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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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scher Träumereien. Der Künstler hat dabei gewonnen; das Studium
der Wirklichkeit hat ihm Feinheit und Abrundung gelehrt; auch der
Philosoph hat dadurch neue Vorzüge erworben, klarere Gedanken und
eine eindringlichere Moral. Endlich ist dieser kleine Erdwinkel ein ächt
deutscher Boden und da unsere Nachbarn mit den Sorgen ihres poli¬
tischen Lebens und den nahe bevorstehenden Umwandlungen in dem¬
selben beschäftigt sind, welche schönere Aufgabe für einen ächten Künst¬
ler gibt es da, als das Vaterland zu besingen und sich an alle recht'
mäßigen Wünsche einer neuen Generation anschließend die Kette der
nationalen DichtungS-Tradittonen, welche ein blinder Zorn zerbrochen
hatte, wieder anzuknüpfen.

Ich bemerkte oben, daß eines der größten Uebel des literarischen
Deutschlands die Unthätigkeit der Kritik sei. Die Schriftsteller, die
das Publicum als Beurtheiler gern annehmen würde, Herr Gervinus
zum Betspiel, haben der Ehre und den Pflichten dieses Amtes entsagt
Unter denen, die sich diesem schweren Geschäft unterziehen wollen, be¬
kämpfen die Einen, wie Menzel, mit Wuth jede Neuerung, in der sie
nur von fern einen lebhaften Geist, eine liberalere Idee und den Ein¬
fluß französischen Geistes zu erkennen glauben. Die Andern dagegen
heißen diesen Einfluß mit unbesonnenen Eifer willkommen und beschüz-
zen aus Haß gegen den Mysticismus eine ironische Literatur, einen
erborgten Voltairianismus, der der Originalität Deutschlands nach¬
theilig werden muß. Von dem Augenblick ab, wo die Kritik in Deutsch¬
land die ihr gebührende Stellung wieder einnehmen, wo sie aufhören
wird, ein phrasenhafter Dilettantismus zu sein, wird sie den den Be¬
dürfnissen der gegenwärtigen Gesellschaft angemessenen Fortschritt und
die Achtung vor den geistigen Traditionen des Landes zu gleicher
Zeit empfehlen. Das Beispiel Auerbach'S wird nicht für sie verloren
sein. Die Tradition allein, eine blinde Treue gegen die Erinnerungen
der Vergangenheit, würde die Phantasie der Dichter in jene mystische,
nebelhafte Welt einschließen, von der die neuere Gesellschaft sich sieg¬
reich losgemacht. Andererseits würde die Neuerung allein, die unbe¬
sonnene Neuerung, die den heimischen Boden aus dem Gesicht verlöre
und jedes Band mit dem Geist der Vorfahren zerrisse, den deutschen
Gedanken dem Einfluß eines fremden Geistes preis geben. Ein Vol-
tainsch gewordenes Deutschland würde uns Franzosen wenig Ehre
machen. Möge es etwas von unserm Geist, den graden Verstand, die
Klarheit der Ansichten annehmen; möge eS von uns die aufrichtige
Anhänglichkeit an die großen Principien der modernen Welt, an die


scher Träumereien. Der Künstler hat dabei gewonnen; das Studium
der Wirklichkeit hat ihm Feinheit und Abrundung gelehrt; auch der
Philosoph hat dadurch neue Vorzüge erworben, klarere Gedanken und
eine eindringlichere Moral. Endlich ist dieser kleine Erdwinkel ein ächt
deutscher Boden und da unsere Nachbarn mit den Sorgen ihres poli¬
tischen Lebens und den nahe bevorstehenden Umwandlungen in dem¬
selben beschäftigt sind, welche schönere Aufgabe für einen ächten Künst¬
ler gibt es da, als das Vaterland zu besingen und sich an alle recht'
mäßigen Wünsche einer neuen Generation anschließend die Kette der
nationalen DichtungS-Tradittonen, welche ein blinder Zorn zerbrochen
hatte, wieder anzuknüpfen.

Ich bemerkte oben, daß eines der größten Uebel des literarischen
Deutschlands die Unthätigkeit der Kritik sei. Die Schriftsteller, die
das Publicum als Beurtheiler gern annehmen würde, Herr Gervinus
zum Betspiel, haben der Ehre und den Pflichten dieses Amtes entsagt
Unter denen, die sich diesem schweren Geschäft unterziehen wollen, be¬
kämpfen die Einen, wie Menzel, mit Wuth jede Neuerung, in der sie
nur von fern einen lebhaften Geist, eine liberalere Idee und den Ein¬
fluß französischen Geistes zu erkennen glauben. Die Andern dagegen
heißen diesen Einfluß mit unbesonnenen Eifer willkommen und beschüz-
zen aus Haß gegen den Mysticismus eine ironische Literatur, einen
erborgten Voltairianismus, der der Originalität Deutschlands nach¬
theilig werden muß. Von dem Augenblick ab, wo die Kritik in Deutsch¬
land die ihr gebührende Stellung wieder einnehmen, wo sie aufhören
wird, ein phrasenhafter Dilettantismus zu sein, wird sie den den Be¬
dürfnissen der gegenwärtigen Gesellschaft angemessenen Fortschritt und
die Achtung vor den geistigen Traditionen des Landes zu gleicher
Zeit empfehlen. Das Beispiel Auerbach'S wird nicht für sie verloren
sein. Die Tradition allein, eine blinde Treue gegen die Erinnerungen
der Vergangenheit, würde die Phantasie der Dichter in jene mystische,
nebelhafte Welt einschließen, von der die neuere Gesellschaft sich sieg¬
reich losgemacht. Andererseits würde die Neuerung allein, die unbe¬
sonnene Neuerung, die den heimischen Boden aus dem Gesicht verlöre
und jedes Band mit dem Geist der Vorfahren zerrisse, den deutschen
Gedanken dem Einfluß eines fremden Geistes preis geben. Ein Vol-
tainsch gewordenes Deutschland würde uns Franzosen wenig Ehre
machen. Möge es etwas von unserm Geist, den graden Verstand, die
Klarheit der Ansichten annehmen; möge eS von uns die aufrichtige
Anhänglichkeit an die großen Principien der modernen Welt, an die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/40>, abgerufen am 24.07.2024.