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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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dort aufliegenden Blätter ercerpirt. Westphälische Zustände bespricht
die Zeitung gar nicht, ausgenommen, daß sie hier und da die Com-
munisten der Polizei denuncirt, oder Wundergeschichten von den Vi¬
karen und Pfarrern der Umgegend erzählt. Der Glanzpunkt der
Zeitung war, als sie die Feierlichkeiten beim Bischofsjubiläum in
Münster und beim Tode des Cölner Erzbischofs erzählen konnte; hier
hatte sie sich einen fast ebenso erhabenen Styl angeeignet, als die
-Vossische und Allgemeine Preußische, wenn sie über eine Parade oder
einen Hofball berichtet. Ihre Hauptstärke hat sie aber gezeigt, als
der Deuschkatholicismus geboren wurde. Mit der Wuth Don Qui-
rote's, als er gegen die Windmühlen kämpfte, fiel sie über die neue
Sekte her, und ihre Spalten wurden zu einem Lexikon aller möglichen
Schimpfwörter. Die Elberfelder Zeitung, die uach dem Mercur den
meisten Absatz in der Provinz hat, und also deshalb auch eine west¬
phälische Zeitung zu nennen ist, nahm bekanntlich Ronge's Parder,
schämte sich aber auch nicht, sich derselben Waffen zu bedienen, mit
denen die münsterschen Pfaffen stritten. Da gab es einen Kampf,
im Verhältniß zu welchem der Streit zwischen Achill und Hektor ein
Kinderspiel genannt zu werden verdient. Beide Zeitungen riefen zu¬
letzt öffentlich die Hilfe der Polizei an, die eine, um die Jesuiten, die
andere, um die Abtrünnigen, die Sektirer aus dem Lande zu jagen.
Der Münstersche Mercur wies nach, daß der Deutschkatholicismus
und die Protestationen der Lichtfreunde nothwendig zum politi¬
schen Liberalismus und durch diesen zum Communismus fuh¬
ren müsse. Erst fällt man über die Priester her, rief sie mit
warnender Stimme der Polizei zu, dann mordet man die Kö¬
nige, und zuletzt geht es an die Reichen, die Fabrikanten und die
Banquiers. Die Elberfelderin behauptete dagegen, der kirchliche Fort¬
schritt habe nichts mit dem politischen zu thun; die Reformatoren
hätten sich zum Beispiel nur aus Höflichkeit und mit schweren Her¬
zen mit den badischen Oppositionsmännern befreundet; der Deutsch¬
katholicismus sei sehr gut preußisch gesinnt, und stelle feine ganze
Zukunft der Gnade Sr. Majestät anheim. Welche von den beiden
Zeitungen Recht habe, darüber ist kein Urtheil mehr nöthig; unerklär¬
lich und sehr traurig ist es, wie man in unserer Provinz, wo seit
1840 das politische Bewußtsein sehr zu reifen schien, sich so ganz
mehrere Jahre hindurch in die religiösen Streitigkeiten vertiefen konnte,
so daß man darüber den politischen Fortschritt fast ganz vergaß. Die
Reaction, die sich auch hier, wie überall, so trefflich des Wahlspruchs


Grenzboten. M. 51

dort aufliegenden Blätter ercerpirt. Westphälische Zustände bespricht
die Zeitung gar nicht, ausgenommen, daß sie hier und da die Com-
munisten der Polizei denuncirt, oder Wundergeschichten von den Vi¬
karen und Pfarrern der Umgegend erzählt. Der Glanzpunkt der
Zeitung war, als sie die Feierlichkeiten beim Bischofsjubiläum in
Münster und beim Tode des Cölner Erzbischofs erzählen konnte; hier
hatte sie sich einen fast ebenso erhabenen Styl angeeignet, als die
-Vossische und Allgemeine Preußische, wenn sie über eine Parade oder
einen Hofball berichtet. Ihre Hauptstärke hat sie aber gezeigt, als
der Deuschkatholicismus geboren wurde. Mit der Wuth Don Qui-
rote's, als er gegen die Windmühlen kämpfte, fiel sie über die neue
Sekte her, und ihre Spalten wurden zu einem Lexikon aller möglichen
Schimpfwörter. Die Elberfelder Zeitung, die uach dem Mercur den
meisten Absatz in der Provinz hat, und also deshalb auch eine west¬
phälische Zeitung zu nennen ist, nahm bekanntlich Ronge's Parder,
schämte sich aber auch nicht, sich derselben Waffen zu bedienen, mit
denen die münsterschen Pfaffen stritten. Da gab es einen Kampf,
im Verhältniß zu welchem der Streit zwischen Achill und Hektor ein
Kinderspiel genannt zu werden verdient. Beide Zeitungen riefen zu¬
letzt öffentlich die Hilfe der Polizei an, die eine, um die Jesuiten, die
andere, um die Abtrünnigen, die Sektirer aus dem Lande zu jagen.
Der Münstersche Mercur wies nach, daß der Deutschkatholicismus
und die Protestationen der Lichtfreunde nothwendig zum politi¬
schen Liberalismus und durch diesen zum Communismus fuh¬
ren müsse. Erst fällt man über die Priester her, rief sie mit
warnender Stimme der Polizei zu, dann mordet man die Kö¬
nige, und zuletzt geht es an die Reichen, die Fabrikanten und die
Banquiers. Die Elberfelderin behauptete dagegen, der kirchliche Fort¬
schritt habe nichts mit dem politischen zu thun; die Reformatoren
hätten sich zum Beispiel nur aus Höflichkeit und mit schweren Her¬
zen mit den badischen Oppositionsmännern befreundet; der Deutsch¬
katholicismus sei sehr gut preußisch gesinnt, und stelle feine ganze
Zukunft der Gnade Sr. Majestät anheim. Welche von den beiden
Zeitungen Recht habe, darüber ist kein Urtheil mehr nöthig; unerklär¬
lich und sehr traurig ist es, wie man in unserer Provinz, wo seit
1840 das politische Bewußtsein sehr zu reifen schien, sich so ganz
mehrere Jahre hindurch in die religiösen Streitigkeiten vertiefen konnte,
so daß man darüber den politischen Fortschritt fast ganz vergaß. Die
Reaction, die sich auch hier, wie überall, so trefflich des Wahlspruchs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/383>, abgerufen am 24.07.2024.