Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Novellen; jetzt beabsichtigt sie, jährlich ein Taschenbuch "Produkte der
rothen Erde" betitelt, herauszugeben, welches die -- freilich sparsamen
-- Erzeugnisse der westphälischen Muße in sich bergen soll. Der erste
Band ist schon im vorigen Jahre erschienen, mag aber freilich wohl
in unserer an das Pikante und Ueberspannte gewöhnten Zeit keine,
weite Verbreitung gefunden haben.

Eine ihr verwandte Erscheinung auf westphälischen Boden ist^
Annette, Freiin von Droste-Hülshoff, eine Dichterin, deren Tiefe und
Innigkeit seltsam mit der starren kalten Umgebung, mit der Prosa der
Natur-und der Verhältnisse, in welchen sie aufgewachsen ist, contra-
stirt. Ihre ruhigen, nachdenklichen, träumerischen Lieder ziehen auch
den an, der sich an das Brausen und Klingen unserer modernen Poesie
gewöhnt hat, haben aber auf den eineir unbeschreiblichen Einfluß, der,,
in melancholischen Erinnerungen an die Vergangenheit versunken, für
das laute, bewegte Treiben der Gegenwart kein Ohr hat. Ihre Lie¬
der und Balladen tönen leise und ruhig, wie das Wasser, das ihre
Burg umspült, wie der Wind, der im Epheu.der Ruinen flüstert.
Sie ist eine aristokratische Dichterin und dennoch liebenswürdig; dies>>
ist gewiß eine große Schmeichelei/ aber wir sind berechtigt, sie zu sagen.

Ueberblicken wir alle geistigen Bestrebungen Münster'S und seiner
Umgebung zusammen, so können wir es uns nicht verhehlen, daß wir
sie durchaus zu keinem Ganzen gruppiren können, daß wir zwar hier
und da einzelne Talente antreffen, aber nirgends ein bedeutsames Zu¬
sammenwirken der Geister, daß wir zwar Cliquen und Factionen fin¬
den, aber keine auf Principien beruhenden Parteien. Das wird
hoffentlich anders werden, wenn erst der gesteigerte Verkehr Personen
und Gedanken näher mit einander in Berührung bringt. Für jetzt,
leistet die westphälische Zettungspresse fast gar nichts, so daß wir sie
hier recht gut mit Stillschweigen übergehen könnten. Der Münster-
sche Mercur mit seinem historischen Rechte und seiner Orthodoxie war
vor einigen Jahren noch Abdruck des Volksbewußtseins, aber schon
jetzt ist selbst der Münstersche Bierphilister über ihn hinausgeschritten
und lacht über seine Schimpfreden und Wuthausbrüche. Da diese
Zeitung die einzige in Westphalen concessionirte ist, so könnte sie eine
glänzende Stellung einnehmen, wenn sie in den Händen eines ein¬
sichtsvolleren und minder befangenen Mannes wäre als Herr Coppen-
rath ist, der nicht einmal das Geld daran wagt, eigene Zeitungen zu-
halten, um daraus die Artikel zu holen, sondern der im Casino die


Novellen; jetzt beabsichtigt sie, jährlich ein Taschenbuch „Produkte der
rothen Erde" betitelt, herauszugeben, welches die — freilich sparsamen
— Erzeugnisse der westphälischen Muße in sich bergen soll. Der erste
Band ist schon im vorigen Jahre erschienen, mag aber freilich wohl
in unserer an das Pikante und Ueberspannte gewöhnten Zeit keine,
weite Verbreitung gefunden haben.

Eine ihr verwandte Erscheinung auf westphälischen Boden ist^
Annette, Freiin von Droste-Hülshoff, eine Dichterin, deren Tiefe und
Innigkeit seltsam mit der starren kalten Umgebung, mit der Prosa der
Natur-und der Verhältnisse, in welchen sie aufgewachsen ist, contra-
stirt. Ihre ruhigen, nachdenklichen, träumerischen Lieder ziehen auch
den an, der sich an das Brausen und Klingen unserer modernen Poesie
gewöhnt hat, haben aber auf den eineir unbeschreiblichen Einfluß, der,,
in melancholischen Erinnerungen an die Vergangenheit versunken, für
das laute, bewegte Treiben der Gegenwart kein Ohr hat. Ihre Lie¬
der und Balladen tönen leise und ruhig, wie das Wasser, das ihre
Burg umspült, wie der Wind, der im Epheu.der Ruinen flüstert.
Sie ist eine aristokratische Dichterin und dennoch liebenswürdig; dies>>
ist gewiß eine große Schmeichelei/ aber wir sind berechtigt, sie zu sagen.

Ueberblicken wir alle geistigen Bestrebungen Münster'S und seiner
Umgebung zusammen, so können wir es uns nicht verhehlen, daß wir
sie durchaus zu keinem Ganzen gruppiren können, daß wir zwar hier
und da einzelne Talente antreffen, aber nirgends ein bedeutsames Zu¬
sammenwirken der Geister, daß wir zwar Cliquen und Factionen fin¬
den, aber keine auf Principien beruhenden Parteien. Das wird
hoffentlich anders werden, wenn erst der gesteigerte Verkehr Personen
und Gedanken näher mit einander in Berührung bringt. Für jetzt,
leistet die westphälische Zettungspresse fast gar nichts, so daß wir sie
hier recht gut mit Stillschweigen übergehen könnten. Der Münster-
sche Mercur mit seinem historischen Rechte und seiner Orthodoxie war
vor einigen Jahren noch Abdruck des Volksbewußtseins, aber schon
jetzt ist selbst der Münstersche Bierphilister über ihn hinausgeschritten
und lacht über seine Schimpfreden und Wuthausbrüche. Da diese
Zeitung die einzige in Westphalen concessionirte ist, so könnte sie eine
glänzende Stellung einnehmen, wenn sie in den Händen eines ein¬
sichtsvolleren und minder befangenen Mannes wäre als Herr Coppen-
rath ist, der nicht einmal das Geld daran wagt, eigene Zeitungen zu-
halten, um daraus die Artikel zu holen, sondern der im Casino die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183403"/>
            <p xml:id="ID_1129" prev="#ID_1128"> Novellen; jetzt beabsichtigt sie, jährlich ein Taschenbuch &#x201E;Produkte der<lb/>
rothen Erde" betitelt, herauszugeben, welches die &#x2014; freilich sparsamen<lb/>
&#x2014; Erzeugnisse der westphälischen Muße in sich bergen soll. Der erste<lb/>
Band ist schon im vorigen Jahre erschienen, mag aber freilich wohl<lb/>
in unserer an das Pikante und Ueberspannte gewöhnten Zeit keine,<lb/>
weite Verbreitung gefunden haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1130"> Eine ihr verwandte Erscheinung auf westphälischen Boden ist^<lb/>
Annette, Freiin von Droste-Hülshoff, eine Dichterin, deren Tiefe und<lb/>
Innigkeit seltsam mit der starren kalten Umgebung, mit der Prosa der<lb/>
Natur-und der Verhältnisse, in welchen sie aufgewachsen ist, contra-<lb/>
stirt. Ihre ruhigen, nachdenklichen, träumerischen Lieder ziehen auch<lb/>
den an, der sich an das Brausen und Klingen unserer modernen Poesie<lb/>
gewöhnt hat, haben aber auf den eineir unbeschreiblichen Einfluß, der,,<lb/>
in melancholischen Erinnerungen an die Vergangenheit versunken, für<lb/>
das laute, bewegte Treiben der Gegenwart kein Ohr hat. Ihre Lie¬<lb/>
der und Balladen tönen leise und ruhig, wie das Wasser, das ihre<lb/>
Burg umspült, wie der Wind, der im Epheu.der Ruinen flüstert.<lb/>
Sie ist eine aristokratische Dichterin und dennoch liebenswürdig; dies&gt;&gt;<lb/>
ist gewiß eine große Schmeichelei/ aber wir sind berechtigt, sie zu sagen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1131" next="#ID_1132"> Ueberblicken wir alle geistigen Bestrebungen Münster'S und seiner<lb/>
Umgebung zusammen, so können wir es uns nicht verhehlen, daß wir<lb/>
sie durchaus zu keinem Ganzen gruppiren können, daß wir zwar hier<lb/>
und da einzelne Talente antreffen, aber nirgends ein bedeutsames Zu¬<lb/>
sammenwirken der Geister, daß wir zwar Cliquen und Factionen fin¬<lb/>
den, aber keine auf Principien beruhenden Parteien. Das wird<lb/>
hoffentlich anders werden, wenn erst der gesteigerte Verkehr Personen<lb/>
und Gedanken näher mit einander in Berührung bringt. Für jetzt,<lb/>
leistet die westphälische Zettungspresse fast gar nichts, so daß wir sie<lb/>
hier recht gut mit Stillschweigen übergehen könnten. Der Münster-<lb/>
sche Mercur mit seinem historischen Rechte und seiner Orthodoxie war<lb/>
vor einigen Jahren noch Abdruck des Volksbewußtseins, aber schon<lb/>
jetzt ist selbst der Münstersche Bierphilister über ihn hinausgeschritten<lb/>
und lacht über seine Schimpfreden und Wuthausbrüche. Da diese<lb/>
Zeitung die einzige in Westphalen concessionirte ist, so könnte sie eine<lb/>
glänzende Stellung einnehmen, wenn sie in den Händen eines ein¬<lb/>
sichtsvolleren und minder befangenen Mannes wäre als Herr Coppen-<lb/>
rath ist, der nicht einmal das Geld daran wagt, eigene Zeitungen zu-<lb/>
halten, um daraus die Artikel zu holen, sondern der im Casino die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0382] Novellen; jetzt beabsichtigt sie, jährlich ein Taschenbuch „Produkte der rothen Erde" betitelt, herauszugeben, welches die — freilich sparsamen — Erzeugnisse der westphälischen Muße in sich bergen soll. Der erste Band ist schon im vorigen Jahre erschienen, mag aber freilich wohl in unserer an das Pikante und Ueberspannte gewöhnten Zeit keine, weite Verbreitung gefunden haben. Eine ihr verwandte Erscheinung auf westphälischen Boden ist^ Annette, Freiin von Droste-Hülshoff, eine Dichterin, deren Tiefe und Innigkeit seltsam mit der starren kalten Umgebung, mit der Prosa der Natur-und der Verhältnisse, in welchen sie aufgewachsen ist, contra- stirt. Ihre ruhigen, nachdenklichen, träumerischen Lieder ziehen auch den an, der sich an das Brausen und Klingen unserer modernen Poesie gewöhnt hat, haben aber auf den eineir unbeschreiblichen Einfluß, der,, in melancholischen Erinnerungen an die Vergangenheit versunken, für das laute, bewegte Treiben der Gegenwart kein Ohr hat. Ihre Lie¬ der und Balladen tönen leise und ruhig, wie das Wasser, das ihre Burg umspült, wie der Wind, der im Epheu.der Ruinen flüstert. Sie ist eine aristokratische Dichterin und dennoch liebenswürdig; dies>> ist gewiß eine große Schmeichelei/ aber wir sind berechtigt, sie zu sagen. Ueberblicken wir alle geistigen Bestrebungen Münster'S und seiner Umgebung zusammen, so können wir es uns nicht verhehlen, daß wir sie durchaus zu keinem Ganzen gruppiren können, daß wir zwar hier und da einzelne Talente antreffen, aber nirgends ein bedeutsames Zu¬ sammenwirken der Geister, daß wir zwar Cliquen und Factionen fin¬ den, aber keine auf Principien beruhenden Parteien. Das wird hoffentlich anders werden, wenn erst der gesteigerte Verkehr Personen und Gedanken näher mit einander in Berührung bringt. Für jetzt, leistet die westphälische Zettungspresse fast gar nichts, so daß wir sie hier recht gut mit Stillschweigen übergehen könnten. Der Münster- sche Mercur mit seinem historischen Rechte und seiner Orthodoxie war vor einigen Jahren noch Abdruck des Volksbewußtseins, aber schon jetzt ist selbst der Münstersche Bierphilister über ihn hinausgeschritten und lacht über seine Schimpfreden und Wuthausbrüche. Da diese Zeitung die einzige in Westphalen concessionirte ist, so könnte sie eine glänzende Stellung einnehmen, wenn sie in den Händen eines ein¬ sichtsvolleren und minder befangenen Mannes wäre als Herr Coppen- rath ist, der nicht einmal das Geld daran wagt, eigene Zeitungen zu- halten, um daraus die Artikel zu holen, sondern der im Casino die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/382
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/382>, abgerufen am 24.07.2024.