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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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ordentlich viel für Schulen und Seminare that, ein katholischer Priester,
der Philosophie und Kritik besser schützte als ein protestantischer Mi¬
nister, stand namentlich die Akademie zu Münster sehr hoch. Zur
selben Zeit versammelte die bekannte Fürstin von Gallizin viele aus¬
gezeichnete literarische Kräfte um sich ; unter Katerkamp und Overberg
erhob sich der Katholicismus zur Intelligenz; damals wallfahrtet?
man nicht zum Trierer Rock und verehrte nicht die Elarissinnen des
Pater Goßser!

In der allerneuesten Zeit hat sich der aristokratischen Oppo¬
sition eine demokratische entgegengestellt, deren Sieg in diesen Tagen
durch die Zeitungen gemeldet wurde. In der Deputirten-, wie in der
Stadtverordncteiuvahl sind die aristokratischen Kandidaten unterlegen,
wozu wir der Stadt, wie der ganzen Provinz herzlich Glück wün¬
schen. Auch früher hatte es diese Partei schon dahin gebracht, daß
die Mahl- und Schlachtsteuer abgeschafft wurde) künftigen größern
und schöneren Siegen sehen wir mit freudiger Spannung entgegen.

Auch vereinzelte sociale Bestrebungen gaben sich in Münster kund,
die sich im vorigen Jahre, und nicht ganz vergeblich, zu einem Gan¬
zen zu vereinigen suchten. Die (durch die neuesten Zeitungen gemel¬
dete) Entlassung des Lieutenants Unreale, der einer der Führer dieser
Partei, und, was ihm selbst seine Vorgesetzten zugestehen mußten,
ein ebenso kemttnißreicher, wie ehrenwerther Offizier war, ist der erste
Schlag, den die Behörden gegen diese neu aufkeimende Richtung füh¬
ren. Derartige Einschüchterungsmittel dienen jedoch nur dazu,
die Aufmerksamkeit des Volkes auf die neuen Bestrebungen zu lenken,
und wirken eigentlich ganz anders, als es die Behörden beabsichtigen
und erwarten.

Die wenigen literarischen Kräfte concentriren sich in dem Salon
der Frau von Tabouillot, einer Dame, die durch traurige Erlebnisse
früher dem Pietismus nahe gebracht schien; ihr tiefes Gemüth und
klarer Verstand aber rettete sie später aus diesem Abgrunde. Sie ist
keine bedeutende, aber sehr liebenswürdige Erscheinung; mit frauen¬
hafter Stnnigkeit und Innigkeit schließt sie sich den neueren Richtun¬
gen an, und pflegt und beschützt die jungen Kräfte, welche denselben
dienen, wie es nur ein armes, verlassenes Weib vermag. Alle, welche
sie kennen, lieben sie, und wünschen ihr für die letzte Hälfte ihres
Lebens ebenso viel Glück, wie sie in der ersten Kummer und Unglück
zu ertragen hatte. Früher hatte sie Gebetbücher geschrieben, später


ordentlich viel für Schulen und Seminare that, ein katholischer Priester,
der Philosophie und Kritik besser schützte als ein protestantischer Mi¬
nister, stand namentlich die Akademie zu Münster sehr hoch. Zur
selben Zeit versammelte die bekannte Fürstin von Gallizin viele aus¬
gezeichnete literarische Kräfte um sich ; unter Katerkamp und Overberg
erhob sich der Katholicismus zur Intelligenz; damals wallfahrtet?
man nicht zum Trierer Rock und verehrte nicht die Elarissinnen des
Pater Goßser!

In der allerneuesten Zeit hat sich der aristokratischen Oppo¬
sition eine demokratische entgegengestellt, deren Sieg in diesen Tagen
durch die Zeitungen gemeldet wurde. In der Deputirten-, wie in der
Stadtverordncteiuvahl sind die aristokratischen Kandidaten unterlegen,
wozu wir der Stadt, wie der ganzen Provinz herzlich Glück wün¬
schen. Auch früher hatte es diese Partei schon dahin gebracht, daß
die Mahl- und Schlachtsteuer abgeschafft wurde) künftigen größern
und schöneren Siegen sehen wir mit freudiger Spannung entgegen.

Auch vereinzelte sociale Bestrebungen gaben sich in Münster kund,
die sich im vorigen Jahre, und nicht ganz vergeblich, zu einem Gan¬
zen zu vereinigen suchten. Die (durch die neuesten Zeitungen gemel¬
dete) Entlassung des Lieutenants Unreale, der einer der Führer dieser
Partei, und, was ihm selbst seine Vorgesetzten zugestehen mußten,
ein ebenso kemttnißreicher, wie ehrenwerther Offizier war, ist der erste
Schlag, den die Behörden gegen diese neu aufkeimende Richtung füh¬
ren. Derartige Einschüchterungsmittel dienen jedoch nur dazu,
die Aufmerksamkeit des Volkes auf die neuen Bestrebungen zu lenken,
und wirken eigentlich ganz anders, als es die Behörden beabsichtigen
und erwarten.

Die wenigen literarischen Kräfte concentriren sich in dem Salon
der Frau von Tabouillot, einer Dame, die durch traurige Erlebnisse
früher dem Pietismus nahe gebracht schien; ihr tiefes Gemüth und
klarer Verstand aber rettete sie später aus diesem Abgrunde. Sie ist
keine bedeutende, aber sehr liebenswürdige Erscheinung; mit frauen¬
hafter Stnnigkeit und Innigkeit schließt sie sich den neueren Richtun¬
gen an, und pflegt und beschützt die jungen Kräfte, welche denselben
dienen, wie es nur ein armes, verlassenes Weib vermag. Alle, welche
sie kennen, lieben sie, und wünschen ihr für die letzte Hälfte ihres
Lebens ebenso viel Glück, wie sie in der ersten Kummer und Unglück
zu ertragen hatte. Früher hatte sie Gebetbücher geschrieben, später


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[0381] ordentlich viel für Schulen und Seminare that, ein katholischer Priester, der Philosophie und Kritik besser schützte als ein protestantischer Mi¬ nister, stand namentlich die Akademie zu Münster sehr hoch. Zur selben Zeit versammelte die bekannte Fürstin von Gallizin viele aus¬ gezeichnete literarische Kräfte um sich ; unter Katerkamp und Overberg erhob sich der Katholicismus zur Intelligenz; damals wallfahrtet? man nicht zum Trierer Rock und verehrte nicht die Elarissinnen des Pater Goßser! In der allerneuesten Zeit hat sich der aristokratischen Oppo¬ sition eine demokratische entgegengestellt, deren Sieg in diesen Tagen durch die Zeitungen gemeldet wurde. In der Deputirten-, wie in der Stadtverordncteiuvahl sind die aristokratischen Kandidaten unterlegen, wozu wir der Stadt, wie der ganzen Provinz herzlich Glück wün¬ schen. Auch früher hatte es diese Partei schon dahin gebracht, daß die Mahl- und Schlachtsteuer abgeschafft wurde) künftigen größern und schöneren Siegen sehen wir mit freudiger Spannung entgegen. Auch vereinzelte sociale Bestrebungen gaben sich in Münster kund, die sich im vorigen Jahre, und nicht ganz vergeblich, zu einem Gan¬ zen zu vereinigen suchten. Die (durch die neuesten Zeitungen gemel¬ dete) Entlassung des Lieutenants Unreale, der einer der Führer dieser Partei, und, was ihm selbst seine Vorgesetzten zugestehen mußten, ein ebenso kemttnißreicher, wie ehrenwerther Offizier war, ist der erste Schlag, den die Behörden gegen diese neu aufkeimende Richtung füh¬ ren. Derartige Einschüchterungsmittel dienen jedoch nur dazu, die Aufmerksamkeit des Volkes auf die neuen Bestrebungen zu lenken, und wirken eigentlich ganz anders, als es die Behörden beabsichtigen und erwarten. Die wenigen literarischen Kräfte concentriren sich in dem Salon der Frau von Tabouillot, einer Dame, die durch traurige Erlebnisse früher dem Pietismus nahe gebracht schien; ihr tiefes Gemüth und klarer Verstand aber rettete sie später aus diesem Abgrunde. Sie ist keine bedeutende, aber sehr liebenswürdige Erscheinung; mit frauen¬ hafter Stnnigkeit und Innigkeit schließt sie sich den neueren Richtun¬ gen an, und pflegt und beschützt die jungen Kräfte, welche denselben dienen, wie es nur ein armes, verlassenes Weib vermag. Alle, welche sie kennen, lieben sie, und wünschen ihr für die letzte Hälfte ihres Lebens ebenso viel Glück, wie sie in der ersten Kummer und Unglück zu ertragen hatte. Früher hatte sie Gebetbücher geschrieben, später

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/381>, abgerufen am 24.07.2024.