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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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dieser Erde in ihre Untauglichkeit zum Zweck einer solchen Erlösung
zersetzte, gelangte er zum negativen Resultat des dialektischen Processes
und seine Dichtungen wurden die Apotheose und das Märtyrerthum
des Skepticismus.

Aus solchen Elementen war sein erstes Buch, ein Band Gedichte,
zusammengesetzt. Srolz und unbekümmert um persönliche Nachtheile,
die österreichische Gesetze über ihn hätten verhängen können, in seinen
Handlungen, wie es dem echten Dichter ziemt, nicht niedriger als in
seinen Gedanken, trug er, mit allen literarischen Manipulationen, mit
Cliquenwesen und Kameradschaft unbekannt, sein Manuscript im Jahre
1832 selbst nach Stuttgart und bot es der Cotta'schen Buchhandlung
an, die sich zum Verlag auf Fürsprache von Gustav Schwab entschloß,
den nichts als eine flüchtige Einsicht in die Gedichte dazu bewogen
hatte. Ziemlich gleichgültig für den etwaigen Erfolg schiffte Lenau,
noch während sich sein erstes Buch unter der Presse befand, nach
Amerika.

Indeß er dort das realisirte Ideal politischer Zustände zu erfor¬
schen trachtete, aber endlich ziemlich unbefriedigt davon schied, indem
auf der materiellen Grundlage in ihrer Vollkommenheit noch kein ent¬
sprechendes geistiges Nationalleben emporgeblüht sein konnte, war ihm
in Deutschland groß und frei sein Lorbeer aufgeschossen und legte sich
mit hundertblättrigem Rauschen um sein Haupt, als er die Heimath
wiedersah. In den folgenden Jahren erschienen von ihm "Faust", von
der Kritik vielfach und zuweilen mit Recht angefochten und dennoch
eine großartige Schöpfung bei höchster Vollendung der Form und
meisterhafter Ausführung des Details die ganze skeptische Subjektivität
des Dichters mit unermeßlicher, lyrischer Gewalt zur Anschauung brin¬
gend. In diesem Werke zucken oft wenige, einfache Worte, wie ein
Blitz erheitert, über alle Schmerzen des Daseins, hin und wieder macht
sich darin Lenau's eigenthümlicher tragisch-erschütternder Humor geltend,
der die prunkendste Weisheit mit einem Auflachen des Hohns in ihr
Nichts zurückstößt. Hierauf folgte "Savonarola", ein Buch, das oft
heftig bekämpft, selten richtig aufgefaßt wurde. Es wäre eine schmäh¬
liche Unterordnung des großen Dichters, von ihm das allen künstle¬
rischen Anforderungen entsprechende Epos zu verlangen. Sollte er
seine große, gewissermaßen selbst der Weltgeschichte angehörende Men¬
schennatur verläugnen, um frei von künstlerischen Einflüssen eilte welt¬
geschichtliche Zeit künstlerisch zu reproduciren? Die Entwicklungen,
die in ihm selbst vorgehen, sind uns wichtiger als das zufällig sihlo-


dieser Erde in ihre Untauglichkeit zum Zweck einer solchen Erlösung
zersetzte, gelangte er zum negativen Resultat des dialektischen Processes
und seine Dichtungen wurden die Apotheose und das Märtyrerthum
des Skepticismus.

Aus solchen Elementen war sein erstes Buch, ein Band Gedichte,
zusammengesetzt. Srolz und unbekümmert um persönliche Nachtheile,
die österreichische Gesetze über ihn hätten verhängen können, in seinen
Handlungen, wie es dem echten Dichter ziemt, nicht niedriger als in
seinen Gedanken, trug er, mit allen literarischen Manipulationen, mit
Cliquenwesen und Kameradschaft unbekannt, sein Manuscript im Jahre
1832 selbst nach Stuttgart und bot es der Cotta'schen Buchhandlung
an, die sich zum Verlag auf Fürsprache von Gustav Schwab entschloß,
den nichts als eine flüchtige Einsicht in die Gedichte dazu bewogen
hatte. Ziemlich gleichgültig für den etwaigen Erfolg schiffte Lenau,
noch während sich sein erstes Buch unter der Presse befand, nach
Amerika.

Indeß er dort das realisirte Ideal politischer Zustände zu erfor¬
schen trachtete, aber endlich ziemlich unbefriedigt davon schied, indem
auf der materiellen Grundlage in ihrer Vollkommenheit noch kein ent¬
sprechendes geistiges Nationalleben emporgeblüht sein konnte, war ihm
in Deutschland groß und frei sein Lorbeer aufgeschossen und legte sich
mit hundertblättrigem Rauschen um sein Haupt, als er die Heimath
wiedersah. In den folgenden Jahren erschienen von ihm „Faust", von
der Kritik vielfach und zuweilen mit Recht angefochten und dennoch
eine großartige Schöpfung bei höchster Vollendung der Form und
meisterhafter Ausführung des Details die ganze skeptische Subjektivität
des Dichters mit unermeßlicher, lyrischer Gewalt zur Anschauung brin¬
gend. In diesem Werke zucken oft wenige, einfache Worte, wie ein
Blitz erheitert, über alle Schmerzen des Daseins, hin und wieder macht
sich darin Lenau's eigenthümlicher tragisch-erschütternder Humor geltend,
der die prunkendste Weisheit mit einem Auflachen des Hohns in ihr
Nichts zurückstößt. Hierauf folgte „Savonarola", ein Buch, das oft
heftig bekämpft, selten richtig aufgefaßt wurde. Es wäre eine schmäh¬
liche Unterordnung des großen Dichters, von ihm das allen künstle¬
rischen Anforderungen entsprechende Epos zu verlangen. Sollte er
seine große, gewissermaßen selbst der Weltgeschichte angehörende Men¬
schennatur verläugnen, um frei von künstlerischen Einflüssen eilte welt¬
geschichtliche Zeit künstlerisch zu reproduciren? Die Entwicklungen,
die in ihm selbst vorgehen, sind uns wichtiger als das zufällig sihlo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/453>, abgerufen am 28.06.2024.