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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Während der Vollendung dieser Werke lebte Lenau theils in
Schwaben, wohin ihn besonders die Freundschaft für Justinus Kerner
zog, theils in Wien, wo er allen literarischen Cirkeln und Vereinen
entfremdet, nur einigen Erwählten zugänglich war. In stolzer Ein¬
samkeit blieb er, dessen Muse sich in ehrenhafter Unabhängigkeit be¬
wegte, von den Armseligen ferne, die das Unglück, ein Poet in Oester¬
reich zu sein, in die Schmach verwandeln, österreichische Poeten zu
werden. Mit dem Fragment eines neuen Werkes "Don Juan" reiste
er im Frühling 1844 uach Stuttgart, als Deutschland plötzlich die
erschütternde Kunde vernahm, daß Lenau wahnsinnig geworden. Man
will die Ursache in ganz persönlichen Schicksalen, ja sogar in seiner
physischen Constitution finden, dennoch wäre es möglich, daß das fort¬
währende skeptische Wühlen seines Geistes eine, wenn auch nicht un¬
mittelbare Veranlassung dazu gewesen. Sollte er in seiner Entwick¬
lung auf den Punkt gekommen sein, wo man ein Gott werden muß
oder wahnsinnig? Sollte er glücklicher als Faust, den Urgrund alles
Seins und Wesens entdeckt haben und weil man "die Wahrheit nicht
ungestraft erblickt" von den rächenden Göttern mit dem Wahnsinn, der
nichts verrathen kann, geschlagen worden sein? Hat er sich die poli¬
tischen Zustände Deutschlands tiefer zu Herzen genommen, als unsere
liberalen Poeten und Helden mit dem Munde? Dann wäre dieser
Wahnsinn eine Wahrheit, vor der die politischen Gedichte erbleichen
und die politischen Dichter erröthen müßten. --

Anastastus Grün.

Neben dem düstern, nachtumhüllten Lenau, dessen unversöhnlicher
Geist die Abgründe der Schöpfung noch tiefer geübt, die Klüfte zwi¬
schen Wunsch und Glück noch weiter auseinander reißt, wird als
gleichzeitiger Strebensgenosse Anastastus Grün genannt, die sonnen¬
frohe, blüthenberanschte Lerche, deren Lieder über alle Risse in der
Natur und im Leben die Regenbogenbrücke der Versöhnung spannen.
Nie wurde zwischen zwei Dichtern ein schärferer Contrast sichtbar, als
in diesen Dioskuren am lyrischen Himmel Oesterreichs, die nur durch
die gleiche Gesinnung verschwistert sind, durch den Muth, mit dem sie
sich nicht feig in Maulwurfshöhlen verkrochen, sondern ihre schwellende
Sängerbrust in Gottes ganze freie Welt hinaustrugen. BestehtLenau's
.Poesie aus einsamen Monologen, so hält Grün heitre Zwiesprache
mit Lenz und Freiheit, mit allen Verklärungen des Daseins) nehmen


Während der Vollendung dieser Werke lebte Lenau theils in
Schwaben, wohin ihn besonders die Freundschaft für Justinus Kerner
zog, theils in Wien, wo er allen literarischen Cirkeln und Vereinen
entfremdet, nur einigen Erwählten zugänglich war. In stolzer Ein¬
samkeit blieb er, dessen Muse sich in ehrenhafter Unabhängigkeit be¬
wegte, von den Armseligen ferne, die das Unglück, ein Poet in Oester¬
reich zu sein, in die Schmach verwandeln, österreichische Poeten zu
werden. Mit dem Fragment eines neuen Werkes „Don Juan" reiste
er im Frühling 1844 uach Stuttgart, als Deutschland plötzlich die
erschütternde Kunde vernahm, daß Lenau wahnsinnig geworden. Man
will die Ursache in ganz persönlichen Schicksalen, ja sogar in seiner
physischen Constitution finden, dennoch wäre es möglich, daß das fort¬
währende skeptische Wühlen seines Geistes eine, wenn auch nicht un¬
mittelbare Veranlassung dazu gewesen. Sollte er in seiner Entwick¬
lung auf den Punkt gekommen sein, wo man ein Gott werden muß
oder wahnsinnig? Sollte er glücklicher als Faust, den Urgrund alles
Seins und Wesens entdeckt haben und weil man „die Wahrheit nicht
ungestraft erblickt" von den rächenden Göttern mit dem Wahnsinn, der
nichts verrathen kann, geschlagen worden sein? Hat er sich die poli¬
tischen Zustände Deutschlands tiefer zu Herzen genommen, als unsere
liberalen Poeten und Helden mit dem Munde? Dann wäre dieser
Wahnsinn eine Wahrheit, vor der die politischen Gedichte erbleichen
und die politischen Dichter erröthen müßten. —

Anastastus Grün.

Neben dem düstern, nachtumhüllten Lenau, dessen unversöhnlicher
Geist die Abgründe der Schöpfung noch tiefer geübt, die Klüfte zwi¬
schen Wunsch und Glück noch weiter auseinander reißt, wird als
gleichzeitiger Strebensgenosse Anastastus Grün genannt, die sonnen¬
frohe, blüthenberanschte Lerche, deren Lieder über alle Risse in der
Natur und im Leben die Regenbogenbrücke der Versöhnung spannen.
Nie wurde zwischen zwei Dichtern ein schärferer Contrast sichtbar, als
in diesen Dioskuren am lyrischen Himmel Oesterreichs, die nur durch
die gleiche Gesinnung verschwistert sind, durch den Muth, mit dem sie
sich nicht feig in Maulwurfshöhlen verkrochen, sondern ihre schwellende
Sängerbrust in Gottes ganze freie Welt hinaustrugen. BestehtLenau's
.Poesie aus einsamen Monologen, so hält Grün heitre Zwiesprache
mit Lenz und Freiheit, mit allen Verklärungen des Daseins) nehmen


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[0455] Während der Vollendung dieser Werke lebte Lenau theils in Schwaben, wohin ihn besonders die Freundschaft für Justinus Kerner zog, theils in Wien, wo er allen literarischen Cirkeln und Vereinen entfremdet, nur einigen Erwählten zugänglich war. In stolzer Ein¬ samkeit blieb er, dessen Muse sich in ehrenhafter Unabhängigkeit be¬ wegte, von den Armseligen ferne, die das Unglück, ein Poet in Oester¬ reich zu sein, in die Schmach verwandeln, österreichische Poeten zu werden. Mit dem Fragment eines neuen Werkes „Don Juan" reiste er im Frühling 1844 uach Stuttgart, als Deutschland plötzlich die erschütternde Kunde vernahm, daß Lenau wahnsinnig geworden. Man will die Ursache in ganz persönlichen Schicksalen, ja sogar in seiner physischen Constitution finden, dennoch wäre es möglich, daß das fort¬ währende skeptische Wühlen seines Geistes eine, wenn auch nicht un¬ mittelbare Veranlassung dazu gewesen. Sollte er in seiner Entwick¬ lung auf den Punkt gekommen sein, wo man ein Gott werden muß oder wahnsinnig? Sollte er glücklicher als Faust, den Urgrund alles Seins und Wesens entdeckt haben und weil man „die Wahrheit nicht ungestraft erblickt" von den rächenden Göttern mit dem Wahnsinn, der nichts verrathen kann, geschlagen worden sein? Hat er sich die poli¬ tischen Zustände Deutschlands tiefer zu Herzen genommen, als unsere liberalen Poeten und Helden mit dem Munde? Dann wäre dieser Wahnsinn eine Wahrheit, vor der die politischen Gedichte erbleichen und die politischen Dichter erröthen müßten. — Anastastus Grün. Neben dem düstern, nachtumhüllten Lenau, dessen unversöhnlicher Geist die Abgründe der Schöpfung noch tiefer geübt, die Klüfte zwi¬ schen Wunsch und Glück noch weiter auseinander reißt, wird als gleichzeitiger Strebensgenosse Anastastus Grün genannt, die sonnen¬ frohe, blüthenberanschte Lerche, deren Lieder über alle Risse in der Natur und im Leben die Regenbogenbrücke der Versöhnung spannen. Nie wurde zwischen zwei Dichtern ein schärferer Contrast sichtbar, als in diesen Dioskuren am lyrischen Himmel Oesterreichs, die nur durch die gleiche Gesinnung verschwistert sind, durch den Muth, mit dem sie sich nicht feig in Maulwurfshöhlen verkrochen, sondern ihre schwellende Sängerbrust in Gottes ganze freie Welt hinaustrugen. BestehtLenau's .Poesie aus einsamen Monologen, so hält Grün heitre Zwiesprache mit Lenz und Freiheit, mit allen Verklärungen des Daseins) nehmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/455>, abgerufen am 02.07.2024.