Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

uns auf dem Lande aufgefallen sind. Schon das Aeußere der Stadt
trägt einen echt westphälischen Anstrich;, die massiven, starken, aber
plumpen Gebäude, erinnern durch ihre Bauart ebenso sehr an das
Mittelalter, wie die Bewohner derselben durch ihre Ansichten und Ge¬
sinnungen. Die alten grauen Thürme, die meilenweit über die Ebene
hinaussehen, unter ihnen der Lambertithurm, an dem noch die Käfige
der Wiedertäufer zu sehen sind; das prachtvolle gothische Rathhaus
in dessen Sälen der westphälische Friede abgeschlossen wurde; die Bo¬
gen unter den Häusern, unter denen die Kaufläden sich aneinander
drängen und die Fußgänger in dichten Schaaren vorüberwogen. Die
ganze Physiognomie der Stadt und der einzelnen Straßen harmonirt
gut zu den schweren, plumpen Carossen des Adels, die, mit Bedien¬
ten und Wappen verziert, durch Thor und Gassen rollen. Man steht
gleich, man befindet sich in einer katholischen, in einer mittelalterlichen,
in einer aristokratischen Stadt; sind auch keine Zünfte mehr da, so
besteht doch noch der Zunftgeist; herrscht auch nicht mehr der Bischof,
so verehrt man ihn doch noch ebenso, wie früher; ist auch der Adel
seiner politischen Macht beraubt, so steht doch der Bürger nicht an,
seine bürgerliche und gesellige anzuerkennen. --, Das ist Münster,
die Heimath frommer Bischöfe und guten Bieres, der Mittelpunkt der
westphälischen Aristokratie und der Sitz der preußischen Provinzialbehör-
den. Die beiden Letzten stimmen aber nicht gut zusammen; der Adel,
obgleich von Berlin aus sehr poussirt und protegirt, kann seine glor¬
reiche Vergangenheit nicht vergessen; die religiösen Zerwürfnisse kom¬
men dazu, so daß die politische Stimmung im Ganzen eine unbehag¬
liche genannt werden kann. Der cölner Erzbischof Droste-Vischering
war geborner Münsteraner, und seine zähe Ausdauer, seine eiserne
Festigkeit hatte er mit der Mehrzahl seiner Standesgenossen, ja seiner
Landsleute, gemein. Die mißvergnügte Stimmung, welche seine be¬
kannten Schicksale erregte, ist in neuerer Zeit durch den vielbesprochenen
Schulconflict wieder erneuert worden, einen Streit, den die Regierung
auf eine ebenso schwache und inconsequente Weise zu beenden sich
gezwungen sah, wie die Angelegenheit des Cölner Erzbischofs. Mün¬
ster hat der preußischen Regierung auch zu wenig zu verdanken, als
daß es in der kurzen Zeit sich zu ihr hingezogen fühlen könnte. Was
Bildung und Gesittung anbetrifft, so ist die Stadt offenbar in den
letzten 50 Jahren zurückgegangen. Am Ende des vorigen Jahrhun¬
derts, unter der Regierung des freisinnigen Fürstenberg, der außer-


uns auf dem Lande aufgefallen sind. Schon das Aeußere der Stadt
trägt einen echt westphälischen Anstrich;, die massiven, starken, aber
plumpen Gebäude, erinnern durch ihre Bauart ebenso sehr an das
Mittelalter, wie die Bewohner derselben durch ihre Ansichten und Ge¬
sinnungen. Die alten grauen Thürme, die meilenweit über die Ebene
hinaussehen, unter ihnen der Lambertithurm, an dem noch die Käfige
der Wiedertäufer zu sehen sind; das prachtvolle gothische Rathhaus
in dessen Sälen der westphälische Friede abgeschlossen wurde; die Bo¬
gen unter den Häusern, unter denen die Kaufläden sich aneinander
drängen und die Fußgänger in dichten Schaaren vorüberwogen. Die
ganze Physiognomie der Stadt und der einzelnen Straßen harmonirt
gut zu den schweren, plumpen Carossen des Adels, die, mit Bedien¬
ten und Wappen verziert, durch Thor und Gassen rollen. Man steht
gleich, man befindet sich in einer katholischen, in einer mittelalterlichen,
in einer aristokratischen Stadt; sind auch keine Zünfte mehr da, so
besteht doch noch der Zunftgeist; herrscht auch nicht mehr der Bischof,
so verehrt man ihn doch noch ebenso, wie früher; ist auch der Adel
seiner politischen Macht beraubt, so steht doch der Bürger nicht an,
seine bürgerliche und gesellige anzuerkennen. —, Das ist Münster,
die Heimath frommer Bischöfe und guten Bieres, der Mittelpunkt der
westphälischen Aristokratie und der Sitz der preußischen Provinzialbehör-
den. Die beiden Letzten stimmen aber nicht gut zusammen; der Adel,
obgleich von Berlin aus sehr poussirt und protegirt, kann seine glor¬
reiche Vergangenheit nicht vergessen; die religiösen Zerwürfnisse kom¬
men dazu, so daß die politische Stimmung im Ganzen eine unbehag¬
liche genannt werden kann. Der cölner Erzbischof Droste-Vischering
war geborner Münsteraner, und seine zähe Ausdauer, seine eiserne
Festigkeit hatte er mit der Mehrzahl seiner Standesgenossen, ja seiner
Landsleute, gemein. Die mißvergnügte Stimmung, welche seine be¬
kannten Schicksale erregte, ist in neuerer Zeit durch den vielbesprochenen
Schulconflict wieder erneuert worden, einen Streit, den die Regierung
auf eine ebenso schwache und inconsequente Weise zu beenden sich
gezwungen sah, wie die Angelegenheit des Cölner Erzbischofs. Mün¬
ster hat der preußischen Regierung auch zu wenig zu verdanken, als
daß es in der kurzen Zeit sich zu ihr hingezogen fühlen könnte. Was
Bildung und Gesittung anbetrifft, so ist die Stadt offenbar in den
letzten 50 Jahren zurückgegangen. Am Ende des vorigen Jahrhun¬
derts, unter der Regierung des freisinnigen Fürstenberg, der außer-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183401"/>
            <p xml:id="ID_1124" prev="#ID_1123" next="#ID_1125"> uns auf dem Lande aufgefallen sind. Schon das Aeußere der Stadt<lb/>
trägt einen echt westphälischen Anstrich;, die massiven, starken, aber<lb/>
plumpen Gebäude, erinnern durch ihre Bauart ebenso sehr an das<lb/>
Mittelalter, wie die Bewohner derselben durch ihre Ansichten und Ge¬<lb/>
sinnungen. Die alten grauen Thürme, die meilenweit über die Ebene<lb/>
hinaussehen, unter ihnen der Lambertithurm, an dem noch die Käfige<lb/>
der Wiedertäufer zu sehen sind; das prachtvolle gothische Rathhaus<lb/>
in dessen Sälen der westphälische Friede abgeschlossen wurde; die Bo¬<lb/>
gen unter den Häusern, unter denen die Kaufläden sich aneinander<lb/>
drängen und die Fußgänger in dichten Schaaren vorüberwogen. Die<lb/>
ganze Physiognomie der Stadt und der einzelnen Straßen harmonirt<lb/>
gut zu den schweren, plumpen Carossen des Adels, die, mit Bedien¬<lb/>
ten und Wappen verziert, durch Thor und Gassen rollen. Man steht<lb/>
gleich, man befindet sich in einer katholischen, in einer mittelalterlichen,<lb/>
in einer aristokratischen Stadt; sind auch keine Zünfte mehr da, so<lb/>
besteht doch noch der Zunftgeist; herrscht auch nicht mehr der Bischof,<lb/>
so verehrt man ihn doch noch ebenso, wie früher; ist auch der Adel<lb/>
seiner politischen Macht beraubt, so steht doch der Bürger nicht an,<lb/>
seine bürgerliche und gesellige anzuerkennen. &#x2014;, Das ist Münster,<lb/>
die Heimath frommer Bischöfe und guten Bieres, der Mittelpunkt der<lb/>
westphälischen Aristokratie und der Sitz der preußischen Provinzialbehör-<lb/>
den. Die beiden Letzten stimmen aber nicht gut zusammen; der Adel,<lb/>
obgleich von Berlin aus sehr poussirt und protegirt, kann seine glor¬<lb/>
reiche Vergangenheit nicht vergessen; die religiösen Zerwürfnisse kom¬<lb/>
men dazu, so daß die politische Stimmung im Ganzen eine unbehag¬<lb/>
liche genannt werden kann. Der cölner Erzbischof Droste-Vischering<lb/>
war geborner Münsteraner, und seine zähe Ausdauer, seine eiserne<lb/>
Festigkeit hatte er mit der Mehrzahl seiner Standesgenossen, ja seiner<lb/>
Landsleute, gemein. Die mißvergnügte Stimmung, welche seine be¬<lb/>
kannten Schicksale erregte, ist in neuerer Zeit durch den vielbesprochenen<lb/>
Schulconflict wieder erneuert worden, einen Streit, den die Regierung<lb/>
auf eine ebenso schwache und inconsequente Weise zu beenden sich<lb/>
gezwungen sah, wie die Angelegenheit des Cölner Erzbischofs. Mün¬<lb/>
ster hat der preußischen Regierung auch zu wenig zu verdanken, als<lb/>
daß es in der kurzen Zeit sich zu ihr hingezogen fühlen könnte. Was<lb/>
Bildung und Gesittung anbetrifft, so ist die Stadt offenbar in den<lb/>
letzten 50 Jahren zurückgegangen. Am Ende des vorigen Jahrhun¬<lb/>
derts, unter der Regierung des freisinnigen Fürstenberg, der außer-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] uns auf dem Lande aufgefallen sind. Schon das Aeußere der Stadt trägt einen echt westphälischen Anstrich;, die massiven, starken, aber plumpen Gebäude, erinnern durch ihre Bauart ebenso sehr an das Mittelalter, wie die Bewohner derselben durch ihre Ansichten und Ge¬ sinnungen. Die alten grauen Thürme, die meilenweit über die Ebene hinaussehen, unter ihnen der Lambertithurm, an dem noch die Käfige der Wiedertäufer zu sehen sind; das prachtvolle gothische Rathhaus in dessen Sälen der westphälische Friede abgeschlossen wurde; die Bo¬ gen unter den Häusern, unter denen die Kaufläden sich aneinander drängen und die Fußgänger in dichten Schaaren vorüberwogen. Die ganze Physiognomie der Stadt und der einzelnen Straßen harmonirt gut zu den schweren, plumpen Carossen des Adels, die, mit Bedien¬ ten und Wappen verziert, durch Thor und Gassen rollen. Man steht gleich, man befindet sich in einer katholischen, in einer mittelalterlichen, in einer aristokratischen Stadt; sind auch keine Zünfte mehr da, so besteht doch noch der Zunftgeist; herrscht auch nicht mehr der Bischof, so verehrt man ihn doch noch ebenso, wie früher; ist auch der Adel seiner politischen Macht beraubt, so steht doch der Bürger nicht an, seine bürgerliche und gesellige anzuerkennen. —, Das ist Münster, die Heimath frommer Bischöfe und guten Bieres, der Mittelpunkt der westphälischen Aristokratie und der Sitz der preußischen Provinzialbehör- den. Die beiden Letzten stimmen aber nicht gut zusammen; der Adel, obgleich von Berlin aus sehr poussirt und protegirt, kann seine glor¬ reiche Vergangenheit nicht vergessen; die religiösen Zerwürfnisse kom¬ men dazu, so daß die politische Stimmung im Ganzen eine unbehag¬ liche genannt werden kann. Der cölner Erzbischof Droste-Vischering war geborner Münsteraner, und seine zähe Ausdauer, seine eiserne Festigkeit hatte er mit der Mehrzahl seiner Standesgenossen, ja seiner Landsleute, gemein. Die mißvergnügte Stimmung, welche seine be¬ kannten Schicksale erregte, ist in neuerer Zeit durch den vielbesprochenen Schulconflict wieder erneuert worden, einen Streit, den die Regierung auf eine ebenso schwache und inconsequente Weise zu beenden sich gezwungen sah, wie die Angelegenheit des Cölner Erzbischofs. Mün¬ ster hat der preußischen Regierung auch zu wenig zu verdanken, als daß es in der kurzen Zeit sich zu ihr hingezogen fühlen könnte. Was Bildung und Gesittung anbetrifft, so ist die Stadt offenbar in den letzten 50 Jahren zurückgegangen. Am Ende des vorigen Jahrhun¬ derts, unter der Regierung des freisinnigen Fürstenberg, der außer-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/380>, abgerufen am 24.07.2024.