liebe" erschien ein Nomanzenkranz „der letzte Ritter". Im Sonnenuntergang einer uns so romantisch dünkenden Zeit wie das Mittelalter, glänzen Waffen und Rüstungen um so Heller, wird die Ritterlichkeit um so edler; gleich dem sinkenden Gestirn des Tages faßt Mes Scheidende seine ganze Wonne und all' seinen Glanz in- einem letzten Moment zusammen. Drum ist der kaiserliche Held Mein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/456>, abgerufen am 04.07.2024.