Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.rische Gewand, in welchem sie wahrnehmbar erscheinen. Der Skepti¬ rische Gewand, in welchem sie wahrnehmbar erscheinen. Der Skepti¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183475"/> <p xml:id="ID_1329" prev="#ID_1328"> rische Gewand, in welchem sie wahrnehmbar erscheinen. Der Skepti¬<lb/> cismus, der an allen Dingen der Welt zerstörend nagt, fortwährend<lb/> hoffend, daß er endlich auf den Körper treffe, fest genug ihn zu er¬<lb/> drücken und zu zerstören, mußte in dieser Hoffnung einmal auch nach<lb/> dem Katholicismus greifen. Und es ist nur ein Zeichen von der<lb/> Charaktergröße des Dichters, in der sich Mensch und Poet identisch<lb/> umschlingen, daß er auch diese Richtung, und ohne noch zu wissen,<lb/> daß sie nur eine momentane sein werde, der Welt offen bekannte, allen<lb/> Mißdeutungen trotzend. Allein schon sein nächstes Buch, der zweite<lb/> Band der Gedichte, gibt uns Lenau in seiner freien, großen Eigen¬<lb/> thümlichkeit zurück, alle Elemente seiner Poesie zu einer noch bedeu¬<lb/> tendem Entschiedenheit herausgebildet. Aus der Wundergeige Mischka's<lb/> tönt muthig und wehmüthig zugleich die Seele des Magyarenlandes<lb/> und in den „drei Zigeunern" erscheint die Philosophie der Resignation,<lb/> wie man das Leben „verraucht, verschläft, vergeigt und es dreimal<lb/> verachtet". Von welchem unnennbaren Zauber ist „der gute Gesell",<lb/> der das Menschenherz beschleicht, wenn es von Hoffnung und Liebe<lb/> verlassen und auch der Glaube nicht mehr ausreichen will; ein Nach¬<lb/> zügler aus dem Eden führt er einen räthselhaften Trost mit sich, in<lb/> Stunden, wo Herz und Vernunft keinen mehr geben können; er ist<lb/> das Mitleid unsichtbarer Geister um den armen, gefallenen Menschen.<lb/> Die „zwei Polen" erschöpfen die ganze Tiefe einer nie zu vernarben¬<lb/> den, nie auszublutenden weltgeschichtlichen Wunde und im „traurigen<lb/> Mönch" stellt sich wieder der große, geheime Schmerz der Natur hin,<lb/> der nicht genannt werden kann, weil sein Name allein schon den Men¬<lb/> schen zerschmettern würde. Auch die Ausbeute seiner Reise nach Ame¬<lb/> rika finden wir hier in plastischen Naturschilderungen, die belebt sind<lb/> von kummervoller Erinnerung an die Heimath, „Uhland, wie steht es<lb/> mit der Freiheit daheim?", während in schweren Wolken der Zweifel<lb/> darüber hinzieht und finstere Todesgedanken gleich wilden Thieren durch<lb/> den Urwald schleichen. Dem zweiten Bande der Gedichte folgte nach<lb/> längerem Zwischenraume ein Romanzencyklus die „Albigenser", eine<lb/> Aneinanderreihung erschütternd-großartiger Bilder, die mit dem Herz¬<lb/> blut der Lenau'schen Muse genährt sind und deren Schluß auf den<lb/> nie erlöschenden Kampf um die geistige und politische Freiheit der<lb/> Völker hindeutet. Durch die einfachen, hier von tiefster Gewalt erfüll¬<lb/> ten Worte: „und so weiter" werden die erhabenen Märtyrerthaten<lb/> vergangener Jahrhunderte an die unserer Zeit und der Zukunft<lb/> geknüpft.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
rische Gewand, in welchem sie wahrnehmbar erscheinen. Der Skepti¬
cismus, der an allen Dingen der Welt zerstörend nagt, fortwährend
hoffend, daß er endlich auf den Körper treffe, fest genug ihn zu er¬
drücken und zu zerstören, mußte in dieser Hoffnung einmal auch nach
dem Katholicismus greifen. Und es ist nur ein Zeichen von der
Charaktergröße des Dichters, in der sich Mensch und Poet identisch
umschlingen, daß er auch diese Richtung, und ohne noch zu wissen,
daß sie nur eine momentane sein werde, der Welt offen bekannte, allen
Mißdeutungen trotzend. Allein schon sein nächstes Buch, der zweite
Band der Gedichte, gibt uns Lenau in seiner freien, großen Eigen¬
thümlichkeit zurück, alle Elemente seiner Poesie zu einer noch bedeu¬
tendem Entschiedenheit herausgebildet. Aus der Wundergeige Mischka's
tönt muthig und wehmüthig zugleich die Seele des Magyarenlandes
und in den „drei Zigeunern" erscheint die Philosophie der Resignation,
wie man das Leben „verraucht, verschläft, vergeigt und es dreimal
verachtet". Von welchem unnennbaren Zauber ist „der gute Gesell",
der das Menschenherz beschleicht, wenn es von Hoffnung und Liebe
verlassen und auch der Glaube nicht mehr ausreichen will; ein Nach¬
zügler aus dem Eden führt er einen räthselhaften Trost mit sich, in
Stunden, wo Herz und Vernunft keinen mehr geben können; er ist
das Mitleid unsichtbarer Geister um den armen, gefallenen Menschen.
Die „zwei Polen" erschöpfen die ganze Tiefe einer nie zu vernarben¬
den, nie auszublutenden weltgeschichtlichen Wunde und im „traurigen
Mönch" stellt sich wieder der große, geheime Schmerz der Natur hin,
der nicht genannt werden kann, weil sein Name allein schon den Men¬
schen zerschmettern würde. Auch die Ausbeute seiner Reise nach Ame¬
rika finden wir hier in plastischen Naturschilderungen, die belebt sind
von kummervoller Erinnerung an die Heimath, „Uhland, wie steht es
mit der Freiheit daheim?", während in schweren Wolken der Zweifel
darüber hinzieht und finstere Todesgedanken gleich wilden Thieren durch
den Urwald schleichen. Dem zweiten Bande der Gedichte folgte nach
längerem Zwischenraume ein Romanzencyklus die „Albigenser", eine
Aneinanderreihung erschütternd-großartiger Bilder, die mit dem Herz¬
blut der Lenau'schen Muse genährt sind und deren Schluß auf den
nie erlöschenden Kampf um die geistige und politische Freiheit der
Völker hindeutet. Durch die einfachen, hier von tiefster Gewalt erfüll¬
ten Worte: „und so weiter" werden die erhabenen Märtyrerthaten
vergangener Jahrhunderte an die unserer Zeit und der Zukunft
geknüpft.
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