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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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nach das bischöfliche Geld an, zu fehlen, um die Gebäude in Stand
zu halten; man sieht Risse in den Mauern und die Gräben rund
umher werden verschlammt; über einem Jahrhundert werden unsere
westphälischen Schlösser wohl zu ebenso verfallenen, wenn auch nicht so
schönen Ruinen herabgesunken sein, wie die Burgen in Franken,
Schwaben und am Rhein. Es ist für denjenigen, der an die Romantik
der Bergschlösser gewöhnt ist, ein merkwürdiger Anblick, wenn er so mitten
auf der Wiese oder Haide die Paläste der westphälischen Großen liegen
sieht, ohne daß die Umgebung im Entferntesten mit der Pracht der hohen,
giebelsöriuigen Gebäude harmonirte. Man glaubt, sie seien über Nacht
dorthin vom Himmel heruntergefallen und könnten wieder eines Ta¬
ges verschwinden, ohne daß sie eine Spur von sich zurückließen. Hier
und da gibt es allerdings auch bei uns Edelsitze, welche von schattigen
Wäldern und anmurhigen Gärten umringt sind, und deren freundliches,
behagliches Aussehen uns mit der Aristokratie etwas versöhnt. Aber
einen solch' freundlichen Anblick findet man ebenso selten, wie Bildung,
Geschmack und Humanität bei den Bewohnern dieser Gebäude.

Der westphälische Adel ist, man kann mit Fug und Recht dies Ur¬
theil fällen, im Allgemeinen höchst ungebildet. Selten pflegt er auf
Reisen zu gehen, noch seltener, Universitäten zu besuchen. Die Barone
theilen ihre Zeit gemeiniglich zwischen ihrem Dorfe und der Hauptstadt
Münster, und vergessen, daß es jenseits der Heimath der Schinken auch
noch Länder und Menschen gibt. Die Jagd ist ihre Hauptbeschäfti¬
gung, weshalb sie auch auf die Aufrechthaltung ihrer Jagdgerechtsame
viele Mühe und Kosten verschwenden. Die Gebildeteren unter ihnen,
welche Liebe und Lust zu einer öffentlichen Thätigkeit, oder nicht so
viel Geld haben, um kavaliermäßig sich der Müßigkeit hingeben zu können,
treten in das II. Husarenregiment, dessen Offiziere fast alle aus west¬
phälischen Edelleuten bestehen, ein, oder bereite"? sich zu dem Posten eines
Landrathes vor, welche Stelle allein würdig ist, von Vollblut besetzt
zu werden. In neuerer Zeit wählt man, um die Söhne erziehen zu
lassen, zwischen der rheinischen Ritterakademte zu Bedberg oder der
jesuitischen Anstalt zu Freiburg in der Schweiz) die Wenigen, welche
Universitäten besuchen, ziehen Göttingen vor. Um die Töchter zu
unterrichten, lassen oft Westphalens adelige Familien eine Gouvernante
aus Frankreich oder der französischen Schweiz kommen, die monatlich
von einem Gute zum andern wandert und den jungen Fräulein Fran¬
zösisch lehrt. Außer dieser Sprache reden die Damen gemeiniglich nur
das westphälische Patois) hochdeutsch zu sprechen, selbst wenn sie es


nach das bischöfliche Geld an, zu fehlen, um die Gebäude in Stand
zu halten; man sieht Risse in den Mauern und die Gräben rund
umher werden verschlammt; über einem Jahrhundert werden unsere
westphälischen Schlösser wohl zu ebenso verfallenen, wenn auch nicht so
schönen Ruinen herabgesunken sein, wie die Burgen in Franken,
Schwaben und am Rhein. Es ist für denjenigen, der an die Romantik
der Bergschlösser gewöhnt ist, ein merkwürdiger Anblick, wenn er so mitten
auf der Wiese oder Haide die Paläste der westphälischen Großen liegen
sieht, ohne daß die Umgebung im Entferntesten mit der Pracht der hohen,
giebelsöriuigen Gebäude harmonirte. Man glaubt, sie seien über Nacht
dorthin vom Himmel heruntergefallen und könnten wieder eines Ta¬
ges verschwinden, ohne daß sie eine Spur von sich zurückließen. Hier
und da gibt es allerdings auch bei uns Edelsitze, welche von schattigen
Wäldern und anmurhigen Gärten umringt sind, und deren freundliches,
behagliches Aussehen uns mit der Aristokratie etwas versöhnt. Aber
einen solch' freundlichen Anblick findet man ebenso selten, wie Bildung,
Geschmack und Humanität bei den Bewohnern dieser Gebäude.

Der westphälische Adel ist, man kann mit Fug und Recht dies Ur¬
theil fällen, im Allgemeinen höchst ungebildet. Selten pflegt er auf
Reisen zu gehen, noch seltener, Universitäten zu besuchen. Die Barone
theilen ihre Zeit gemeiniglich zwischen ihrem Dorfe und der Hauptstadt
Münster, und vergessen, daß es jenseits der Heimath der Schinken auch
noch Länder und Menschen gibt. Die Jagd ist ihre Hauptbeschäfti¬
gung, weshalb sie auch auf die Aufrechthaltung ihrer Jagdgerechtsame
viele Mühe und Kosten verschwenden. Die Gebildeteren unter ihnen,
welche Liebe und Lust zu einer öffentlichen Thätigkeit, oder nicht so
viel Geld haben, um kavaliermäßig sich der Müßigkeit hingeben zu können,
treten in das II. Husarenregiment, dessen Offiziere fast alle aus west¬
phälischen Edelleuten bestehen, ein, oder bereite»? sich zu dem Posten eines
Landrathes vor, welche Stelle allein würdig ist, von Vollblut besetzt
zu werden. In neuerer Zeit wählt man, um die Söhne erziehen zu
lassen, zwischen der rheinischen Ritterakademte zu Bedberg oder der
jesuitischen Anstalt zu Freiburg in der Schweiz) die Wenigen, welche
Universitäten besuchen, ziehen Göttingen vor. Um die Töchter zu
unterrichten, lassen oft Westphalens adelige Familien eine Gouvernante
aus Frankreich oder der französischen Schweiz kommen, die monatlich
von einem Gute zum andern wandert und den jungen Fräulein Fran¬
zösisch lehrt. Außer dieser Sprache reden die Damen gemeiniglich nur
das westphälische Patois) hochdeutsch zu sprechen, selbst wenn sie es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/374>, abgerufen am 24.07.2024.