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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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eine der hervorragendsten liebenswürdigen Persönlichkeiten. Ich brachte
mit ihm unter andrem einen sehr vergnügten Nachmittag in der Mitte
dieses Sommers in Wildbad, in Gesellschaft von Julius Mosen und
dem alten würtemb, Minister von Wangenheim, zu. Eine pikante Zu¬
sammensetzung! Die muntersten Scherze und Erlebnisse aus den ver¬
schiedensten Kreisen des Lebens kamen da in wechselseitiger Anregung zu
Tage. Julius Mosen hat leider eine traurige Veranlassung in Wildbad
zu verweilen, er ist auf der einen Seite gelähmt, geistig aber dennoch
heiter und lebhaft. Seine Wirksamkeit an der Oldenburger Bühne
scheint sehr erfreulich und für ihn befriedigend zu sein. Der Minister
v. Wangenheim, dieser geniale, liebenswürdige Greis, dessen Wirken hier
zu Lande noch in dem glücklichsten Andenken steht, ist eine von den
originellen Gestalten früherer Zeit, wie sie in der unsrigen immer seltner
werden, in der unsrigen, wo Alles darauf hinausgeht, das Individuum
so alltäglich wie möglich zu machen. Das Geschlecht unserer materiellen
Zeit ist selber ein großartiges Fabrikproduct. Wangenheim war dem
jetzigen König v. W. in frühern Jahren der Einführung freisinniger
Reformen ein treuer Gehülfe. Als wir die preuß. Constitutionsfrage
berührten, sagte mir der alte Staatsmann: "der König von Preußen
hat den redlichsten Willen, das weiß ich genau und zwar wunderlicher
Weise aus England, darauf leg' ich meine Hand in's Feuer, aber auf
sein Geschick, das Erfaßte in's Werk zu setzen, geb' ich keinen Kreuzer.
Es ist schade, der König ist wirklich Genius, aber sein Wirken wird
durch eine große Clique gelähmt. Ich kenne selbst mehrere von den
zahlreichen Entwürfen, die immer wieder zurückgeschoben wurden, nun
endlich wird das Ding doch kommen, und mag die Form auch noch
so schlecht, noch so erbärmlich sein, der Geist wird sich schon hinein
setzen und sie ausweiden.

Hier von Tübingen, der Universitätsstadt Würtembergs, von wo
aus ich diese Zeilen schreibe, sollte eigentlich das Beste zu sagen sein,
aber so ist es nicht. Ich weiß keine deutsche Universität, wo der Stu-
dirende so schulmäßig und so unmündig angesehen würde, als wie hier.
Dazu tragen zwei Anstalten, das Convict für das katholische und daS
Stift für protestantische Theologen, ihr Möglichstes bei. Das sind
Krebsschäden, die mit der Wurzel ausgerottet werden müßten, ehe an
irgend eine glückliche Aenderung in den hiesigen Verhältnissen zu denken
wäre. Noch jüngst fielen mir da die Worte Okens in die Augen, die
er an einen Eollcgen nach Freiburg schrieb: "Ich meine aber, Sie sol¬
len in Freiburg bleiben, Sie werden den Abgang bereuen, auch wenn
Sie in Tübingen KOOlt Thlr. bekämen, woran wohl nicht zu denken ist.
In T. haben sie ja doch keine eigentlichen Studenten, sondern nur groß"
Gymnasiasten. Wie kann an einer Specialschule ein wissenschaftlicher
Geist entstehen! Bleiben Sie also, wenn es nur irgend möglich ist!"
Zwei ihrer ausgezeichnetsten Docenten hat die Universität nicht mehr,
Wächter, der als Kanzler derselben (zugleich Präsident des ständischen
Ausschusses) in Stuttgart lebt und Robert v. Mo si. Wie ehrmwerch


eine der hervorragendsten liebenswürdigen Persönlichkeiten. Ich brachte
mit ihm unter andrem einen sehr vergnügten Nachmittag in der Mitte
dieses Sommers in Wildbad, in Gesellschaft von Julius Mosen und
dem alten würtemb, Minister von Wangenheim, zu. Eine pikante Zu¬
sammensetzung! Die muntersten Scherze und Erlebnisse aus den ver¬
schiedensten Kreisen des Lebens kamen da in wechselseitiger Anregung zu
Tage. Julius Mosen hat leider eine traurige Veranlassung in Wildbad
zu verweilen, er ist auf der einen Seite gelähmt, geistig aber dennoch
heiter und lebhaft. Seine Wirksamkeit an der Oldenburger Bühne
scheint sehr erfreulich und für ihn befriedigend zu sein. Der Minister
v. Wangenheim, dieser geniale, liebenswürdige Greis, dessen Wirken hier
zu Lande noch in dem glücklichsten Andenken steht, ist eine von den
originellen Gestalten früherer Zeit, wie sie in der unsrigen immer seltner
werden, in der unsrigen, wo Alles darauf hinausgeht, das Individuum
so alltäglich wie möglich zu machen. Das Geschlecht unserer materiellen
Zeit ist selber ein großartiges Fabrikproduct. Wangenheim war dem
jetzigen König v. W. in frühern Jahren der Einführung freisinniger
Reformen ein treuer Gehülfe. Als wir die preuß. Constitutionsfrage
berührten, sagte mir der alte Staatsmann: „der König von Preußen
hat den redlichsten Willen, das weiß ich genau und zwar wunderlicher
Weise aus England, darauf leg' ich meine Hand in's Feuer, aber auf
sein Geschick, das Erfaßte in's Werk zu setzen, geb' ich keinen Kreuzer.
Es ist schade, der König ist wirklich Genius, aber sein Wirken wird
durch eine große Clique gelähmt. Ich kenne selbst mehrere von den
zahlreichen Entwürfen, die immer wieder zurückgeschoben wurden, nun
endlich wird das Ding doch kommen, und mag die Form auch noch
so schlecht, noch so erbärmlich sein, der Geist wird sich schon hinein
setzen und sie ausweiden.

Hier von Tübingen, der Universitätsstadt Würtembergs, von wo
aus ich diese Zeilen schreibe, sollte eigentlich das Beste zu sagen sein,
aber so ist es nicht. Ich weiß keine deutsche Universität, wo der Stu-
dirende so schulmäßig und so unmündig angesehen würde, als wie hier.
Dazu tragen zwei Anstalten, das Convict für das katholische und daS
Stift für protestantische Theologen, ihr Möglichstes bei. Das sind
Krebsschäden, die mit der Wurzel ausgerottet werden müßten, ehe an
irgend eine glückliche Aenderung in den hiesigen Verhältnissen zu denken
wäre. Noch jüngst fielen mir da die Worte Okens in die Augen, die
er an einen Eollcgen nach Freiburg schrieb: „Ich meine aber, Sie sol¬
len in Freiburg bleiben, Sie werden den Abgang bereuen, auch wenn
Sie in Tübingen KOOlt Thlr. bekämen, woran wohl nicht zu denken ist.
In T. haben sie ja doch keine eigentlichen Studenten, sondern nur groß»
Gymnasiasten. Wie kann an einer Specialschule ein wissenschaftlicher
Geist entstehen! Bleiben Sie also, wenn es nur irgend möglich ist!"
Zwei ihrer ausgezeichnetsten Docenten hat die Universität nicht mehr,
Wächter, der als Kanzler derselben (zugleich Präsident des ständischen
Ausschusses) in Stuttgart lebt und Robert v. Mo si. Wie ehrmwerch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/400>, abgerufen am 24.07.2024.