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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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und Kreise gebildet, die sich ebenso sehr von dem gewöhnlichen Adel
unterscheiden, wie dieser von den bürgerlichen Vereinen.

Die Bauern ihrerseits wiederholen die aristokratische Abschließung
der Cavaliere innerhalb ihrer Kreise. Wenn ein Köller einen Schulzen
um seine Tochter bitten wollte, so würde dieser über eine solche an¬
maßende Forderung gewiß ebenso unwillig sein, als wenn unser Frei¬
herr von Vincke, "der Vertreter der alten Geschlechter", seine Tochter
einem Bürgerlichen geben sollte. Selbst die Schulzen untereinander
sehen darauf, wer von ihnen Besitzer eines sogenannten Oberhofes ist,
der gewöhnlich noch von andern Höfen Pachte, Zehnten und Gulden
bekommt, oder wer nur einen gewöhnlichen Schützenhof bewohnt.
Solche Schulzen arbeiten allerdings mit ihren Kollern und ihren Knech¬
ten und Mägden zusammen; aber mit ihnen an einem Tische zu essen,
fÄllt auch dem ärmsten und geringsten nicht ein. Immermann hat in
seinem "Münchhausen" das aristokratische Benehmen der Bauern ge¬
bührend herausgehoben, aber nur zu sehr mit mystischen und romanti¬
schen Träumereien verbrämt und aufgestützt, was der Treue seiner so
anmuthigen und lebensvollen Darstellung sehr schadet.

Aber nicht nur den schroffen Kastengeist haben Bauern und Ade¬
lige mit einander gemein, auch die religiöse Orthodoxie. Dem Adel
ist es allerdings nicht zu verdenken, wenn er mit aller Zähigkeit an
einer Religion festhält, der er nicht nur sein Ansehen, sondern auch
sein Vermögen zu verdanken hat. Der Reichthum in fast allen ade¬
ligen Familien des Münsterlandes nämlich stammt aus den Zeiten des
Bisthums Münster her; fast jede Familie hat einen oder mehrere Bi¬
schöfe hervorgebracht, und dieser wandte die Einkünfte des Landes und
der Kirche feinen Verwandten zu. Es genügte, daß eine große zahl¬
reiche Familie nur einmal den Bischofssitz von einem ihrer Angehörigen
besetzt sah, um durch Fidcicommisse ein ungeheures Vermögen für ewige
Zeiten sich gesichert zu wissen. Man sieht oft auf den Haiden des
Münsterlandes, umringt von sauren Wiesen und verkrüppeltem Strauch¬
werke Paläste stehen, die einer Residenz würdig wären. Halb verfallen,
erheben sie sich doch noch mächtig und ansehnlich, ja fast verachtend,
über ihre traurige Umgebung hinweg, und veranlassen den Vorüber¬
gehenden zu der verwunderten Frage, welche Feenmacht ein so herr¬
liches Gebäude in diese abgelegene Gegend verbannt habe. Bischöfe
haben sie gebaut; der Schweiß und das Blut des Landes, das unter
dem Krummstab verdummte, war der Kitt, mit dem man die unge-
geheuern Mauern zusammenfügte. Aber jetzt fängt leider nach und


und Kreise gebildet, die sich ebenso sehr von dem gewöhnlichen Adel
unterscheiden, wie dieser von den bürgerlichen Vereinen.

Die Bauern ihrerseits wiederholen die aristokratische Abschließung
der Cavaliere innerhalb ihrer Kreise. Wenn ein Köller einen Schulzen
um seine Tochter bitten wollte, so würde dieser über eine solche an¬
maßende Forderung gewiß ebenso unwillig sein, als wenn unser Frei¬
herr von Vincke, „der Vertreter der alten Geschlechter", seine Tochter
einem Bürgerlichen geben sollte. Selbst die Schulzen untereinander
sehen darauf, wer von ihnen Besitzer eines sogenannten Oberhofes ist,
der gewöhnlich noch von andern Höfen Pachte, Zehnten und Gulden
bekommt, oder wer nur einen gewöhnlichen Schützenhof bewohnt.
Solche Schulzen arbeiten allerdings mit ihren Kollern und ihren Knech¬
ten und Mägden zusammen; aber mit ihnen an einem Tische zu essen,
fÄllt auch dem ärmsten und geringsten nicht ein. Immermann hat in
seinem „Münchhausen" das aristokratische Benehmen der Bauern ge¬
bührend herausgehoben, aber nur zu sehr mit mystischen und romanti¬
schen Träumereien verbrämt und aufgestützt, was der Treue seiner so
anmuthigen und lebensvollen Darstellung sehr schadet.

Aber nicht nur den schroffen Kastengeist haben Bauern und Ade¬
lige mit einander gemein, auch die religiöse Orthodoxie. Dem Adel
ist es allerdings nicht zu verdenken, wenn er mit aller Zähigkeit an
einer Religion festhält, der er nicht nur sein Ansehen, sondern auch
sein Vermögen zu verdanken hat. Der Reichthum in fast allen ade¬
ligen Familien des Münsterlandes nämlich stammt aus den Zeiten des
Bisthums Münster her; fast jede Familie hat einen oder mehrere Bi¬
schöfe hervorgebracht, und dieser wandte die Einkünfte des Landes und
der Kirche feinen Verwandten zu. Es genügte, daß eine große zahl¬
reiche Familie nur einmal den Bischofssitz von einem ihrer Angehörigen
besetzt sah, um durch Fidcicommisse ein ungeheures Vermögen für ewige
Zeiten sich gesichert zu wissen. Man sieht oft auf den Haiden des
Münsterlandes, umringt von sauren Wiesen und verkrüppeltem Strauch¬
werke Paläste stehen, die einer Residenz würdig wären. Halb verfallen,
erheben sie sich doch noch mächtig und ansehnlich, ja fast verachtend,
über ihre traurige Umgebung hinweg, und veranlassen den Vorüber¬
gehenden zu der verwunderten Frage, welche Feenmacht ein so herr¬
liches Gebäude in diese abgelegene Gegend verbannt habe. Bischöfe
haben sie gebaut; der Schweiß und das Blut des Landes, das unter
dem Krummstab verdummte, war der Kitt, mit dem man die unge-
geheuern Mauern zusammenfügte. Aber jetzt fängt leider nach und


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[0373] und Kreise gebildet, die sich ebenso sehr von dem gewöhnlichen Adel unterscheiden, wie dieser von den bürgerlichen Vereinen. Die Bauern ihrerseits wiederholen die aristokratische Abschließung der Cavaliere innerhalb ihrer Kreise. Wenn ein Köller einen Schulzen um seine Tochter bitten wollte, so würde dieser über eine solche an¬ maßende Forderung gewiß ebenso unwillig sein, als wenn unser Frei¬ herr von Vincke, „der Vertreter der alten Geschlechter", seine Tochter einem Bürgerlichen geben sollte. Selbst die Schulzen untereinander sehen darauf, wer von ihnen Besitzer eines sogenannten Oberhofes ist, der gewöhnlich noch von andern Höfen Pachte, Zehnten und Gulden bekommt, oder wer nur einen gewöhnlichen Schützenhof bewohnt. Solche Schulzen arbeiten allerdings mit ihren Kollern und ihren Knech¬ ten und Mägden zusammen; aber mit ihnen an einem Tische zu essen, fÄllt auch dem ärmsten und geringsten nicht ein. Immermann hat in seinem „Münchhausen" das aristokratische Benehmen der Bauern ge¬ bührend herausgehoben, aber nur zu sehr mit mystischen und romanti¬ schen Träumereien verbrämt und aufgestützt, was der Treue seiner so anmuthigen und lebensvollen Darstellung sehr schadet. Aber nicht nur den schroffen Kastengeist haben Bauern und Ade¬ lige mit einander gemein, auch die religiöse Orthodoxie. Dem Adel ist es allerdings nicht zu verdenken, wenn er mit aller Zähigkeit an einer Religion festhält, der er nicht nur sein Ansehen, sondern auch sein Vermögen zu verdanken hat. Der Reichthum in fast allen ade¬ ligen Familien des Münsterlandes nämlich stammt aus den Zeiten des Bisthums Münster her; fast jede Familie hat einen oder mehrere Bi¬ schöfe hervorgebracht, und dieser wandte die Einkünfte des Landes und der Kirche feinen Verwandten zu. Es genügte, daß eine große zahl¬ reiche Familie nur einmal den Bischofssitz von einem ihrer Angehörigen besetzt sah, um durch Fidcicommisse ein ungeheures Vermögen für ewige Zeiten sich gesichert zu wissen. Man sieht oft auf den Haiden des Münsterlandes, umringt von sauren Wiesen und verkrüppeltem Strauch¬ werke Paläste stehen, die einer Residenz würdig wären. Halb verfallen, erheben sie sich doch noch mächtig und ansehnlich, ja fast verachtend, über ihre traurige Umgebung hinweg, und veranlassen den Vorüber¬ gehenden zu der verwunderten Frage, welche Feenmacht ein so herr¬ liches Gebäude in diese abgelegene Gegend verbannt habe. Bischöfe haben sie gebaut; der Schweiß und das Blut des Landes, das unter dem Krummstab verdummte, war der Kitt, mit dem man die unge- geheuern Mauern zusammenfügte. Aber jetzt fängt leider nach und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/373>, abgerufen am 24.07.2024.